Warum Volkswagen mit seinen E-Autos in China der Konkurrenz hinterher fährt
Rein wirtschaftlich steht Volkswagen in China gut da. Doch bei der Elektromobilität verliert der gigantische Konzern den Anschluss. Um fit für die Zukunft zu werden, muss er sich umstellen. Daran arbeitet er gerade.
Zahlen lügen nicht und die sehen für Volkswagen in China erst einmal gut aus. Im vergangenen Jahr hat der Konzern in der Volksrepublik 3,2 Millionen Autos verkauft. Der Großteil davon – etwa drei Millionen – waren Autos mit Verbrennungsmotor und haben schwarze Zahlen geschrieben. Doch bei der Elektromobilität verliert der deutsche Konzern zunehmend den Anschluss. Eine Investitions-Offensive soll das ändern. Die notwendige Transformation läuft zwar langsam an, aber immerhin läuft sie.
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie China.Table am 23. Februar 2024.
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Chinas Wachstum ohne Volkswagen
Mit seinen Joint Ventures hat der deutsche Konzern im vergangenen Jahr 1,6 Prozent mehr Fahrzeuge abgesetzt als im Jahr zuvor. Im Segment der Nicht-Elektroautos steigerte Volkswagen seinen Marktanteil sogar von 19 auf 20 Prozent. Selbst der E-Auto-Absatz ist nicht derart am Boden, wie es die Berichterstattung darüber vermuten lassen würde. 200.000 Autos bedeuten eine Steigerung um 23 Prozent.
Doch es kommt eben auf den Kontext an. Denn Volkswagen wächst langsamer als der Markt. Der E-Automarkt wuchs um 24 Prozent, das Segment der New Energy Vehicle (NEV), das auch Hybridantriebe mitrechnet, sogar um 38 Prozent. Auf den Gesamtmarkt hochgerechnet entstand ein Wachstum von 5,6 Prozent. Dass VW Marktanteile gewinnt, liegt am schrumpfenden Markt für Verbrenner, der rund 6 Prozent verlor, wie der chinesische Passagierwagenverband (CPCA) vorrechnet.
Zu sehr mit sich selbst beschäftigt
Überraschend sei das nicht zustande gekommen, wie Stefan Bratzel erklärt. Er ist Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM). „Die Situation in China hängt auch mit dem Dieselskandal und der anschließenden Transformation zusammen. Nach 2015 hat sich VW stark mit sich selbst beschäftigt und musste sich um das Europa- und US-Geschäft kümmern. Dann kam Corona. China stand über Jahre nicht im Fokus des Topmanagements. Geschwindigkeit und Innovationen dort hat man schlicht nicht gesehen.“
Volkswagen zieht daraus vollkommen richtig den Schluss, jetzt reagieren zu müssen, um die Transformation noch aus einer Position der Stärke heraus vorantreiben zu können.
Investitionen trotz Sparkurs
Ende vergangenen Jahres hat die Konzernspitze ein Zehn-Milliarden-Sparpaket beschlossen. Es geht darum, die Zahl der Mitarbeitenden nachhaltig zu senken, um die Marge bei der Kernmarke zu steigern. Unangetastet bleibt aber der enorme Investitionsplan, den Volkswagen bereits im Jahr 2022 verabschiedet hat. 180 Milliarden Euro sollen bis zum Jahr 2028 den Konzern in entscheidenden Bereichen verbessern. Zwei Drittel des Geldes sind für die Elektrifizierung und Digitalisierung gedacht.
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Dabei kommt China eine wichtige Rolle zu. So hat Volkswagen seinen Produktions-, Entwicklungs- und Innovations-Hub in Hefei massiv ausgebaut. „So können wir unsere Produkte noch schneller auf die Wünsche der chinesischen Kunden ausrichten. In einem dynamischen Marktumfeld ist ein hohes Entwicklungstempo entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit“, kommentierte Ralf Brandstätter, Mitglied des Vorstands der Volkswagen AG für China, den Schritt.
