Analyse von Hugo Müller-Vogg - Macht, Zerstörung, 2025: Wagenknechts wahren Plan haben viele noch nicht durchblickt
Sahra Wagenknechtist so mächtig wie noch nie in ihrer politischen Karriere. Ihre ganz auf sie zugeschnittene Kaderpartei BSW wurde schneller erfolgreich als jede andere Neugründung in den vergangenen Jahrzehnten.
Zudem hat das Bündnis bei den jüngsten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zwei Mal CDU und SPD hinter sich gelassen. Ohne oder gar gegen das BSW können in diesen Ländern keine stabilen Regierungen gebildet werden, sofern man nicht mit der rechtsextremen AfD zusammenarbeiten will.
Wagenknecht schwelgt in ihrem Erfolg
Wagenknecht, erfolgreichste politische Ich-AG aller Zeiten und von den öffentlich-rechtlichen Medien gehätschelter Talkshow-Star, genießt ihren Erfolg, sie zelebriert ihn geradezu. Das tut sie, indem sie die CDU in Thüringen und Sachsen am Nasenring durch die Manege zu führen versucht.
Michael Kretschmer, der in Sachsen Regierungschef bleiben, und Mario Voigt, der es in Thüringen werden will, sind zur Audienz nach Berlin gereist, um sich von der Ex-Kommunistin begutachten zu lassen. Die muss nämlich erst den Daumen heben, damit ihre Vasallen vor Ort mit der CDU koalieren dürfen.
Kretschmer und Voigt sind ihr überdies zusammen mit dem ebenfalls auf das BSW angewiesenen brandenburgischen Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) auch inhaltlich entgegenkommen. In einem Gastbeitrag für die „FAZ“ haben sie mehr diplomatische Anstrengungen Berlins zur Beendigung des Ukraine-Kriegs gefordert – fast so, wie Sahra Wagenknecht es befiehlt.
Landespolitik unter außenpolitischen Auflagen
Wagenknecht wollte ihren subalternen Genossen in Dresden, Erfurt und Potsdam Koalitionen mit CDU und SPD von Anfang an nur unter einem außenpolitischen Vorbehalt genehmigen: eine Absage an weitere Waffenlieferungen an die Ukraine und ein Eintreten für Friedensverhandlungen zwischen Kiew und Moskau, obwohl der Kreml-Zar Putin diese strikt ablehnt.
Außerdem: ein landespolitisches Nein zu Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Dass diese in gar keinem ostdeutschen Bundesland stationiert werden dürfen, interessiert Wagenknecht nicht.
Nun fallen Außen- und Sicherheitspolitik eindeutig in die Zuständigkeit des Bundes. Nachdem Kretschmer und Voigt zusammen mit Woidke Wagenknecht den kleinen Finger gereicht haben, greift diese nun nach dem ganzen Arm: Die CDU soll sich in den Koalitionsverträgen mit dem BSW von den außenpolitischen Vorstellungen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz distanzieren.
Wagenknechts Talent „zum Zerstören“
Dies alles macht deutlich, dass Wagenknecht offenbar gar nicht an einer Regierungsbeteiligung des BSW in Ostdeutschland interessiert ist. Etwas zu gestalten hatte bei ihr schon während ihrer langen Zeit bei PDS beziehungsweise Linkspartei nie Vorrang.
Kretschmer hatte vor der Wahl zutreffend konstatiert, Wagenknecht habe „ein Talent, Dinge zu zerstören“. Es gibt mindestens fünf Gründe, warum die „Zerstörerin“ Wagenknecht in den Ländern gar nicht koalieren will.
1. Die Bundestagswahl ist das eigentliche Ziel
Die Landtagswahlen waren ebenso wie die vorangegangene Europawahl für Wagenknecht nur der Aufgalopp zur Bundestagswahl 2025. Schulpolitik, Infrastrukturpolitik oder Wirtschaftsförderung auf Landesebene interessieren sie nicht im Geringsten.
Diese Wahlen waren für Wagenknecht nur Tests, wie groß das Potenzial an Protest- und Wutwählern jenseits der AfD ist. Und eine Möglichkeit, Mittel aus der staatlichen Wahlkampffinanzierung zu kassieren.
Wagenknecht will mit einer möglichst großen Fraktion in den Bundestag einziehen, um dort Fundamentalopposition zu betreiben – ganz gleich, wer den Kanzler stellt. „Opposition aus Prinzip“ – das zieht sich wie ein roter Faden durch Wagenknechts politische Biografie.
2. Wagenknecht ist unfähig zu Kompromissen
Eine Koalition ist ohne Kompromisse nicht möglich. Das gilt für die in Dresden und Erfurt angestrebten Dreier-Koalitionen noch mehr als für herkömmliche Zweier-Bündnisse.
Wagenknecht scheint aber von ihrer Persönlichkeit her gar nicht in der Lage zu sein, sich auch in andere hineinzuversetzen, deren Interessen zu berücksichtigen und Abstriche bei den eigenen zu machen.
Welche Funktion Wagenknecht in der Linkspartei auch hatte: Wo sie war, gab es Streit, sehr heftigen. Wer sich ihr nicht unterwarf, hatte sie zum Feind. Wäre sie willens gewesen, auch mal nachzugeben, wäre es nicht zur Abspaltung des BSW gekommen.
