Eine flog über das Kuckucksnest: „Rusalka“ in Regensburg
Louisa Proske steckt Rusalka am Theater Regensburg in die geschlossene Anstalt. Das bringt eindrückliche Bilder, aber manchmal verheddert sich die Regisseurin auch im Konzept. Für Dvoraks Melos ist vor allem der Orchestergraben zuständig.
„10 000 Watt haben die mir pro Tag verpasst, und jetzt bin ich richtig aufgeheizt!“ McMurphy sieht das locker. Auch weil ihm in Miloš Formans Kino-Klassiker klar ist: Er wird in „Einer flog über das Kuckucksnest“ die Revolte anführen, gegen die Oberschwester, gegen die dämpfenden Pillen und auch gegen die Elektroschocks, die einen aus angeblichem Wahnsinn zurück in die Normalität bringen sollen – und die es, auch das sagt (nicht nur) dieser Film, gar nicht geben kann. Seine entfernte Verwandte, im Original eine Nixe, kapituliert dagegen. Gefesselt muss Rusalka die Stromstöße ertragen, auch die Zwangsjacke, vor allem Ježibaba, die im Weißkittel und mit Oberschwesternhaube über die inhaftierten Frauen wacht.
Dvoraks tragische Heldin, die sich aus ihrer Realität in eine andere sehnt und als ewig Ausgegrenzte endet, haben schon andere in die geschlossene Anstalt gesteckt. Nicht zuletzt Martin Kušej an der Bayerischen Staatsoper, der mit einer erschütternden Deutung seine wohl beste Opernregie überhaupt ablieferte. Der dunkle Psycho-Gehalt, von dem schon die Märchenvorlage raunt, hat nun auch Regisseurin Louisa Proske verführt. Am Theater Regensburg wird aber nicht nur „Eine flog über das Kuckucksnest“ gegeben, sondern Kušej light.
Die Hochzeitsfeier endet in der Zwangsjacke
Diese Rusalka trifft ihren Prinzen an einer Tankstelle der Verdammten, ein Bild der Verlorenheit à la Edward Hopper. Sind es Tabletten, Spritzen oder einfach Wunschüberschüsse: Irgendwann träumt sie sich in die Hochzeit mit dem Lover hinein, die hier in einer holzgetäfelten Jagdvilla (Ausstattung: Dorota Caro Karolczak) gefeiert wird. Und wo dieser bald den Reizen der fremden Fürstin erliegt. Dazu taucht immer wieder eine Kindversion Rusalkas auf. Und irgendwann begreifen wir nicht mehr: Ist die Hochzeit, die mit Zusammenbruch und Zwangsjacke endet, die Vorgeschichte zum Klinikaufenthalt? Ein Wunschtraum? Oder „nur“ Nebenwirkung der Chemikalien?
So sehr Louisa Proske, stellvertretende Intendantin und Hausregisseurin in Halle, in ihren minutiösen und klug durchrhythmisierten Szenen Schauspielqualität entfaltet, so sehr verheddert sie sich auch in den Perspektiven. Eine Überambition spricht aus dieser Inszenierung, aus der mehrere unverknüpfte Fäden heraushängen. Manchmal darf das Gesangspersonal sein Heil an der Rampe suchen. Auf der anderen Seite ereignen sich auch intime, hintergründige Szenen: Wenn Rusalka von den Pflegern gewaschen wird, ist dies die einzige körperliche Nähe, ja Zärtlichkeit, die ihr widerfährt.
Und was es vor allem gibt: ein dämonisches, intrigantes Monstrum als Oberschwester, was besonders Svitlana Slyvia und ihrem unerschrocken eingesetztem Mezzosopran zu danken ist. Eine Mittelpunktsfigur. Überhaupt ist es ziemlich robust, was von der Bühne Richtung Parkett und Ränge dringt. Theodora Varga ist als Rusalka auf der dramatischen Seite unterwegs, kann aber ihren Sopran gut auspegeln und hat das Regie-Konzept sehr verinnerlicht. Hany Abdelzaher steckt einiges an tenoraler Kraft in den Prinzen, die Naivität des Macho-Blaubluts kommt gut über die Rampe. Roger Krebs kann als Wassermann vokal machtvoll, aber auch väterlich zerknirscht sein. Doch für Dvoraks Melos sind an diesem Premierenabend andere zuständig, und die sitzen im Graben.
Finale wie in der „Götterdämmerung“
Generalmusikdirektor Stefan Veselka macht mit dem Philharmonischen Orchester Regensburg so gut wie alles hörbar, was in Dvoraks Partitur zusammenfließt. Das Volkstum, die herbe Dramatik, auch das utopische Potenzial, das sich nicht nur in Rusalkas „Lied an den Mond“ manifestiert. Manchmal, wie in den ersten Takten des Vorspiels, scheint die Musik erst zu sich kommen zu müssen – eindrückliche Sekunden sind das. Und all dies ist kammermusikalisch empfunden, nie wird der Klang überreizt, das kleinere Regensburger Haus tut dem Stück irgendwie gut.
Die Regisseurin drängt es dagegen zu Monumentaleren. Louisa Proske lässt alles im wagnerhaften Fanal enden. Als Rusalka an der erneut erscheinenden Tankstelle zu Kanistern greift und die Leiche des Prinzen mit Benzin übergießt, wird sie zur Schwester Brünnhildes. Eine „Götterdämmerung‘“ aus tschechischem Geist. Bald steht die Anstalt in Videoflammen (Jorge Cousineau), und nicht nur Rusalka wird diese Erkenntnis mit ins Feuer nehmen: Letztlich ist Wahrheit Definitions- und Herrschaftssache. Sie war leider auf der falschen Seite.