Chinesische Kunden seien sehr preissensibel, gab Brandstätter im Rahmen der Bekanntgabe der Investitionen an. Eine beinahe ruinöse Rabattschlacht auf dem Automarkt ist die Folge. Für Volkswagen ist es daher entscheidend, die Kosten zu senken und günstige Modelle anbieten zu können.
Schneller zur Produktionsreife
Konkret geht es darum, dass die Volkswagen China Technology Company (VCTC) eine Elektro-Plattform für das Einstiegssegment entwickelt. Der E-Antriebsbaukasten soll sich am modularen System des Konzerns orientieren. Neue Elektroautos könnten damit innerhalb von 36 Monaten von der Idee zur Produktionsreife gebracht werden. Deswegen ist auch VCTC nicht vom Sparprogramm betroffen. Im Gegenteil. Wenn im Jahr 2026 die Plattform ihren Betrieb aufnimmt, sollen etwa 3.000 Mitarbeiter dort beschäftigt sein. Bei VCTC laufen alle Entwicklungen und Entscheidungen zusammen, die für den chinesischen Markt bestimmte Fahrzeuge betreffen.
Das alles ist ambitioniert. Doch der chinesische Markt ist hart umkämpft. „Die Position von früher – also der große Marktführer sein – wird VW in China nie wieder bekommen. Dafür sind die chinesischen Hersteller zu stark in den Zukunftstechnologien. VW muss es darum gehen, die aktuell starke Stellung zu halten“, sagt Bratzel.
In China, für China
Auch das Management stockt Volkswagen in China weiter auf. Thomas Ulbrich übernimmt zum 1. April 2024 die Leitung der technischen Entwicklung in China und wird damit auch CEO bei VCTC. Er war zuletzt Vorstand „New Mobility“ im Konzern. Ulbrich gilt im Konzern als ausgewiesener Entwicklungs- und Softwareexperte und hat bereits zweimal in leitender Funktion in China gearbeitet. Seine Aufgabe ist es, die Lokalisierung (Stichwort: „in China, für China“) und die Vernetzung voranzutreiben.
„VW hat Ralf Brandstätter und jetzt Thomas Ulbrich nach China gesandt, um gute Leute mit einer gewissen Hausmacht dort zu haben. Hintergrund ist, dass VW die Erfahrungen, Geschwindigkeit und Prozesse, die es in China gibt, auch als Blaupause für Europa nutzen möchte“, kommentiert Bratzel die Personalie.
Aufholen durch Kooperationen
Der Erfolg dürfte auch daran gemessen werden, ob und wie gut es gelingt, die diversen Projekte und Investitionen unter einen Hut zu bringen. Dazu gehören neben den bekannten Joint-Ventures SAIC Volkswagen, FAW-Volkswagen und Volkswagen Anhui auch die Unternehmen Gotion (Batterie) und die Softwareeinheit Cariad. Ebenso entscheidend für die Zukunft ist die Einbindung der Partner von Horizon Robotics (autonomes Fahren), ARK (User Experience) und Thundersoft (Infotainment).
Bei Anhui Automotive startete Anfang des Jahres die Produktion des Cupra Tavascan für den Export nach Europa. Ein Modell für den chinesischen Markt soll in diesem Jahr folgen. Für Aufsehen hat auch das Investment von Volkswagen in den chinesischen E-Auto-Pionier Xpeng gesorgt. Für 700 Millionen Dollar bekam der deutsche Konzern rund fünf Prozent am Unternehmen, einen Sitz im Aufsichtsrat und einen Partner, mit dem zwei neue Elektroautos für den chinesischen Markt entwickelt werden sollen. „Mit Xpeng haben wir nun einen weiteren starken Partner, der in wichtigen Technologiebereichen zu den führenden Herstellern in China gehört“, kommentierte Brandstätter den Deal im vergangenen Jahr.
Bratzel erkennt darin allerdings auch ein wenig Ironie: „In diesem Aufholprozess kooperiert VW plötzlich mit Unternehmen, die vor ein paar Jahren noch mit VW kooperieren mussten.“ Von Christian Domke Seidel