Millionen Stromkunden „zahlen jährlich 600 bis 800 Euro zu viel“: Die To-do-Liste für die neue Regierung
Die neue Bundesregierung wird eine lange Liste abarbeiten müssen, um das Land wieder fit zu machen. In der Energiebranche hat man schon ganz klare Vorstellungen.
München/Berlin – Im Februar 2025 wird ein neuer Bundestag gewählt, damit wird wahrscheinlich im Frühjahr 2025 eine neue Bundesregierung ins Amt treten. Vermutlich wird die neue Regierung von der CDU geführt werden – das zumindest sehen die aktuellen Umfragen voraus. Wahrscheinlich wird eine Koalition mit entweder SPD oder den Grünen dann zustande kommen.
Die neue Bundesregierung wird die große Herausforderung haben, die Wirtschaft wieder auf solidere Beine zu stellen und das Land auf den Weg zur Klimaneutralität bis 2045 zu bringen. Diesem Ziel haben sich alle demokratischen Parteien im Land verschrieben und auch die EU sieht ein klimaneutrales Europa bis 2050 vor.
Deutschland braucht mehr erneuerbaren Strom: Neue Bundesregierung muss die Weichen stellen
Zu meistern wird daher vor allem die Energiepolitik sein. Ein klimaneutrales Deutschland wird viel mehr Strom benötigen, als das heute der Fall ist. Durch die Umstellung auf Wärmepumpen, Elektroautos, grünen Wasserstoff, der mittels grünem Strom hergestellt werden soll, werden gigantische Mengen an Elektrizität aus Solarkraft, Windkraft, Biomasse und anderen erneuerbaren Quellen benötigt. Noch dazu muss der Strompreis im Land runter, damit sowohl Unternehmen als auch Haushalte die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf grünen Strom auch für sinnvoll erachten.
Die Weichen für diese Herausforderungen muss die neue Bundesregierung stellen. Die Branche hat dazu auch ganz konkrete Vorstellungen. Auf Anfrage von IPPEN.MEDIA haben Simon Koopmann, CEO des Anbieters von intelligenten Systemen für Netzbetreiber, envelio, Marc Wallraff vom Ökostromanbieter LichtBlick und Matthias Holder, CEO von Home Power Solutions, das neuartige Stromspeicher entwickelt, eine Liste von wichtigen Aufgaben erstellt, die eine neue Bundesregierung angehen müsste.
Stromnetz muss ausgebaut werden – und das ist sehr teuer
Der Stromnetz-Experte Koopmann nennt drei Punkte, die für ihn als erstes angegangen werden müssen. „Wir bewegen uns mit großen Schritten in die nächste Phase der Energiewende“, gibt er zu Bedenken. Die bestehende Netzinfrastruktur kommt an ihre Grenzen und der Ausbau ist im aktuellen Zinsumfeld und in Zeiten mit hohen Baukosten sehr kostspielig. „Die richtige Auswahl und Priorisierung von Ausbau-Maßnahmen ist daher zentral“, so Koopmann.
Neben der Priorisierung sollte die neue Regierung aber auch „das Maximum aus der bestehenden Netzinfrastruktur herausholen.“ Das heißt: alle Flexibilisierungspotenziale heben und sowohl Unternehmen als auch Haushalte dafür belohnen, wenn sie ihren Verbrauch an die Auslastung des Netzes ausrichten. Dazu braucht es auch mehr Digitalisierung und Automatisierung im Netz, so der CEO von envelio weiter.
