Festnahme des Telegram-Gründers - Pawel Durow saß in Haft - der Milliardär, der sich sogar mit Putin anlegt
Die Festnahme des Gründers des Messengerdienstes Telegram, Pawel Durow, wird zur Staatsaffäre. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich eingeschaltet.
Er schreibt auf dem Telegram-Konkurrenten, der Online-Plattform X, die Festnahme sei keine politische Entscheidung gewesen, sondern im Rahmen von laufenden Ermittlungen erfolgt. Frankreich bekenne sich zur Meinungs- und Kommunikationsfreiheit, zu Innovation und Unternehmergeist.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft laufen bereits seit Längerem Vorermittlungen gegen Durow. Der Verdacht soll dabei lauten, dass er sich durch fehlendes Eingreifen bei Telegram und unzureichende Kooperation mit Behörden des Drogenhandels, der Geldwäsche, des Betrugs und mehrerer Vergehen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch mitschuldig gemacht habe. Auch die mangelnde Kooperation mit Behörden bei gesetzlich zulässigen Abhörmaßnahmen wird ihm vorgeworfen.
Telegram betont jedoch, alle geltenden Branchenstandards einzuhalten, darunter auch die Vorgaben des neuen Digitalgesetzes DSA, das ein härteres Vorgehen gegen illegale Inhalte auf großen Online-Plattformen vorsieht.
Droht Durow ein ähnliches Schicksal wie Assange?
Die russische Botschaft hat ebenfalls auf die Verhaftung Durows reagiert. „Wir haben die französischen Behörden unverzüglich aufgefordert, die Gründe für die Festnahme zu erklären, seine Rechte zu schützen und ihm konsularischen Zugang zu gewähren“, zitiert die russische Nachrichtenagentur „Ria Novosti“ die russische Botschaft in Paris.
Der Agentur zufolge wirft Moskau Frankreich mangelnde Kooperation vor. Auch Moskaus Außenamtssprecherin Maria Sacharowa kritisiert, dass Russland bislang keinen konsularischen Zugang zu Durow erhalten habe.
Die Frage ist nun: Hat die Pariser Staatsanwaltschaft recht, oder braut sich hier in Europa erneut etwas zusammen, wie es beispielsweise Wikileaks-Gründer Julian Assange erlebt hat, der sich jahrelang zwangsweise nicht aus seinen vier Wänden in der ecuadorianischen Botschaft in London herausbewegen konnte und später tatsächlich in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis landete, bevor er kürzlich doch freikam?
Oder wie es X-Betreiber Elon Musk derzeit widerfährt, der es gewagt hatte, Donald Trump wieder den Zugang zu seinem Netzwerk zu öffnen?
All diese Fällen haben gemeinsam, dass ihnen in der EU ihre Nichteinmischung in die Inhalte der von ihnen geleiteten digitalen Plattformen zum Vorwurf gemacht wird.
Telegram als unverzichtbare Nachrichtenquelle
Wer ist also Pawel Durow? Einfach nur ein Internet-Milliardär? Oder doch ein russischer Oligarch? Oder vielleicht gar ein Widerstandskämpfer?
In Deutschland nutzen Telegram mit Vorliebe solche, die schon aus Prinzip niemals glauben, was alle anderen sagen und sich deswegen modeabhängig wahlweise den Ruf von Querdenkern, Verschwörungstheoretikern, Rechtspopulisten oder Putin-Verstehern eingehandelt haben. Alles Bezeichnungen, die derzeit schnell Menschen angeklebt werden, die abseits gängiger Meinungen unterwegs sind.
Erst am Wochenende hat sich der IS auf Telegram als Drahtzieher des Anschlags von Solingen bekannt. Und der Attentäter des Anschlags auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016 verriet seine Pläne ebenfalls in Telegram-Chats. Man sollte Telegram verbieten, hatte Bundesinnenministerin Nancy Fraser (SPD) zeitweise gefordert.
Sowohl in Russland als auch in der Ukraine hat sich Telegram allerdings in Kriegszeiten zu einer der wichtigsten Nachrichtenquellen überhaupt entwickelt. Seit Kriegsausbruch kommen täglich durchschnittlich 2,5 Millionen neue Benutzer zu Telegram, hieß es zeitweilig vom Unternehmen selbst, das inzwischen bei 900 Millionen Nutzern gelandet ist.
In Asien ist der Dienst aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Und selbst in deutschen Sendern, die sich an der Telegram-Verbotsdiskussion beteiligt haben, wird Nachrichtenmaterial gezeigt, das von der verpönten Plattform stammt.
In der Ukraine sendet Präsident Selenskyj täglich Updates in seine Gruppe – 1,5 Millionen Menschen folgen ihm. Einwohner und Flüchtende berichten, dass sie über Telegram deutlich schneller über Angriffe informiert würden als über klassische Nachrichtenquellen – die Plattform ist ihr überlebenswichtiges Werkzeug geworden.
