Warum die deutsche Rüstungsindustrie in der Krise steckt
Die Ukraine brauchen neue Flugabwehrsysteme, die USA pochen aufs 2-Prozent-Ziel der NATO. Von der Rüstungsindustrie kommt eine deutliche Warnung: Das Sondervermögen reicht nicht aus.
Berlin – Der Verteidigungshaushalt scheint gerettet. Nach der Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages steht der Wirtschaftsplan zum Sondervermögen für 2024 fest. Insgesamt sollen aus dem Verteidigungshaushalt und dem Sondervermögen Bundeswehr rund 71,8 Milliarden Euro die Grundlage für die weitere Umsetzung der sogenannten Zeitenwende bilden, die die Bundeswehr kriegstüchtig zu machen. Branchenverbände warnen allerdings: Langfristig gibt es deutliche Risiken.
Ausgaben Deutschlands für die Verteidigung 2024 | 52 Milliarden Euro (ohne Sondervermögen Bundeswehr) |
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Sondervermögen Bundeswehr Gesamtsumme | 100 Milliarden Euro |
Davon werden 2024 ausgegeben | 19,8 Milliarden Euro |
Ausgaben Deutschlands für die Verteidigung 2027 (Prognose) | 52 Milliarden Euro (Sondervermögen Bundeswehr aufgebraucht) |
Zeitenwende in der Verteidigungsindustrie – „Es geht, wenn wir alle wollen“
„Der Verteidigungshaushalt stellt nicht nur erhebliche Mittel für rüstungsintensive Maßnahmen bereit, sondern trägt auch den allgemeinen Herausforderungen steigender Betriebs- und Personalkosten umfassend Rechnung“, teilte das Bundesministerium der Verteidigung dazu mit. Das Ausgabevolumen des Sondervermögens Bundeswehr soll für 2024 etwa 19,8 Milliarden Euro betragen – ein Plus von 11,0 Milliarden Euro gegenüber 2023. Unter anderem bezahlt das Verteidigungsministerium davon die Beschaffung von Funkgeräten, leichte Kampfhubschrauber, bodengebundene Luftverteidigung und das Waffensystem F-35A.

Drei Milliarden Euro entfallen weiter auf die Beschaffung von Munition. „Unser Ziel ist klar: die Bundeswehr zu einer zeitgemäßen Landes- und Bündnisverteidigung befähigen“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) dazu. „Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif.“ Die Regierung nehme die Sicherheit und Verteidigung ernst – mit dem diesjährigen Haushalt werde eine Nato-Quote von 2,1 erreicht. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Projekte wie die Lieferung der Leopard-Panzer und der Panzerhaubitzen seien in halber Arbeitszeit durchgebracht worden. „Es geht, wenn wir alle gemeinsam wollen“, sagte Pistorius auf der Bundeswehrtagung im vergangenen November.
Verteidigungsindustrie ist willig, aber die Mittel fehlen
Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV) spricht dagegen eine deutliche Warnung aus. Dr. Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Verbands, sieht vor allem im Fehlen der Mittel und Aufträge ein Risiko. Seiner Einschätzung nach klafft hier eine Schere zu der großen Erwartung in höhere Produktion auf. „Dabei liegt es absolut nicht am fehlenden Willen der Industrie, dass wir nicht schon längst höhere Stückzahlen erreicht haben“, erklärte Atzpodien auf Anfrage von Ippen Media.
Die deutsche Verteidigungsindustrie erhielt bereits gleich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine eine Order vom Verteidigungsministerium, „alles zu tun“, um die Bundeswehr gefechtsbereit zu machen. Atzpodien kritisiert: „Viele unserer Unternehmen haben daraufhin – teilweise auf eigenes Risiko – Anstrengungen unternommen, um die Ausrüstung der Bundeswehr schnellstmöglich zu verbessern. Leider konnte am Anfang aus Haushalts-Gründen fast gar nichts bestellt werden.“ Dies habe sich seit dem Amtsantritt von Minister Pistorius „grundlegend verbessert“ – doch die Bundesregierung ist seinem Ruf nach der Erhöhung des regulären Verteidigungsbudgets nicht gefolgt.
Sondervermögen Bundeswehr bis 2027 aufgebraucht – 2-Prozent-Ziel in Gefahr
Das sei jedoch unbedingt notwendig, denn das viel diskutierte Sondervermögen des Verteidigungsministeriums über 100 Milliarden Euro soll laut BDSV voraussichtlich 2026 aufgebraucht sein. Wie die Bundesrepublik dann – ganz nach ihrer NATO-Zusage – zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung stecken will, ist noch nicht klar. Im Jahr 2028 würden dafür Prognosen zufolge 96 Milliarden Euro gebraucht. Zum Vergleich: 2027 hat das Verteidigungsministerium laut dem 18. Rüstungsbericht rund 52 Milliarden Euro eingeplant – ohne Sondervermögen. Dieses soll bis 2027 aufgebraucht sein. Das reguläre Budget für die Verteidigung würde sich nach der Planung gegenüber 2024 marginal verändern.
„Dies drückt naturgemäß auch auf die Bereitschaft der Unternehmen, ohne feste Auftragsperspektive mit weiterem Kapazitätsaufbau ins eigene Risiko zu gehen“, erklärte Atzpodien. Es sei klar, dass die Bundeswehr auch über 2026 hinaus weitaus höhere Bedarfe hat als das Sondervermögen stemmen kann.
Deutlich mehr Geld für Sicherheit und Verteidigung
Nun hänge „alles“ davon ab, „ob wir als Gesellschaft begreifen, dass wir immer noch deutlich mehr Geld für unsere Sicherheit und Verteidigung ausgeben müssen als wir es gegenwärtig tun“. Die Politik müsse bereits jetzt die Weichen für den Haushalt 2025 und die Folgejahre stellen. Je nach Produkt sei ein gewisser Vorlauf für die Fertigung notwendig. „Je eher bestellt wird, umso schneller kann geliefert werden“, erklärte die Rüstungsindustrie.
Die Unternehmen der Verteidigungsindustrie seien bereit, aber es fehle an verbindlichen Abrufen aus der Bundeswehr. Eine Lösung für das Problem Fachkräftemangel liefert Dr. Atzpodien noch: Aufgrund des Personalabbaus in der Automobilindustrie sei in vielen Bereichen geschultes Personal „für einen Hochlauf der Rüstungsproduktion“ verfügbar.
Auf Anfrage, welche Herausforderungen es auf der Ebene der Bundeswehr zu bekämpfen gebe, hatte sie sich noch nicht gemeldet. Vonseiten der NATO hieß es zuletzt, dass Deutschland eine zentrale „Drehscheibe“ für die Verstärkungs- und Nachschublinien des Verteidigungsbündnisses in Europa werden könnte.