"Es ist ein Selbstmordkommando"

Vergrößern des Bildes Ukrainische Soldaten steigen in ein Boot am Dnipro (Archivbild). Die Verluste sollen sehr hoch sein, berichten Kameraden. (Quelle: Mstyslav Chernov)
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Ukrainische Soldaten sprechen von Horrorerlebnissen am Ufer des Dnipro. Der Erfolg der Vorstöße dort steht in Frage.

Die Überquerung des Dnipro und die Einrichtung von Brückenköpfen am linken, bislang russisch kontrollierten Flussufer, kommt die Ukraine offenbar teuer zu stehen. Seit zwei Monaten versucht die Militärführung in Kiew, die Stellungen auszubauen, hat sogar schon Fahrzeuge übersetzen lassen.

Soldaten, die dort im Einsatz sind, berichten von einer extrem frustrierenden Lage. Gegenüber der "New York Times" (NYT) ist davon die Rede, dass russische Angriffe immer wieder ukrainische Soldaten im Wasser oder am Ufer treffen, viele erreichten die andere Seite nicht. Mehrere Kämpfer berichteten der Zeitung, dass es kaum mehr Plätze gebe, wo sie sich eingraben können.

Mit vollem Namen wollten die Soldaten nicht genannt werden, und Anfragen der "NYT" an Kommandeure, die Region Cherson besuchen zu dürfen, wurden abgelehnt. Es seien die hohen Verluste, die jetzt zu Berichten an Journalisten geführt hätten, aber auch die zu optimistischen Berichte über den Fortschritt der Offensive, sagen die Kämpfer.

Der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte teilte der Zeitung mit, dass es nicht sofort möglich sei, zu den Vorwürfen der Soldaten Stellung zu nehmen, dass er aber zu gegebener Zeit eine Antwort geben werde.

Tote liegen schon seit Wochen am Ufer

Die heftigsten Kämpfe toben im und um das Dorf Krynky, wo die Ukrainer sich eingegraben haben und die Stellung halten. Dort, so zeigten Drohnenaufnahmen, hätten russische Luftangriffe die wenigen Häuser komplett zerstört, das Flussufer sei nur noch ein Gemenge aus Matsch und zersplitterten Bäumen.

Der Nachschub an Soldaten müsse über die Leichen der Kameraden steigen, um zur Kampfposition zu kommen, wird ein Soldat mit Vornamen Oleksiy zitiert, der seit Oktober in Krynky stationiert ist. Die Toten lägen dort schon seit Wochen, sagt ein Vize-Kommandeur, der sich nur Wolodymyr nennt. "Das linke Ufer ist sehr schwierig", sagte Wolodymyr. "Diejenigen, die es schaffen, sind die wahren Helden, sie sind Männer mit großer Willenskraft."

Der Vorstoß der Ukraine über das Flussufer hat mehr als nur symbolischen Charakter. Ein erfolgreiches Vorankommen hier würde den Weg Richtung Krimhalbinsel über Land ermöglichen. Doch bis dahin ist es noch weit, und dazwischen stehen massive russische Verteidigungsanlagen und Truppen. Ein weiteres Ziel der Ukrainer ist offenbar, die russischen Versorgungswege von der Krim in Richtung Süden abschneiden zu können.

Was das ukrainische Außenministerium vergangenen Monat als erfolgreiche Mission und Einnahme von Positionen bezeichnete, wird von den Soldaten anders gesehen. "Es gibt keine Positionen. So etwas wie einen Beobachtungsposten oder eine Position gibt es nicht", sagte Oleksiy.

"Es ist unmöglich, dort Fuß zu fassen. Es ist unmöglich, dort Ausrüstung zu transportieren." "Es ist nicht einmal ein Kampf ums Überleben", fügte er hinzu. "Es ist ein Selbstmordkommando." Andere Soldaten berichten, wie sie beim Warten auf Boote von russischen Gleitbomben angegriffen wurden. "Das linke Ufer war wie ein Fegefeuer", sagte er. "Du bist noch nicht tot, aber du fühlst dich nicht lebendig", erzählte ein Soldat namens Maksym.

Er sieht die Gründe für ein mögliches Scheitern bei der Planung und dem fehlenden Nachschub. Verwundete müssten zurückgelassen werden, weil es keine Boote gäbe. Die Moral der Soldaten schwinde, die Umstände seien brutal. Manche wüssten nicht einmal, wohin sie geschickt wurden.

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