Vom Staatsfeind zum digitalen Nomaden
Damit ging lange auf, woran Durow immer geglaubt hatte. Der russische Unternehmer, 39 Jahre alt, ist einer der wenigen Milliardäre russischer Herkunft, der nicht zum Kreis der Oligarchen um Putin zählt. Im Gegenteil: Für Moskau war er lange ein Staatsfeind.
Die Amerikaner sahen in ihm eine Art Mark Zuckerberg aus Leningrad und er selbst bezeichnet sich als digitalen Nomaden, der drei Staatsbürgerschaften – die russische, die französische und die des Antillen-Staates Saint Kitts und Nevis – hat. Manchmal sagt er auch unverblümt, er sei ein Freiheitskämpfer.
Seine bekannteste Geschichte ist die von dem Tag, als Spezialkräfte vor seiner Tür standen und er sie über einen Monitor beobachtet habe. Da sei ihm, so hat er es einem Journalisten der „New York Times“ erzählt, klar geworden, dass seine Zukunft nicht in Russland liege.
In einem von Durows Instagram-Posts ist Mel Gibson als Freiheitskämpfer in dem Film „Braveheart“ zu sehen. Gibson sagt, sie mögen uns das Leben nehmen, aber niemals die Freiheit. Durow schreibt: „Sie können uns unsere IPs wegnehmen, aber nicht unsere Freiheit.“ Mit „sie“ meinte er das Putin-Regime.
Sichere Kommunikation ohne Überwachung und Zensur
Seine zweitbekannteste Geschichte ist die: Er ist seit 15 Jahren durch Samenspenden der biologische Vater von mehr als 100 Kindern in zwölf Ländern – eine Entscheidung, die er nach eigenen Angaben nie bereut hat.
Aufgewachsen in Italien, Linguistikstudent in Sankt Petersburg, gründete er 2006 zusammen mit seinem Bruder Nikolai das Soziale Netzwerk VKontakte, eine Art russisches Facebook.
2011 verlangte die russische Regierung, dass Durow bei VKontakte die Seiten von Oppositionspolitikern löschen soll. Sein „Njet“ führte zu der Szene mit den Sicherheitskräften. Als er daraufhin seinen Bruder anrufen wollte, wurde ihm klar, – so jedenfalls stellte er es dar - dass er keine Möglichkeit hatte, über eine sichere Verbindung mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Er verkaufte seine Anteile an VKontakte, verließ Russland und entwickelte mit seinem Bruder Telegram inklusive einem bis dahin einmaligen Verschlüsselungskonzept.
Der Dienst wurde fertig, als sich Facebook 2014 Marktführer WhatsApp einverleibte. Millionen, die mit Facebook nichts zu tun haben wollten, landeten daraufhin bei Telegram. Seit seinem Umzug aus Russland residiert der Star-Unternehmer mal hier, mal da. Der Messenger-Dienst war zwischenzeitlich auch mal in Berlin zu Hause.
Sieg über die russische Zensur oder geheimer Deal?
Mit Russland legte sich Durow immer wieder an. 2018, als sich Telegram weigerte, den russischen Behörden nach einem Terrorangriff in Sankt Petersburg entschlüsselte Chats mutmaßlicher Attentäter zu übergeben, wollte die Aufsichtsbehörde Roskomnadsor Telegram abschalten – was nicht glückte.
Durow wechselte blitzschnell IP-Adressen, und die Aufsichtsbehörden blockierten beim radikalen Sperren dieser Adressen auch sich selbst, was zu hohen Schäden führte. Telegram-Fans nutzten dagegen eine Funktion in dem Messenger-Dienst, mit deren Hilfe Blockaden umgangen werden können.
Im Juni 2020 gab sich der Staat scheinbar geschlagen und stellte die Versuche, Telegram abzuschalten, ein. Durow, dessen Mutter aus Kiew stammt, hatte gewonnen – oder hat er einen Deal gemacht?
Kritik an Telegram: Sicherheitsbedenken oder Freiheitskampf?
Durows Kritiker in Deutschland kamen immer wieder aus der Deckung. Zu ihnen gehört auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der in der ARD laut über Einschränkungen für den Messenger-Dienst in Deutschland, „wenn nicht gar ein Verbot“ nachgedacht hat.
Buschmanns und auch Faesers Ärger rühren daher, dass deutsche Sicherheitsbehörden oft Islamisten und Rechtsextremisten beim Verdacht auf eine Straftat nicht ermitteln können, weil Telegram mit seiner Möglichkeit, Chats zu verschlüsseln, Datenanfragen des Bundesamts für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamts unbeantwortet lässt.
Auf Durows Instagram-Seite wird seine Festnahme in Paris fleißig kommentiert. Auf dem letzten Foto, das er gepostet hat, steigt Durow in ein Eisbad – durchtrainiert und nur in Badehose bekleidet. Der Kommentar einer Nutzerin wird hundertfach geliked: „Lasst ihn frei, er ist doch so schön.“