Analyse von Hugo Müller-Vogg - Grüne klammern sich ans Bürgergeld - dabei legt sogar die SPD eine Kehrtwende hin
Falls die CDU/CSU den nächsten Kanzler stellt, dürften die Tage des Bürgergelds gezählt sein. Dann soll diese Transferleistung, die 2024 das bisherige „Hartz IV“ ablöste, zur „Neuen Grundsicherung“ werden.
Das wäre mehr als ein Namenswechsel, sondern ein Zurück zur einst von Rot-Grün eingeführten Politik des „Förderns und Forderns.“ Das heißt, Hilfe soll es nur noch für die wirklich Hilfsbedürftigen geben.
Die 1,7 Millionen Bürgergeld-Empfänger , die erwerbsfähig sind, sollen sich nach den Unions-Plänen aktiv um Arbeit bemühen. Sie sollen selbst nach einem Job suchen, und nicht alles dem Job-Center überlassen.
CDU: Kein Geld mehr für die, die nicht arbeiten wollen
Wer das nicht tut, wer zumutbare Arbeit ablehnt oder etwa Termine beim Job-Center schwänzt, dem drohen Sanktionen – bis hin zur völligen Streichung jeglicher Staatsleistung.
Auch soll das sogenannte Schonvermögen gestrichen werden. Eigene Ersparnisse müssen also angetastet werden, ehe der Staat zu Hilfe eilt.
Nach Vorstellung der CDU/CSU sollen Flüchtlinge zudem schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden. Parallel zum Sprachkurs einen Job anzunehmen, gilt als zumutbar.
SPD erkennt im Wahlkampf die Schwachstellen des Bürgergelds
Bis vor kurzem hat die SPD solche Änderungen noch strikt abgelehnt. Inzwischen scheint es den Wahlkampfstrategen der SPD zu dämmern, dass die eigene Partei von den Wählern eher als Schutzpatron der Nicht-Arbeitenden gesehen wird und immer weniger als Interessenvertreter der breiten arbeitenden Mitte.
SPD-Fraktionschef Ralf Mützenich hat kürzlich zu bedenken gegeben, „vielleicht halten sich manche Menschen zu lange im Bürgergeldsystem auf“.
Deshalb finde er es richtig, „nicht durchgehen zu lassen, wenn jemand das System ausnutzt. Sollten wir Gelegenheit dazu haben, würden wir in einer neuen Regierung nachsteuern.“
Das hört sich wie ein Angebot an die CDU/CSU an, nach der Bundestagswahl am 23. Februar gemeinsam den überbordenden Sozialstaat zu reformieren. Dabei sind für die SPD selbst die Leistungen an die vielen ukrainischen Flüchtlinge nicht mehr tabu.
Geringe Leistungen für Ukraine-Flüchtlinge?
Mützenich: „Ein Teil der Flüchtlinge aus der Ukraine hat offenbar einen Mehrwert abgeschöpft, der nicht gerechtfertigt ist.“ Offenbar sollen Ukrainer künftig statt Bürgergeld die niedrigeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.
Im Entwurf für das Wahlprogramm hält die SPD am Bürgergeld als steuerfinanzierte Grundsicherung fest. Allerdings solle die Unterstützung kein bedingungsloses Grundeinkommen sein, heißt es dort.
Von der Wirtschaft, vielen Ökonomen und der Opposition war stets kritisiert worden, schon der Begriff Bürgergeld lasse die Menschen glauben, jeder Bürger habe Anspruch auf diese Leistung. Demnach hätte jeder die freie Wahl zwischen Arbeit und staatlicher Unterstützung.
Arbeitsminister Heil schweigt zur Kritik am Bürgergeld
Die SPD hatte vor gut zwei Jahren die Einführung des Bürgergelds als „größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren" (Arbeitsminister Hubertus Heil) gefeiert: höhere Leistungen gegenüber „Hartz IV“ sowie deutlich verringerte Sanktionen.
