Kommentar zur Todesfahrt von Magdeburg - Ohnmachts-Republik Deutschland? Warum wir mit diesem Gefühl vorsichtig sein sollten
Taleb A., der Todesfahrer von Magdeburg, riss mindestens fünf Menschen aus dem Leben. Er zerstörte die Gesundheit von mehr als 40 Menschen, die sehr lange mit schwersten Verletzungen kämpfen werden. Und er zertrümmerte die Hoffnung einer ganzen Nation auf ein gesegnetes, nach einem Jahr vieler Zumutungen und Enttäuschungen versöhnliches Weihnachtsfest.
Erinnerungen an Berlin 2016
Die schrecklichen Bilder von Magdeburg ließen am Freitagabend Erinnerungen an Berlin 2016 aufkommen, wo der Dschihadist Anis Amri mit einem Lkw in die Menge auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz fuhr und 13 Menschen tötete.
Doch der Attentäter von Magdeburg hatte offenbar kein islamistisches Motiv. In den Jahren und Monaten vor der Tat äußerte er sich im Gegenteil mehrfach radikal islamkritisch, aber auch zunehmend wirr. Vieles deutet bei dem 50-jährigen Taleb A., der seit 2006 in Deutschland lebte und als Facharzt für Psychotherapie in einer Klinik in Bernburg arbeitete, auf ideologische Verblendung, zunehmende psychische Probleme und Drogenmissbrauch hin.
Nach Anschlag von Magdeburg stellen sich beunruhigende Fragen ein
Der Schmerz und der Schock, die Trauer um die Angehörigen und das Leid der Schwerverletzen sind erneut schier unermesslich. Wenige Tage vor Weihnachten ist die Todesfahrt von Magdeburg ein gewaltiger Schock, ein Rückschlag für ein tief verunsichertes Land. Auch wenn der Anschlag in keiner Kontinuität zu den islamistischen Gewalttaten der jüngeren Vergangenheit steht, stellen sich erneut beunruhigende Fragen ein:
- Sind wir Gewalt, Messerattacken und Anschlägen im öffentlichen Raum schutzlos ausgeliefert?
- Sind unsere Sicherheitsbehörden nicht mehr handlungsfähig?
- Leben wir in einer „Ohnmachts-Republik“ Deutschland, in der so gut wie nichts mehr funktioniert?
Wir sollten alle innehalten
Stopp! Bevor wir diesen einfachen Erklärungsmustern nachgeben, sollten wir alle innehalten. Denn das tödliche Drama von Magdeburg eignet sich weder für schnelle Schuldzuweisungen noch für die schnelle Bestätigung vorgefasster Meinungen und ideologischer Überzeugungen.
Der Fall ist komplex, die Ursachen für die Tat sind vielschichtig. Antworten auf die Fragen nach dem Motiv des Täters und möglichen Fehlern der Behörden liegen nicht einfach auf der Hand. Sie werden nur durch eine professionelle, faktenbasierte Arbeit der Ermittler beantwortet werden können. Darum mahnt auch der Extremismus-Forscher Ahmad Mansour zu Recht vor voreiligen Schlüssen und einfachen Feindbildern.
Diese Punkte müssen noch aufgeklärt werden
Es gibt zahlreiche Punkte, die von den Ermittlungsbehörden noch aufgeklärt werden müssen:
- Schwer nachzuvollziehen ist etwa, warum der Todesfahrer mit seinem schwarzen BMW an Pollern und Betonsperren vorbeifahren konnte. Gab es Pannen bei der Absicherung des Weihnachtsmarktes?
- In Magdeburg heißt es zudem, es solle Warnungen an deutsche Behörden vor Taleb A. gegeben haben. Von drei Hinweisen aus Saudi-Arabien ist die Rede. Wer wann informiert wurde, muss lückenlos aufgedeckt werden.
- Offenbar wollten die Behörden vor einem Jahr eine Gefährderansprache bei Taleb A. durchführen. Doch diese kam nie zustande – warum nicht?
- Zudem sollte der Todesfahrer einen Tag vor dem Anschlag in Berlin vor Gericht erscheinen – wegen eines Notruf-Missbrauchs ging es laut „Spiegel“ um einen Strafbefehl über 20 Tagessätze à 30 Euro. Doch Taleb A. schwänzte den Termin.
Was jedoch neben all den offenen Fragen im Fall Talib A. längst klar ist: Deutschland hat seine nationale Sicherheits-Architektur seit Jahrzehnten vernachlässigt. Der öffentliche Raum muss endlich wieder besser geschützt werden – unabhängig vom Spektrum, aus dem potenzielle Gewalttäter kommen.
Die Sicherheit in Deutschland hat massiv gelitten
Erinnern Sie sich auch an die Weihnachtsmärkte in Ihrer Jugend? Damals verschwendeten wir keinen Gedanken daran, ob wir sicher sind, ob unser Leben in Gefahr sein könnte. Heute hat sich die Sorge vor einem Attentat oder einer Messerattacke leider in den Hinterköpfen eingenistet.
Die Sicherheit – nicht nur das Sicherheitsgefühl! – hat in den vergangenen Jahren in Deutschland massiv gelitten. Die Todesfahrt von Magdeburg ist 2025 der dritte große Anschlag im öffentlichen Raum, der in Erinnerung bleiben wird – nach dem islamistischen Attentat in Solingen und der ebenfalls islamistisch motivierten tödlichen Messerattacke auf einen Polizisten in Mannheim.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sprach in Magdeburg von „einer Last, die wir nur schwer ertragen“, die für das Land kaum zu „tragen ist“. Auch wenn „heute nicht der Tag dafür“ sei, müsse über den Schutz der Bürger gesprochen werden.
Der Staat muss die Menschen schützen können
Deutschland braucht eine deutliche Aufstockung der Sicherheits-Organe und eine bessere Ausrüstung der Beamtinnen und Beamten. Die Polizei-Präsenz in der Öffentlichkeit muss erhöht, digitale Fahndungs- und Ermittlungsmöglichkeiten müssen deutlich verbessert werden. Bundespolizei, BKA und Verfassungsschutz können den Kampf gegen potenzielle Gewalttäter und Attentäter nicht „nachrichtendienstlich gefesselt“ führen, wie es Ex-BND-Chef August Hanning ausdrückt.
Der Staat muss die Menschen schützen können. Die Sicherheit der Bürger vor Terror und Gewalt ist eine der wichtigsten Aufgaben, der sich die kommende Bundesregierung stellen muss.