Weil die Linke sich ihr nicht unterworfen hat, will Wagenknecht sie zerstören. Das erinnert an den gnadenlosen Kampf ihres Ehemanns Oskar Lafontaine gegen seine einstige Partei SPD.
3. Wagenknecht will eine grundlegend andere Politik
Wagenknecht hat vor den Landtagswahlen keinen Zweifel daran gelassen, dass sie für eine Politik des „Weiter so“ nicht zu haben ist. Eine Koalition unter Beteiligung des BSW soll für grundlegende Veränderungen sorgen.
Natürlich ist Wagenknecht bewusst, dass tiefgreifende politische Reformen in einer Koalition mit drei höchst unterschiedlichen Partnern kaum umzusetzen sind. Vor allem aber brauchen sie Zeit.
Sollte das BSW in den drei ostdeutschen Ländern mitregieren und zwei oder drei Minister stellen, wird deren Handschrift nicht unmittelbar zu bemerken sein. Signifikante politische Veränderungen wird das BSW nicht bis zum Beginn des Bundestagswahlkampfs vorweisen können.
Ein Mitregieren im Osten sorgt wohl kaum für kräftigen Rückenwind mit Blick auf den Bund. Da hat Wagenknecht es einfacher, wenn sie und ihre Partei Verantwortung scheuen und lieber die anderen als unfähig attackieren.
4. Wagenknecht will die CDU zumindest spalten
Die BSW-Gründerin weiß, dass Kretschmer und Woidke Regierungschefs bleiben wollen, dass Voigt vielleicht die einmalige Chance hat, es zu werden. Ihr ist klar, dass weder CDU noch SPD sich mit der AfD auf eine Kooperation einlassen wollen.
Im Fall der CDU hat sie einen zusätzlichen Hebel. In den ostdeutschen Landesverbänden gibt es nicht wenige Stimmen, die lieber in den Kategorien billiges Gas und Wirtschaftsbeziehungen denken als an Putins Ziel, möglichst große Teile des einstigen kommunistischen Reichs wieder „heimzuholen“.
Mit der Forderung nach einer faktischen Distanzierung von Merz versucht sie, die CDU zu spalten; am liebsten würde sie die Union wohl zerstören. Ohnehin wird Wagenknecht niemanden im nächsten Bundestag so hart angehen wie Merz, der angeblich Deutschland in einen Krieg gegen Russland schicken will.
Man kann aber schlecht im Bund die CDU verdammen, wenn man in drei Ländern gleichzeitig mit ihr koaliert. Solche Koalitionen wären im Bundestagswahlkampf und danach ein Klotz am Bein des BSW.
5. Wagenknecht will das BSW weiterhin mit harter Hand führen
Es gibt zumindest in Thüringen Anzeichen dafür, dass die dortige BSW-Führung lieber regieren als opponieren möchte. Wagenknecht kann aber nicht zulassen, dass sich ihre Parteisoldaten mit einer wachsweichen Friedensformel zufriedengeben.
Sollte Wagenknecht das zulassen, wäre sie nicht mehr die Alleinherrscherin in ihrem BSW-Reich. Dann wäre sie wieder fast da, wo sie bei der Linken schon mal war: dass nicht alle nach ihrer Pfeife tanzen.
Wagenknecht wird schon um des eigenen Machtanspruchs willen die Forderungen für einen Koalitionseintritt so hoch schrauben, dass CDU und SPD aussteigen oder sich verleugnen müssen. Die Wahrscheinlichkeit einer BSW-internen Rebellion ist dagegen gering. Die frisch zu Mandaten gekommenen BSW-Parteigänger wissen wohl, wem sie ihren Aufstieg zu verdanken haben.
Fazit: Für Wagenknecht ist Opposition alles andere als Mist
Politiker mit Verantwortungsgefühl und dem Willen, etwas zu gestalten, finden „Opposition Mist“ (Ex-SPD-Vorsitzender Franz Müntefering). Aber Wagenknecht wollte noch nie etwas gestalten, wollte noch nie konkret Politik machen, weil sie nichts mehr ablehnt, als auch nur den kleinsten Kompromiss einzugehen.
Sahra Wagenknecht hat die Linke verlassen, aber sie ist geblieben, was sie immer war: eine sehr erfolgreiche politische und publizistische Ich-AG. Die drei großen K der Demokratie – Kompromiss, Koalition, Konsens – waren und bleiben für sie Fremdworte.
Wagenknechts politische Karriere ist eine Abfolge von zerstörerischen Kämpfen gegen Freund und Feind. Ihrem Ziel, ihre einstigen Genossen von der Linkspartei zur Bedeutungslosigkeit zu verurteilen, ist sie bereits einen großen Schritt nähergekommen.
Jetzt hat Wagenknecht dasselbe mit der CDU vor. Sie will CDU und SPD zwingen, ihr eigenes Verständnis für den Kriegsverbrecher Putin zu teilen und in den Koalitionsverträgen zu bekunden. Wer ihre Lust am Zerstören unterschätzt, der hat schon verloren.