Rebellion gegen Asylkurs: Grünen-Basis attackiert Parteispitze in Brief
Mehrere hundert Grüne kritisieren die Parteispitze für die Sprache in der Migrations-Debatte. Im Gespräch mit dem Münchner Merkur erklärt eine Abgeordnete, was sie damit meint.
Karlsruhe – Die Grünen streiten vor dem Parteitag über den richtigen Ton in der Migrationsdebatte. Die Parteispitze sowie führende Grüne wie Winfried Kretschmann verteidigen den Asylkompromiss und wollen die „irreguläre Migration eindämmen“. Dem linken Flügel der Partei gehen diese Begriffe zu weit. Sie sehen „gefährliche, teils verdeckt rassistische, Diskursmuster“. Was meinen sie damit? Der Münchner Merkur hat nachgefragt.
„Man muss darauf achten, welche Sprache man verwendet“
Vor einigen Tagen erreichte die Parteispitze der Grünen ein Brief aus der Basis. Das Schreiben mit dem Titel „Zurück zu den Grünen“ liegt unserer Redaktion vor. Darin bedauern mehrere Hundert Mitglieder, dass „die Grünen von einer Partei für wirkliche Veränderung zu einer Agentur für zweifelhafte Kompromisse verkommen sind“. Man zeigt sich zwar kompromissbereit, betont jedoch: „Wir sind nicht bereit, unsere Grundwerte aufzugeben.“ Das kommt besonders bei der Asylpolitik zum Tragen, wo die Autoren ein „Aushöhlen der Menschenrechte“ durch verschärfte Abschieberegeln erkennen.
Die Initiative für dieses Schreiben ging vom linken Flügel des Grünen-Landesverbands in Thüringen aus. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der dortigen Grünen, Madeleine Henfling, erkennt im Gespräch mit dem Münchner Merkur „deutschland- oder sogar europaweit eine Anti-Asyl-Debatte, die den Diskurs wöchentlich weiter nach rechts verschiebt.“ Das Problem für die Grünen: „Wir kommen dem ein Stück weit entgegen“, sagt Henfling. „Unsere eigenen Bundesspitzen übernehmen Begriffe von rechts, die ich problematisch finde.“ Henfling lobt die Grüne Basis dafür, frühzeitig solche Tendenzen zu erkennen, und betont: „Man muss darauf achten, welche Sprache man verwendet.“
Welche Begriffe sind damit gemeint? Henfling spricht von Rückführungsabkommen: („Wir reden hier über Menschen und nicht über Gegenstände, die wir verschieben“) und irregulärer Migration („Ein Begriff von Rechtsaußen, der Einzug in die Ministerpräsidentenkonferenz findet und den teilweise Grüne benutzen.“). Grüne, wie Baden-Württembergs Regierungschef Kretschmann, der sich für eine „Eindämmung der irregulären Migration“ ausspricht. Auch die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour verwenden den Begriff, in einem offiziellen Parteistatement wird über „den besten Weg, um irreguläre Migration einzuschränken“, diskutiert.

Vor dem am Donnerstag startenden Grünen-Parteitag in Karlsruhe gibt es aber nicht nur Streit um die richtige Tonalität. Vielmehr geht es um den Grundsatzkurs der Partei. Wie positionieren sich die Grünen zwischen einer „menschenrechtswürdigen Politik“ und steigenden Migrationszahlen, mit denen auch von Grünen mitregierte Landkreise zu kämpfen haben? Henfling sagt: „Das Problem sind weniger die Geflüchteten, die zu uns kommen. Sondern mehr die Frage: Wie weit sind Staat, Verwaltung und Gesellschaft in der Lage, damit umzugehen?“
Seit Monaten droht dieses emotional aufgeladene Thema die Partei zu spalten. Schon im Sommer hatten Grünen-Mitglieder einen Brief zum Asylkurs der Partei verfasst. Auch dieses Schreiben liegt uns vor. Es ist auch ein alter Grabenkampf zwischen Fundis und Realos, der nun neu entfacht zu sein scheint.

„Keine Ahnung, wer sich das ausgedacht hat: ein großer Unsinn“
Die Parteiführung verteidigt den jüngsten Asylkompromiss, der unter anderem schnellere Asylverfahren und lockere Abschieberegeln vorsieht. Sie ist sich der Sprengkraft des Themas aber bewusst. Deshalb steht die Migrationspolitik auch schon am ersten Tag des viertägigen Treffens auf der Agenda. Geplant ist unter anderem eine Debatte über „Humanität und Ordnung“. Abermals ein Begriff, der im linken Lager für Kritik sorgt. „Keine Ahnung, wer sich das mit dem Ordnungsbegriff ausgedacht hat, aber ich halte das für einen großen Unsinn“, sagt Henfling.
In dem Brief ist auch von der „SPD-isierung der Grünen“ der Rede. Die Autoren „meinen damit, dass die Grünen auf Bundesebene wie eine Partei wirken, die alles mitträgt – egal, wie sehr es eigenen moralischen und politischen Grundsätzen zuwiderläuft – um zu regieren.“ Die Asylpolitik ist nämlich nicht das einige Thema, in dem sich die regierenden Grünen laut Unterzeichnern vom Grundkurs der Partei entwerfen. Kritisiert werden auch das Bundeswehr-Sondervermögen oder die Kindergrundsicherung. Auf dem Parteitag der Grünen gibt es also viel zu besprechen. (as)