Nach Ausschreitungen in Frankfurt: „Fußballchaoten müssen bei EM mit Präventivhaft rechnen“
Polizei-Gewerkschaftschef warnt: „Fußballchaoten müssen bei EM mit Präventivhaft rechnen“
In gut sechs Monaten beginnt die Fußball-EM in Deutschland. Wie können Szenen wie in Frankfurt verhindert werden? Seitens der Polizei kommt ein drastischer Vorschlag.
Frankfurt – Mindestens 170 Verletzte. So lautet die erste Bilanz der Ausschreitungen beim Bundesliga-Spiel Eintracht Frankfurt gegen den VfB Stuttgart. Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art in der aktuellen Saison. Die Vorfälle von Samstag unterscheiden sich jedoch in der Dimension der Gewalt – auf beiden Seiten. Die Polizei spricht von 59 verletzten Ordnern und 57 Polizeibeamten. Die Frankfurter Fanhilfe geht von mindestens 70 verletzten Fans, davon sieben Schwerverletzte, aus.
Was die Krawalle mit anderen Vorfällen gemeinsam haben: Im Nachhinein schieben sich die Beteiligten gegenseitig die Schuld zu. Fans fühlen sich stigmatisiert und werfen der Polizei einen überzogenen Einsatz sowie bewusste Eskalation vor. Die Polizei rechtfertigt ihr Vorgehen und fordert für die anstehende EM 2024 in Deutschland ein strenges Vorgehen .
„Auffällige Fußballchaoten müssen bei EM mit Präventivhaft rechnen“
Rainer Wendt, Chef der deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), will mit Blick auf Heim-EM die Regeln verschärfen. „Auffällige Fußballchaoten müssen mit Präventivhaft rechnen“, sagt Wendt IPPEN.MEDIA. „Notfalls und wo es möglich ist, auch für mehrere Wochen.“ Die Präventivhaft ist im Polizeirecht der Länder geregelt und erlaubt es den Behörden, Menschen in Gewahrsam zu nehmen, wenn von ihnen eine Gefahr ausgeht. Die Maßnahme ist umstritten. Denn ob das der Fall ist, kann die Polizei in der Regel selbst entscheiden. Der Freistaat Bayern hatte so im Sommer Mitglieder der Letzten Generation in Präventivhaft genommen.
Könnte das auch Fußballfans bei der EM drohen? Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) schließt das auf Anfrage nicht aus. „Gewalt bei Fußballspielen gilt es zu verhindern“, sagt Hessens GdP-Chef Jens Mohrherr im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wenn Präventivhaft das einzige Mittel dazu ist, dann ist es so.“
Dachverband der Fanhilfen kritisert Polizei und warnt vor Eskalation
Die aktive Fußballszene lehnt solche „überzogenen Maßnahmen“ entschieden ab und kritisiert die Polizei. Linda Röttig, Vorstandsmitglied im Dachverband der Fanhilfen, sieht auf Anfrage eine „erneute Gewalteskalation der Polizei gegenüber Fußballfans“ und meint: „Vor der EM setzt die Polizei offenbar auf eine Eskalationsstrategie gegen Fans.“ Die Zusammenstöße Zwischen Polizei und Fans in Frankfurt seien „der nächste Höhepunkt in einer verheerenden Entwicklung, die sich seit Monaten abzeichnet.“ Röttig sieht einen „brandgefährlichen Mix aus Gewalt und Eskalation“, der nicht zur seit Jahren bundesweit zurückgehenden Zahlen an Straftaten und Verletzten in den Stadien passe. „In erschreckender Regelmäßigkeit werden Fußballfans Woche für Woche brutal und rücksichtslos durch die Polizei attackiert, das muss sofort gestoppt werden.“
Immer wieder gibt es Stress zwischen Polizei und Fans. In dieser Spielzeit kam es zu Vorfällen bei Bochum gegen Köln, St. Pauli gegen Hannover, Braunschweig gegen Paderborn oder Elversberg gegen Rostock. Die jeweiligen Fanszenen werfen der Polizei vor, die Gewalt mit unverhältnismäßigen Einsätzen provoziert zu haben. Umstritten ist etwa der Einsatz von Pfefferspray, wodurch in Frankfurt wohl auch Unbeteiligte und Kinder verletzt wurden.

Grünen-Politiker: Fans und Polizei nehmen Verletzungen Unbteiligter in Kauf
Einmal mehr liegen Polizei und Fans in ihren Standpunkten weit auseinander. Die Politik wiederum nimmt beide Seiten in die Pflicht. Philip Krämer, Grünen-Abgeordneter aus Hessen und Obmann im Sportausschuss, findet es zu früh, die Ausschreitungen abschließend zu bewerten. „Generell ist aber eine Tendenz festzustellen, dass sowohl gewaltbereite Fans als auch die Einsatzleiter der Polizei das Verletzen unbeteiligter Personen bei ihren Handlungen eher in Kauf nehmen, als dies vor einigen Monaten der Fall war“, sagt Krämer. „Das ist klar zu kritisieren.“
Ob das im Zusammenhang mit der EM steht, könne er nicht beurteilen. „Ich bin aber sehr dafür, dass sich die Polizei intensiv auf das Turnier vorbereitet.“ Der rechtsstaatliche und kooperative Umgang mit den Fans sollte dabei allerdings „oberstes Gebot bei der Einsatzplanung“ sein. Die Bundesrepublik müsse „als Demokratie einen menschenrechtsbasierten Gegenentwurf zu autoritären Ländern aufzeigen.“ (as)