Nachruf auf eine Jahrhundert-Frau: Je schwächer sie wurde, desto stärker war sie: Wir verneigen uns vor Margot Friedländer
Wenn sie erzählte, ballte sich ab der ersten Sekunde Geschichte im Raum. Niemand redete dazwischen. Sie hauchte ihre Worte hin und hatte doch die lauteste Stimme all derer, die für das "Nie wieder" eintreten.
Tag für Tag und Abend für Abend trat Margot Friedländer vor ihr Publikum. Vor Schüler, vor Journalisten und immer wieder vor die Gäste von Gedenkfeiern oder Galas. Im November rührte sie ein großes Publikum, als sie in München den Bambi für ihr Lebenswerk erhielt.

Margot Friedländer: Zu wenig Schlaf, zu viel zu tun
Von Margot Friedländer, dieser zarten Frau ging eine schier endlose Kraft aus - immer stärker, je schwächer ihr Körper wurde. Sie kam nicht nur, um von damals zu erzählen und den lebenden Beweis für die Totalität des Grauens in der Nazizeit zu geben.
Sie kam auch, um sich zu amüsieren. Margot Friedländer, immer gut gekleidet, legte Wert darauf, nach ihren Auftritten im direkten Gespräch mit den Zuhörern zu sein. Auch der sorgenvolle Blick ihres medizinischen Begleiters auf die Uhr vermochte sie nicht zu stoppen. "Sie kostet jede Sekunde aus und geht viel zu spät ins Bett, obwohl am nächsten Tag wieder Termine anstehen", pflegte der Arzt der Grande Dame festzustellen. Bis spät in die Nacht blieb sie auch vor gut einem halben Jahr im Berliner China Club als Gast von FOCUS online und Tijen Onaran.
Margot Friedländer: "Die Deutschen sind noch zu leise und hoffungsvoll"
Jene so häufigen Szene, in denen sich die Menschen um die Zeitzeugin im Rollstuhl scharten, strahlten Heiterkeit und eine tiefgehende Versöhnung aus. Margot Friedländers Familie wurde einst von den Nazis ausgelöscht, sie selbst überlebte knapp und emigrierte in die USA. Erst im Alter von 88 Jahren kehrte sie nach Berlin zurück und hörte nicht mehr auf von ihrem Leben zu berichten.
Ihre so schockierende und so bewegende Geschichte hat sie in einem Kraftakt vor gut einem Jahr noch einmal dem Spiegel-Journalisten Markus Feldenkirchen erzählt. Entstanden ist ein journalistisches Monument deutscher Erinnerungskultur, das sich an diesem Tag des Abschieds noch einmal besonders empfiehlt. In einer großen Titel-Geschichte schrieb der FOCUS im November über ihr "Leben als Mahnung".

Holocaust-Überlebende mahnte bis zuletzt: "Seid Menschen!"
Zum letzten Mal öffentlich sprach Friedländer zwei Tage vor ihrem Tod. Es war auf der Gedenkfeier in Berlin zum Kriegsende vor 80 Jahren. Wieder sagte sie uns, was zur Bitte ihres Lebens geworden ist: "Seid Menschen. Das ist es, was ich Euch zu tun bitte: Seid Menschen!"
Sie sagt es nicht flehend. Sie sagt es ermunternd und eindringlich. Damit geht der Auftrag einher, den sie immer wieder an uns richtete: "Ich bin die Zeitzeugin. Wenn ich es nicht mehr sein kann, müsst ihr meine Zweitzeugen werden." Wir tun gut daran, Margot Friedländers Rat zu folgen und fortwährend von ihr zu reden in Deutschland.