Doch selbst SPD-Minister Heil hat längst einräumen müssen, dass die Arbeitsbereitschaft der Bürgergeld-Bezieher nicht gestiegen ist, im Gegenteil. Auch sein „Job-Turbo“, der Flüchtlinge schneller in Arbeit bringen sollte, erwies sich als Flop.
Es fällt auf, dass Heil sich zu der deutlichen Kritik Mützenichs nicht geäußert hat. Ob auch der Arbeitsminister sieht, wie unpopulär das Bürgergeld vor allem bei Arbeitnehmern ist, den ehemaligen Stammwählern der SPD?
„Wer arbeitet, ist der Dumme“
Eine Allensbach-Umfrage hat jedenfalls ergeben, dass die Mehrheit der Deutschen der Meinung ist, dass derjenige, „der sich anstrengt und viel arbeitet, der Dumme ist“. In den unteren Einkommensgruppen stimmen sogar zwei Drittel dieser Einschätzung zu.
All dies kann die Grünen, bei denen viele mit einem bedingungslosen Grundeinkommen liebäugeln, nicht davon abbringen, am Bürgergeld festzuhalten. Jede Änderung gilt bei ihnen - ungeachtet aller Fehlentwicklungen - offenbar als Verrat am Sozialstaat.
Grüne wollen alles lassen, wie es ist
Der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch kommentierte Mützenich so: „Die SPD will sich offensichtlich zurück in die alten GroKo-Zeiten retten. Schade, dass sich die SPD zuallererst bei sozialen Themen der CDU anbietet.“
Im Entwurf des Grünen-Wahlprogramms heißt es nicht ohne Stolz, man habe „Hartz IV überwunden und es durch das Bürgergeld ersetzt. Es schützt vor Armut und ermöglicht die Teilhabe an unserer Gesellschaft.“
Die Grünen wehren sich dagegen, „arbeitslose und arbeitende Menschen gegeneinander auszuspielen“. Vielmehr sorge die Öko-Partei „gleichzeitig für gute und auskömmliche Arbeit“. Dies hat seit 2021 allerdings nicht recht funktioniert.
AfD will Bürgergeld-Bezieher zu „Bürgerarbeit“ zwingen
Die größten Einschnitte beim Bürgergeld kündigt allerdings die AfD an. Sie plädiert für eine „aktivierende Grundsicherung als Ersatz für das Bürgergeld“. Wer länger als sechs Monate Bürgergeld bezieht, soll wöchentlich 15 Stunden „Bürgerarbeit in gemeinnützigen Bereichen“ leisten.
So will die Partei den Zugang zu Schwarzarbeit erschweren, da diese „sich immer größerer Beliebtheit erfreut“. Wer sich der Bürgerarbeit verweigert, soll nur noch Sachleistungen erhalten.
Zudem will die AfD diese Sozialleistung „grundsätzlich auf deutsche Staatsbürger beschränken“. Zuwanderer, die nicht arbeiten, bekommen demnach keinen Euro mehr. Das dürfte freilich am Bundesverfassungsgericht scheitern.
Knapp 50 Milliarden für das Bürgergeld, 53 Milliarden für Verteidigung
Die Bürgergeld-Praxis bewegt nicht nur die Gemüter vieler Wähler; sie ist auch teuer. Sie kostet den Steuerzahler fast 50 Milliarden Euro.
Dazu zählen die Geldleistungen für die 5,6 Millionen Bürgergeld-Bezieher, die Übernahme der Mieten und Heizungskosten, die entsprechenden Zuschüsse an die Krankenkassen sowie der mit all dem verbundene Verwaltungsaufwand. Zum Vergleich: Der Verteidigungshaushalt beläuft sich auf 53 Milliarden Euro.
Die Bürgergeld-Praxis berührt das Gerechtigkeitsempfinden der vielen Arbeitnehmer, die den Sozialstaat zu einem erheblichen Teil mit ihren Steuern und Abgaben finanzieren. Die unterschiedlichen Vorstellungen der großen Parteien werden deshalb den Wahlausgang mitbestimmen.