„Xi Jinping und Wladimir Putin wollen die bisherige Weltordnung zerstören“
Xi Jinping will China zur Nummer eins machen, glaubt der Journalist und Autor Adrian Geiges. Für Wladimir Putin bleibt da nur die Rolle als „kleiner Bruder“.
Mehr als 40-mal haben sich Chinas Staatschef Xi Jinping und der russische Präsident Wladimir Putin in den vergangenen Jahren persönlich getroffen. Was verbindet die beiden Autokraten? In seinem neuen Buch „Front gegen die Freiheit: Peking, Moskau und ihre Komplizen in aller Welt“ blickt der Journalist und Autor Adrian Geiges auf das Verhältnis zwischen Xi und Putin. Er sagt: Putin wisse, dass er Xis Juniorpartner ist – und er lerne von seinem „großen Bruder“ in Peking.
Herr Geiges, im März 2023 hat Xi Jinping zu Wladimir Putin gesagt: „Im Moment gibt es Veränderungen, wie wir sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen haben. Und wir sind es, die diesen Wandel gemeinsam vorantreiben.“ Was meint Xi damit?
Xi Jinping will gemeinsam mit Wladimir Putin die bisherige Weltordnung zerstören. Xi und Putin glauben, dass die Welt bisher von den USA dominiert war, und jetzt wollen sie, dass die Welt von ihnen selbst dominiert wird. Beide sprechen natürlich von einer “multipolaren” Welt, die sie angeblich errichten wollen. Aber das ist nur Propaganda. Xi will, dass China im Jahr 2049, also 100 Jahre nach Gründung der Volksrepublik, die führende Macht in der Welt ist. Und zwar in allen Bereichen, also nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und militärisch. Er will China zur Nummer eins machen.
Wo ist da Platz für Russland?
Zunächst muss man sagen, dass sich China und Russland so nahe sind wie seit den 1950er-Jahren nicht mehr. Mit dem großen Unterschied, dass damals die Sowjetunion unter Stalin der große Bruder war und China unter Mao der kleine Bruder. Jetzt haben sich die Verhältnisse umgekehrt, China ist wirtschaftlich deutlich stärker und Putins Russland der kleine Bruder. Dennoch verfolgen beide ein gemeinsames Ziel: Sie wollen die alte Größe ihres Reichs wiederherstellen. Putin träumt von einem Russland in den Grenzen der Sowjetunion und Xi Jinping davon, China wieder zu der führenden Weltmacht zu machen, die es Jahrhunderte lang war.
Zur Person
Adrian Geiges, Jahrgang 1960, ist Journalist und Autor. Ab 1990 berichtete er aus Moskau, später aus Hongkong, New York und Peking. Zuletzt sind von ihm erschienen: „Front gegen die Freiheit: Peking, Moskau und ihre Komplizen in aller Welt“ sowie „Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt“ (mit Stefan Aust).
„Wir sehen, dass China zunehmend militärisch Druck ausübt, zum Beispiel auf Taiwan“
Ist Putin bewusst, dass er Xi Jinpings Juniorpartner ist?
Ja, das weiß er natürlich. Er hat China ja sogar als Beispiel dafür genannt, wie man ein Land erfolgreich entwickelt. Und tatsächlich ist Russland mittlerweile dabei, China in vielen Bereichen zu kopieren. So baut Putin, wie Xi, den Staatssektor in der Wirtschaft wieder aus. Auch hat er von China gelernt, wie man das Internet zensiert, um die Kontrolle zu behalten.
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Ist es nicht so, dass Russland die regelbasierte Weltordnung mit Gewalt zerstören, China sie aber „nur“ nach seinen Vorstellungen verändern will?
Das sehe ich anders. Natürlich stimmt es, dass Putin seinen Einflussbereich schon seit Jahren militärisch erweitern will und Xi das vor allem mit wirtschaftlichen Mitteln macht. Und das sehr erfolgreich, etwa mit der Neuen Seidenstraße, also mit weltweiten Investitionen in Infrastrukturprojekte, die viele Länder abhängig von China gemacht haben. Aber wir sehen auch, dass China zunehmend auch militärisch Druck ausübt, zum Beispiel auf Taiwan.

Den demokratisch regierten Inselstaat, den China sich notfalls mit Gewalt einverleiben will.
Die Drohgebärden gegen Taiwan werden immer massiver. China hat mittlerweile die größte militärische Flotte der Welt, und die Gefahr, dass Xi Jinping das „Taiwan-Problem“ noch zu seinen Amts- und Lebzeiten „lösen“ will, ist real. Das ist kein Lippenbekenntnis, ihm geht es um sein eigenes Vermächtnis. Zudem erhebt China massive Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer, zum Beispiel gegen die Philippinen und gegen Vietnam, und im Ostchinesischen Meer gegen Japan.
„Xi Jinping hat keinerlei Interesse, Putin zu stoppen“
Im Ukraine-Krieg hat sich Xi an die Seite von Putin gestellt.
Genau. Xi Jinping hat keinerlei Interesse, Putin zu stoppen. Er spricht zwar immer wieder davon, dass es eine Verhandlungslösung brauche. Aber das sind nur Floskeln, China hat die russische Position voll übernommen. Demnach trägt die NATO die Schuld an der Eskalation, nicht Russland, das sich lediglich verteidigt. Gleichzeitig unterstützt China den russischen Angriffskrieg auch wirtschaftlich sowie indirekt auch militärisch. Etwa, indem es Dual-Use-Güter an Russland liefert, also Güter, die man sowohl militärisch als auch zivil nutzen kann. Ohne die chinesische Unterstützung hätten die Sanktionen des Westens Russland viel mehr geschadet. Xi will Putin aus der Patsche helfen, damit sie beide gemeinsam gegen den Westen vorgehen können.
Gleichzeitig hat China wirtschaftlich von der westlich geprägten Weltordnung, die es – wie Sie sagen – zerstören will, massiv profitiert.
Völlig richtig. Deswegen sage ich immer: Wenn jemand Xi Jinping gefährlich werden kann, dann ist es Xi Jinping selbst. Weil er viel von dem zerstört, was China in den letzten Jahrzehnten erfolgreich gemacht hat. Die Jugendarbeitslosigkeit ist sehr hoch, und viele Menschen haben wegen der Immobilienkrise ihr gesamtes Vermögen verloren. Das Problem dabei ist: Wenn ein Land wie China in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät und die Unzufriedenheit im Inneren zunimmt, dann entfacht es oft eine patriotische Welle, um von den eigenen Problemen abzulenken. Die Gefahr ist also, dass Xi einen Krieg gegen Taiwan vom Zaun bricht, um sagen zu können: Lasst uns nicht über diese wirtschaftlichen Probleme nachdenken, jetzt geht es um Chinas Größe!