BayWa-Chef über die größte Baukrise seit 50 Jahren: „Zu großen Teilen von der Politik zu verantworten“
Die Baubranche steckt in einer nie dagewesenen Krise. Der Leiter des Fachbereichs Bau beim Konzern BayWa erklärt, wie das passieren konnte – und warum er dennoch hoffnungsvoll ist.
Berlin/München – Die Baubranche hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Während die Aufträge in den Keller gingen, bleiben die Baupreise extrem hoch und der Immobilienmarkt stagniert. Deutschland steckt in einer Rezession, die auch 2024 weitergehen dürfte. Dabei ging es der Baubranche doch kürzlich noch so gut. Es wurde vielleicht nicht so viel gebaut, wie sich die Politik das gewünscht hätte – aber es ging immer vorwärts. Jetzt der Einbruch und kein Ende in Sicht.
Einer, der sich seit Jahrzehnten in und auf dem Bau tummelt, ist Steffen Mechter. Der gelernte Maurer ist heute der Leiter des Geschäftsbereichs Bau bei BayWa, Deutschlands größtes Agrar- und Baustoffhandelsunternehmen. Im Gespräch mit Ippen.Media spricht er über den Ursprung der Krise, welche Hoffnung er für die Zukunft hat – und warum wir in Deutschland endlich über die gerechte Verteilung des Wohnraums sprechen müssen.
BayWa-Chef Mechter: „So eine Krise haben wir in den letzten 50 Jahren nicht erlebt“
Herr Mechter, Sie sind schon seit 25 Jahren in verschiedenen Positionen in der Baubranche tätig, jetzt erleben Sie diese Krise. Was macht diese Krise so anders?
So eine Krise in der Dynamik und in der Tiefe zugleich haben wir in den letzten 50 Jahren nicht erlebt. Tiefe Krisen hatten wir mit der Finanzkrise auch, die war aber auch relativ schnell vorbei. Die Baupreise sind aktuell auf einem Niveau, das hatten wir vorher auch nicht. Auf den höchsten Boom der letzten 50 Jahre folgt nun die schärfste Krise der letzten 50 Jahre, und das in einem Zeitraum von 12 Monaten. Diese Krise ist nach meiner Wahrnehmung aber auch die erste Baukrise, die zu Veränderungen führen wird in den Strukturen der Branche. Die letzten Krisen haben alle die Branche danach so reaktiviert, wie sie vorher war.
Also gewinnen Sie dieser Baukrise tatsächlich was Gutes ab?
Ja, ich meine, das scheint wohl so eine wesentliche Eigenschaft von uns Menschen zu sein. Die Krise muss groß genug sein und lang genug, dass wir anfangen, mal wirklich fundamental unsere Verfahren zu hinterfragen. Das setzt maximale Innovationskraft frei. Ich hätte mir gewünscht, dass es anders funktioniert. Aber tatsächlich muss ich auch bestätigen, in der Branche ist zurzeit unheimlich viel Bereitschaft, sich zu hinterfragen und innovative Ansätze zu verfolgen.
Was wären denn solche neuen Ansätze? Wie muss sich die Baubranche verändern?
Da bin ich teilweise etwas kritisch mit uns, da gibt es noch Luft nach oben. Ich bin stolz darauf, wie wir bauen. Ich finde regionale Wertschöpfung und handwerkliche Leistungen toll. Aber eins hat die Branche nicht gemacht, im Vergleich zu anderen Branchen. Wir haben unsere Produktivität in den vergangenen Jahren fast gar nicht gesteigert. Wir haben hier und da zwar ein paar Produktinnovationen, zum Beispiel bessere Dämmstoffe und Ziegel, aber die Art und Weise, wie wir bauen, ist immer noch sehr kleinteilig. Es ist diese Kleinteiligkeit, nicht die Menschen in der Branche, die Innovation hemmt. In unserer Branche arbeiten sehr viele Unternehmen, auch die Verbandsarbeit ist kleinteilig strukturiert, es gibt wenig Standardisierung. Deswegen bauen wir so, wie wir bauen und kommen da auch nicht so wirklich raus gerade.
Also meinen Sie, dass es zu viele Akteure gibt, die an verschiedenen Stellschrauben drehen und sich nicht abstimmen?
Ja, das darf aber bitte nicht falsch verstanden werden. Die Beobachtung richtet sich nicht auf das Verhalten des Einzelnen, sondern auf die Strukturen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Als ich vor 25 Jahren Maurer gelernt habe, habe ich mich immer brutal anstrengt, dass die Wand ganz gerade wird, bis mein Polierer zu mir gesagt hat: So genau brauchst du jetzt nicht machen, das heilt schon der Putzer, wenn die Wand dann verputzt wird. Und so geht es leider oft jeden Schritt weiter am Bau – kaum einer guckt, wie er es dem anderen am Ende der Kette einfacher machen könnte. Also soll heißen: Wir sind in unserer Branche nicht so sozialisiert, dass wir in durchgängigen Prozessketten denken. Andere Branchen arbeiten schon längst in sogenannten End-to-End Prozessen. Wir planen heute jedes Gebäude immer wieder neu. Das ist alles sehr wenig systemintegriert. Wir haben sehr viele Prozessbrüche und das führt zu dem, was Sie gesagt haben; man stimmt sich nicht integrierend ab. Und das zieht sich in verschiedenen Variationen durch die Branche.
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Es gibt also einiges, was die Baubranche selbst tun könnte, um sich zu helfen. Aber stimmen gerade die politischen Rahmenbedingungen dafür überhaupt?