Flexibel den Strom nutzen ist schon jetzt möglich – Bürokratie muss abgebaut werden
Das Stichwort Digitalisierung ist auch für Marc Wallraff von LichtBlick von großer Bedeutung. „Wir haben bereits alle Technologien für ein sicheres, flexibles Energiesystem. Die Politik muss lediglich bürokratische Hindernisse abbauen“, sagt der Experte unserer Redaktion. Das bedeutet mehr große Batterien, die Solar- und Windstrom effizient speichern, und mehr Anreize für flexiblen Stromverbrauch – etwa durch dynamische Tarife und variable Netzentgelte. Ein zentraler Baustein ist zudem die Digitalisierung des Stromnetzes und der flächendeckende Einbau von Smart Metern.“
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Die Ampel-Koalition hatte hier auch schon die Weichen gestellt: Ab 2025 müssen alle Stromversorger in Deutschland dynamische Stromtarife anbieten und es gilt eine Pflicht zum Einbau von Smart Metern für Großstromverbraucher (ab 6000 kWh im Jahr). Die neue Bundesregierung sollte darauf nach Ansicht von Wallraff also aufbauen und insbesondere mehr dafür tun, dass die Bürokratie im Strommarkt abgebaut wird. „Deutschland leistet sich 867 Stromnetz-Betreiber mit einer entsprechend überbordenden Bürokratie. Dieser Flickenteppich verursacht unnötige Kosten in Milliardenhöhe, die sowohl Haushalte als auch Unternehmen über die Netzentgelte zahlen.“

Auch Matthias Holder von Home Power Solutions (HPS) fordert mehr Anreize für die flexible Nutzung von Strom und eine Reform der Regulierung, die das begünstigt. „Dazu gehört unter anderem eine stärkere Einbindung und flexiblere Nutzung von Heimspeichersystemen. Ein möglicher Lösungsansatz ist die Aktivierung von 13 Gigawatt Speicherleistung der bereits installierten 1,6 Millionen Batterie-Heimspeicher. Denn in einem ‚intelligenten‘ Energiesystem können Batterien künftig verstärkt dazu beitragen, die PV-Mittagsspitzen im Sommer zu glätten“, sagt er zu IPPEN.MEDIA.
Haushalte zahlen oft viel zu viel für Strom: Preise müssen dringend sinken
Besonders dringend reformiert werden müsste aus Sicht des Chefs von LichtBlick die Grundversorgung, die nicht wettbewerblich organisiert sei. 10 Millionen Stromkundinnen und Kunden in Deutschland – oft sozial schwache Haushalte – zahlen jährlich 600 bis 800 Euro zu viel für ihren Strom, weil sie aus wettbewerbsfernen Tarifen versorgt werden. Dabei sollte die Grundversorgung ursprünglich gerade Haushalte mit niedrigen Einkommen schützen“, bemängelt Wallraff.
Dieser Umstand sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Die beiden Vergleichsportale Verivox und Check24 gaben im November gegenüber der Augsburger Allgemeinen Zeitung bekannt, dass Stromkunden im Schnitt 36 Prozent der Kosten sparen könnten, wenn sie aus der Grundversorgung wechseln. Energieexperte Florian Munder vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) riet Stromkunden, Tarife zu vergleichen. „Insbesondere Menschen in der Strom-Grundversorgung können durch einen Wechsel zu einem günstigen Anbieter signifikant sparen“, sagte er der Zeitung.
Die Strompreise zu senken ist Marc Wallraff auch ein Anliegen. Er empfiehlt eine Senkung der Stromsteuer und einen staatlichen Zuschuss zu den Netzentgelten, um kurzfristig die Preise abzumildern. So würden sowohl Unternehmen als auch Haushalte entlastet werden.
Reste-Ampel will Strompreise eigentlich senken: CDU weist den Vorschlag von rot-grün zurück
Genau das will die noch amtierende Bundesregierung eigentlich auch tun und hat einen entsprechenden Entwurf im Bundeskabinett am 3. Dezember verabschiedet. Demnach sollen die Netzentgelte durch einen staatlichen Zuschuss gedämpft werden. Die Minderheitsregierung von SPD und Grünen ist aber auf Stimmen aus der Opposition angewiesen, damit dies auch umgesetzt werden kann.
Die Union wies den Vorstoß der rot-grünen Bundesregierung zurück. „Dieser Vorschlag ist unzureichend, unausgegoren und ungedeckt“, sagte Unionsfraktionsvize Andreas Jung dem Handelsblatt. Schon die Finanzierung der vorgesehenen 1,3 Milliarden Euro bleibe völlig offen. Zudem sei unklar, wie angesichts eines Beschlusses Ende Dezember das technisch überhaupt zum Jahresbeginn umgesetzt werden könnte. „Wir brauchen einen großen Wurf mit Verlässlichkeit statt hektische Schaufenster-Politik.“
Was würde also die Union in Sachen Energiepolitik selbst tun? Anfang November haben CDU und CSU ihre Energie-Agenda vorgelegt. Darin bekennen sie sich zu einer „Kostenwende“ in der Energiepolitik. Sie spricht sich dafür aus, „die Stromsteuer dauerhaft und für alle auf das europäische Minimum zu senken und die Netzentgelte mindestens [zu] halbieren“. Dies soll aus den Einnahmen der CO₂-Steuer finanziert werden und nicht aus dem regulären Bundeshaushalt. Der Staat könne die enormen Kosten für den Netzausbau nicht stemmen, so CDU und CSU in dem Dokument. Doch bis diese Reformen kommen, und wie sie dann in Wirklichkeit aussehen werden, wird noch viel Zeit ins Land gehen müssen.