Bürgergeld-Lücke: Wie Bezieher das System austricksen
Das Bürgergeld steht vor Veränderungen. Eine Reform ist auch dringend notwendig, wie eine Jobcenter-Leiterin aus Berlin erklärt.
Berlin – Die Regierungskoalition will das Bürgergeld zur neuen Grundsicherung umbauen. Durch höhere Anforderungen an die Arbeitslosen sowie schnellere und härtere Sanktionen sollen möglichst viele Menschen wieder in Arbeit kommen.
Bürgergeld-Bezieher tricksen System aus: Totalverweigerer nutzen Lücke im System aus
Auch wenn die neue Grundsicherung schließlich Realität wird, ist ein Erfolg nicht garantiert, wie ein Bericht der Welt am Sonntag zeigt. „In unserem Bezirk gibt es Menschen, die seit zehn Jahren Leistungen beziehen, aber noch nie im Jobcenter waren“, zitiert die Zeitung Elena Zavlaris, Leiterin des Jobcenters im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Das Gesetz lasse das zu. Es fehle die rechtliche Handhabe.

Bürgergeldempfänger, die nie im Jobcenter auftauchen, sind laut Zavlaris keine „Totalverweigerer“, bei denen die Leistungen komplett gestrichen werden können. Dafür müsste er zunächst einen Vermittlungsvorschlag des Jobcenters bei einem potenziellen Arbeitgeber annehmen und dann die Stelle ablehnen. Wer gar nicht beim Jobcenter erscheint und so kein Angebot erhalten kann, kann nicht sanktioniert werden.
„Die Debatte wird von zwei Erzählungen geprägt: Entweder sind alle Bürgergeldempfänger faul und wollen nicht arbeiten – oder es wird behauptet, diejenigen, die sich verweigern und nichts tun, sind eine verschwindend kleine Minderheit. Beides ist falsch“, so Zavlaris weiter.
Bürgergeld-Sanktionen bisher ein stumpfes Schwert
Nicht alle würden sich verweigern, aber das System werde auch ausgenutzt. „Zu sagen, das seien nur Einzelfälle, ist falsch.“ Es gebe viele Menschen, die sich im Bürgergeld eingerichtet hätten und sich weniger verpflichtet fühlten mitzumachen.
Die neue Grundsicherung hält Zavlaris für eine gute Idee. Sie wünscht sich jedoch eine „echte Reform“, die für die Jobcenter gut umsetzbar und wirksam ist. Denn wenn mal 60 Euro im Monat durch eine Kürzung fehlten, falle das den Menschen teilweise gar nicht auf. „Oder es wird bewusst in Kauf genommen.“ Es habe sich herumgesprochen, dass die Sanktionen ein „eher stumpfes Schwert“ sind, so die Behördenleiterin.
Totalverweigerer sind im Bürgergeld-System selten
Wie viele Totalverweigerer es wirklich gibt, ist angesichts fehlender offizieller Zahlen unklar. Genannt werden vom Jobcenter lediglich die Zahl der Sanktionen für abgelehnte Stellen. 2024 waren das knapp 24.000. Bei 1,86 Millionen Erwerbsfähigen in der Grundsicherung sind das 1,3 Prozent – und davon lehnen nicht alle mehrfach Stellen ab.
Laut Bundesagentur für Arbeit beläuft sich die Höhe der Leistungsminderung bei Pflichtverletzungen auf zehn, 20 oder 30 Prozent des Regelbedarfs, abhängig davon, ob es sich um eine erste, zweite oder weitere Pflichtverletzung handelt. Bei Meldeversäumnissen wird die Leistung um zehn Prozent des Regelbedarfs gekürzt. Der Minderungszeitraum beträgt bis zu drei Monate, ebenfalls in Abhängigkeit zur Häufigkeit der ausgesprochenen Leistungsminderung.