„Funktioniert nur durch maximale Routine“ - 120 Ironmans am Stück: Jonas (37) knackt irren Weltrekord - jetzt will er noch mehr

Genau 23 Minuten – so viel Zeit nimmt Jonas Deichmann sich, um sich umzuziehen, einen Espresso zu trinken und vom Fahrrad zu steigen und die Laufschuhe anzuziehen. Dann absolviert er einen Marathon. Und das, nachdem er an diesem Tag bereits 3,8 Kilometer geschwommen und 180 Kilometer Radfahren mit 1500 Höhenmeter absolviert hat.

Triathlon-Langdistanz also, ein Ironman. Allerdings macht Jonas Deichmann das nicht an einem einzigen Tag, auf den er sich monatelang vorbereiten und danach sein Körper regenerieren kann. Nein, Jonas Deichmann absolviert jeden Tag einen Ironman, 120 Tage hintereinander, ohne einen einzigen Pausentag.

In Stuttgart geboren, bei Pforzheim aufgewachsen

„Ich war immer Abenteurer und Leistungssportler, wobei der Fokus mehr auf Abenteurer lag“, sagt Deichmann. Der in Stuttgart geborene und bei Pforzheim aufgewachsene 37-Jährige ist 2023 von New York aus quer durch die USA nach Los Angeles geradelt – und zurückgejoggt. Er fuhr schon auf dem Rad vom Nordkap in Norwegen nach Kapstadt in Südafrika. 250 Kilometer Rad fahren oder 60 Kilometer joggen am Tag sind für ihn normal.

Doch seit zwei, drei Jahren habe er mit dem Gedanken gespielt, ein Projekt zu machen, „bei dem ich schauen kann, was im extremen Ausdauerbereich geht“.

Während er das erzählt, joggt er am Main-Donau-Kanal in Roth entlang, um ihn herum ein Pulk mit etwa 50 Fans, die ihn beim Laufen begleiten. Roth – eine Kleinstadt in Oberfranken (Bayern), in der jedes Jahr der Ironman Challenge Roth mit Tausenden Teilnehmern ausgetragen wird – ist auch der Ort, den sich Deichmann für sein bisher extremstes Projekt ausgesucht hat. Interviews mit ihm sind nur möglich, wenn er Sport macht. Denn seit 9. Mai läuft jeder Tag für ihn gleich ab. Freie Zeit gibt es nicht.

Auf dem Fahrradlenker isst er Pasta

„Mein Wecker klingelt jeden Morgen um 5.40 Uhr“, sagt Deichmann. Dann gibt es ein erstes Frühstück. Um 6.30 Uhr springt er in den Rothsee. Nach einer guten Stunde Schwimmen steht das zweite Frühstück an. Gegen 8.20 Uhr steigt er aufs Fahrrad. Er macht zwar eine kurze Mittagspause, doch ansonsten isst er Pasta & Co. auf seinem Lenker – eine spezielle Konstruktion ermöglicht es.

Gegen 16 Uhr kommt er mit dem Fahrrad wieder in Roth an, dann beginnt der Marathon. Gegen 21.30 Uhr sollte er das „Läufchen“, wie er es nennt, beendet haben, damit noch genügend Zeit bleibt für Abendessen, Physiotherapie und zumindest sechseinhalb Stunden Schlaf.

Wird das nie öde? Jeden Tag der gleiche Ablauf, die gleiche Strecke? Jonas Deichmann winkt ab. Es seien ja jeden Tag andere Menschen, die mit ihm schwimmen, joggen und Rad fahren. „Ein Projekt, bei dem ich täglich mehr als 14 Stunden Sport mache und so am Limit bin, funktioniert nur durch maximale Routine“, sagt er. „Wenn man die Routine bricht, passieren Fehler. Das kostet Zeit. Und jede Minute Schlaf zählt.“

14 bis 16 Liter Wasser trinkt er pro Tag

10 000 Kalorien pro Tag verbrennt Jonas Deichmann, die muss er nachfüllen. Hinzu kommen 14 bis 16 Liter Wasser pro Tag. „Das ist wie ein Auto, bei dem du das Benzin immer ganz oben haben möchtest – aber es soll nicht überlaufen“, erklärt er. „Von dem Moment, in dem ich aufwache, bis zu dem Moment, in dem ich einschlafe, vergehen nie mehr als 20 Minuten, in denen ich nicht esse.“

So komme er auf 90 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde – und auf 10 000 Kalorien pro Tag, rechnet er vor. „Essen ist eine der größten Herausforderungen bei diesem Projekt.“ Hitze mache ihm dafür nichts aus: Am liebsten seien ihm 30 Grad und Sonne.