Auch wenn die Baubranche ihren Anteil hat: Die Krise ist zu großen Teilen schon von der Politik zu verantworten. Die Politik hat keinen Einfluss auf die Entwicklung des Zinses, definitiv nicht. Aber auf finanzielle Rahmenbedingungen hat die Politik sehr wohl hohen Einfluss. Auf steuerliche Anreize, auf Fördermittel, die von einem Tag auf den nächsten gestrichen werden. Investoren sind aktuell verschreckt, das liegt an der Politik. Das wird sich auch nicht so schnell wieder ändern, auch wenn der Zins wieder fällt. Dazu stecken wir jetzt zu tief in der Krise. Es wird nicht reichen, dass der Zins fällt und die Politik endlich vernünftig agiert. Wir werden alle unseren Beitrag leisten müssen.
Noch dazu sind die Herausforderungen der Zukunft ja enorm. Wir müssen mehr bauen, schneller bauen - und auch noch klimafreundlich. Geht das überhaupt alles?
Ja, wenn wir die Ziele vielleicht nicht zu streng setzen. Wir können heute tatsächlich nachhaltiger bauen und dadurch auch wirtschaftlicher sein. Ein Beispiel: Wenn man bei einem Haus die Außenwände in Massivholz baut und die Decken in Stahlbeton, dann ist das um große Schritte besser, als alles in Stahlbeton zu bauen. Jetzt würden Sie richtigerweise sagen: Stahlbetondecke, da ist ja Zement drin, sehr klimaschädlich. Aber an diesen Stellen dürfen wir nicht zu streng sein.
Ein großer Hebel ist für den Klimaschatz das Sanieren. Wir müssten in Deutschland eigentlich Millionen Gebäude sanieren, um unsere Klimaziele zu erreichen. Wie können wir dieses Thema im großen Stil anpacken?
Das ist schwer, weil die Gebäude viel zu individuell sind, um zum Beispiel wirklich seriell zu sanieren. Ich sehe da viele kleine Ansätze, aber nicht die hohen Produktivitätshebel wie im Neubau. Ganz ehrlich, wenn wir darüber sprechen, was die Gebäudesanierung im großen Stil in Deutschland hemmt, dann ist es vor allem der sehr hohe Mietanteil. Es ist unheimlich schwer, Mietshäuser energetisch umfangreich zu sanieren, denn dafür müssten sie leer sein.
Da kommen wir schon zum nächsten Problem, der Mietmarkt. Die Mieten explodieren und es traut sich keiner, seinen Wohnraum zu verlassen, aus Angst, am Ende noch mehr zahlen zu müssen. Wie kriegen wir das denn in den Griff? Nur über noch mehr Bauen?
Wenn Sie sich die Statistiken des Wohnraumbedarfs in Deutschland anschauen, dann ist der Wohnflächenbedarf pro Kopf in den vergangenen Jahren gestiegen. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen hat insbesondere in großen Städten der Anteil der Singlehaushalte zugenommen. Das zieht natürlich die Bilanz hoch. Und es wohnen immer mehr ältere Personen in Einfamilienhäusern. Und das ist - das sage ich ohne jeden Vorwurf – ein Problem. Ein älteres Ehepaar, das in einem Haus wohnt, wird in der Regel nie kernsanieren, nie energetisch auf das höchste Niveau sanieren. Mir ist wichtig zu sagen: Ich mache hier keinen Aufruf, damit ältere Menschen ihre Häuser verlassen, aber auch das muss man mal ansprechen. Schlussendlich ist Wohnraum da, der saniert werden kann und eine junge Familie würde es wahrscheinlich machen. Um das Problem aufzulösen, brauchen wir aber mehr Geschosswohnungsneubau im ländlichen Raum. Denn eins geht nicht: Ich kann nicht den älteren Bewohnern an Stadträndern oder auf dem Land sagen: Bitte geht aus euren Häusern, verkauft sie an junge Familien und geht dann in eine Wohnung – die wir aber gar nicht haben. Deswegen braucht der ländliche Raum mehr Geschosswohnungsbau, damit sie diese Umzugsketten auslösen. Und da haben wir Handlungsbedarf.

Das ist ein schwieriges, sehr sensibles Thema.
Ja, wir Deutschen sind da vielleicht nicht so gut drin, aber man sollte da offen darüber reden können. Insofern wäre ein öffentlicher Diskurs sicher wünschenswert. Sprechen wir in der Gesellschaft darüber, wie wir mit dem Flecken Erde, den wir haben, umgehen wollen. Am Ende würden wahrscheinlich sogar die Preise für Immobilien fallen, wenn viele ihre Sanierungsimmobilien auf den Markt geben. Viel Angebot, niedrigerer Preis.
Wir kommen also immer wieder an den gleichen Punkt: Wir stecken fest, an mehreren Stellen. Was glauben Sie, wie lange geht das noch so weiter?
Seitdem Frau Lagarde (Christine Lagarde, Vorsitzende der Europäischen Zentralbank, Anm. d. Red.) in Davos gesagt hat, dass es frühestens zum Sommer eine Zinswende geben wird, bin ich für dieses Jahr sehr skeptisch. Meine Hoffnung ist, dass wir ohne große Insolvenzwelle durch die Krise kommen. Wenn die Krise bis weit in das Jahr 2025 reinreicht, haben wir vermutlich Schäden, die teilweise nicht mehr zu reparieren sein werden. Also lang hält die Branche das nicht mehr aus.