Der 37-Jährige ist kein Muskelprotz, er ist sehr schlank und sehnig. Seine Kraft ist sein immenser Wille, seine Gesundheit und seine Zuversicht. Auf die Frage, was vor dem Projekt in Roth seine größte Sorge gewesen sei, entgegnet er: „Sorgen hatte ich keine – nur Herausforderungen.“ Etwa: „Schaffe ich es, genügend zu essen und macht meine Verdauung das über vier Monate hinweg mit? Und wie schaffe ich, es nicht krank zu werden oder mich zu verletzen?“

Keine Schmerzmittel vor dem Sport genommen

Es habe mehrere kritische Momente gegeben, sagt Deichmann. „Die ersten drei Tage ging noch alles super, ab Tag vier fing es an, wehzutun. Am fünften und sechsten Tag hat mein ganzer Körper mir signalisiert: Was tust du mir an?“. Dann habe sich sein Knie entzündet, „da konnte ich mit Physiotherapie und einer sauberen Lauftechnik gegensteuern“. Später waren mehrere Wirbel, das Kreuzbein und Rippen verschoben. „Das hat sich angefühlt wie ein extrem harter Hexenschuss.“

Zweimal war er erkältet. Er hat es immer wieder in den Griff bekommen, konnte weitermachen und wird von einem Arzt überwacht. Zudem gibt Deichmann niemandem die Hand oder umarmt jemandem, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Schmerztabletten habe er nur wegen Rückenschmerzen nehmen müssen: Ibuprofen, das stehe nicht auf der Dopingliste. Er habe diese abends vor dem Schlafengehen genommen, „damit der Körper die Chance hat, sich zu erholen“. Unter dem Einfluss von Schmerzmitteln Sport zu machen, davon rät er vehement ab.

Jonas Deichmann will ein Vorbild sein – und ist überzeugt, dass er das auch ist. „Schau’ doch mal, wie viele hier mit mir ihren ersten Marathon laufen“, sagt er und zeigt auf die Menschen, die vor und hinter ihm joggen. „Ich motiviere viele Leute dazu, mehr Sport zu machen.“ Tatsächlich scheint er für manche Hobbysportler eine Art Held zu sein. Um mit ihm zu laufen oder Rad zu fahren, hören sie früher mit der Arbeit auf, nehmen Urlaub und buchen Zimmer in Roth. Sie kommen aus ganz Deutschland, der Schweiz, aus Italien. Zwar versuchen viele, dicht bei ihm zu laufen, doch kaum jemand spricht ihn ungefragt an. Ihnen reicht es, für einige Stunden Teil dieses Projekts zu sein.

Festen Wohnsitz hat er schon lange nicht mehr

Ein Fan aus München ist zum zweiten Mal nach Roth gefahren, um den Extremsportler beim Marathon zu begleiten. Er folgte Jonas Deichmann bereits auf Instagram, als er nur 400 oder 500 Follower hatte, sagt er. Damals habe man ihm noch einfach eine Nachricht schreiben können, ob er ein Bier trinken gehen wolle. Inzwischen hat Jonas Deichmann knapp 300 000 Follower auf Instagram – und in Roth verschwindet er nach dem Zieleinlauf schnell in der Dunkelheit.

„Ganz alleine bin ich nur unter der Dusche, auf der Toilette und beim Schlafen – sonst nie“, sagt er. Das sei eine immense Herausforderung, gibt Deichmann zu. Schließlich ist er früher monatelang alleine durch die Welt geradelt, hat Geburtstage oder Weihnachten im Ein-Mann-Zelt verbracht. Einen festen Wohnsitz hat er schon lange nicht mehr, er übernachtet mal in Campingbussen, mal in Hotels, mal in Zelten.

Am 22. August hat er den Weltrekord gebrochen

Von außen betrachtet ist die einzige Person, die Jonas Deichmann nahe kommt, sein Vater. Sammy Deichmann kümmert sich um Interviews, Auftritte, Papierkram, Absprachen mit Ernährungsberatern, Ärzten und Physiotherapeuten – und das Waschen der verschwitzten Sportkleidung.

Die Schinderei für den Extremsport zahlt sich aus: Nach dem Verschleiß von zwölf Paar Laufschuhen und drei Neoprenanzügen hat Deichmann am 22. August den Weltrekord gebrochen. Bis dahin lag der bei 105 Triathlons hintereinander, gehalten von dem Simbabwe-Brite Sean Conway.