Das schwarze Loch nach dem Schlaganfall: Wie sich ein Ehepaar aus Freising ins Leben zurück gekämpft hat

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Lichtblick nach dunklen Monaten: Ein Ehepaar aus Freising kämpft sich nach dem Schlaganfall des Mannes ins Leben zurück - auch dank eines Freisinger Vereins und einem Projekt, das hoffentlich bald Realität wird. © Eser

Der Schlaganfall ihres Mannes lässt Gitta Mehnert in ein schwarzes Loch fallen. Doch gemeinsam kämpft sich das Paar ins Leben zurück. Auch dank eines Vereins.

Freising – Eine Sache verblüfft Gitta Mehnert am allermeisten. Wenn die Physiotherapeutin zu ihrem Mann Heinrich kommt, kommuniziert er mit ihr auf Latein. „Er war Arzt, er kennt jeden Begriff für jeden Körperteil, jeden Muskel, jede Sehne. Es ist unglaublich, wie das menschliche Hirn funktioniert.“ Die 64-Jährige ist deshalb so erstaunt, weil ihr Mann abgesehen davon so gut wie gar nicht mehr reden kann. Vor zwei Jahren hat ihm ein Schlaganfall seine Sprache geraubt.

Gitta Mehnert zog es damals, im Dezember 2021, den Boden unter den Füßen weg. „Mein erster Gedanke war: ,Bitte nicht noch einmal, die Kraft habe ich nicht.‘“ Denn bereits im Januar 2020 hatte Heinrich zum ersten Mal einen Schlaganfall. Dieser sei rückblickend betrachtet relativ glimpflich abgelaufen. „Mein Mann ging langsamer, sein rechter Arm war nicht so mobil und sein Sprechvermögen eingeschränkt“, erinnert sich Gitta Mehnert. Aber Heinrich erholte sich damals gut. „Er hatte so viel gelernt, konnte wieder so viel machen.“

Der Schlaganfall kam aus heiterem Himmel

Zwei Jahre später kam jedoch, aus heiterem Himmel, der zweite Schlaganfall. „Und das war leider, wie man so schön sagt, ein Volltreffer.“ Die komplette rechte Seite des damals 70-Jährigen war gelähmt, er konnte nicht mehr gehen, der rechte Arm baumelte lose herab und wirkte, als gehöre er nicht zum Körper. Das Schlimmste für Heinrich und auch für seine Frau: „Seine Sprache war komplett weg. Es ging gar nichts mehr.“

Gitta Mehnert und Heinrich Schuster
Steht ihrem Mann zur Seite: Nachdem Heinrich zwei Schlaganfälle erlitten hat, steht ihm Gitta Mehnert als pflegende Angehörige zur Seite. Eine wichtige Stütze ist ihr dabei der Verein Phoenix. © Eser

Dabei war Heinrich ein Mann des Wortes, rhetorisch gewandt und eloquent. „Er redete gern und viel, Sprache war sein Medium. Dass ihm das genommen wurde, war für uns beide grausam“, berichtet Gitta Mehnert. Was das Paar in der darauffolgenden Zeit oft schmerzlich feststellen musste: „Flapsig gesagt: Manche Außenstehende setzen ,sprachlos‘ fälschlicherweise mit ,hirnlos‘ gleich.“ Dabei haben die Schlaganfälle Heinrich geistig nicht beeinträchtigt. „Sein Kopf ist völlig klar, er hört alles, versteht alles – er kann es nur nicht sagen. So gefangen zu sein, stelle ich mir sehr schwierig vor“, sagt Gitta Mehnert.

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Das machte es für sie auch so schwer, mit dem zweiten Schlaganfall ihres Mannes umzugehen. „Damals war tatsächlich er es, der mich aus diesem Loch rausgeholt hat. Er hat sein Schicksal angenommen und wollte das Beste daraus machen. Also dachte ich mir: Wenn er nicht klein beigibt, brauche ich mich auch nicht hängen zu lassen.“

Verlust der Sprache ist die größte Hürde

Mithilfe von Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie gelingen ihrem Mann bis heute kleine Fortschritte. Der inzwischen 72-Jährige lernte, wieder allein zu laufen. „Weil er seine rechte Körperhälfte nicht spürt, hat er einen leichten Linksdrall. Aber er kann sicher alleine am Stock gehen und braucht in der Wohnung keine Hilfe.“ Die Sprache sei nach wie vor die größte Schwierigkeit. „Er übt sehr eifrig, und seine lateinischen Fachbegriffe kann er alle sagen“, erzählt Gitta Mehnert mit einem Lächeln.

Allerdings sei selbst eine normale Alltagskommunikation bis heute stark eingeschränkt. Trotzdem gelinge die Verständigung immer irgendwie: „Wir sind seit über 15 Jahren beieinander. Ich bin sein Hirn, sein Ohr. Ich weiß, was er meint, und wir kommen immer irgendwie zamm – zur Not schriftlich, denn er hat gelernt, mit links zu schreiben.“

Auch Angehörige stoßen an Grenzen

Doch obwohl ihr Mann soweit stabil ist und nicht rund um die Uhr Betreuung braucht, gibt es Tage, an denen Gitta Mehnert als pflegende Angehörige an ihre körperlichen und mentalen Grenzen stößt – und das, obwohl sie ein engmaschiges Hilfsnetz aus Mitgliedern ihrer Familie und engen Freunden um sich hat, für das sie sehr dankbar ist. Umso mehr schätzt sie in solchen Momenten um den Verein Phoenix Freising, Menschen und ihre Angehörigen nach einem Schlaganfall unterstützt. „Was dieser Verein leistet, ist wirklich der Wahnsinn.“

Entwurf Phoenix-Oase
Bisher noch ein Wunschbild: So könnte die geplante Phoenix-Oase einmal aussehen. © Fotomontage: Verein Phoenix

Zum einen gibt es dort regelmäßig die strukturierte Freizeitbegleitung. In diesen Stunden werden nicht nur die Schlaganfallpatienten optimal betreut, sondern die Angehörigen haben zugleich wertvolle Zeit für sich selbst, um Termine wahrzunehmen oder einfach, um Kraft zu tanken. Zum anderen unterstützt der Verein, wenn es darum geht, Ansprechpartner zu vermitteln, Rechte zu klären oder Hilfsmittel zu beantragen.

Wovon Gitta Mehnert aber am meisten zehrt, ist der Austausch mit anderen pflegenden Angehörigen. „Diese zwei Stunden im Monat sind unheimlich wertvoll für mich. Man muss nichts erklären, alle wissen, was los ist. Die gegenseitige Unterstützung ist unglaublich.“

Eine Begegnungsstätte könnte Patienten und Angehörigen helfen

Der Austausch mit anderen Betroffenen half Gitta Mehnert auch, ihr Schicksal in Relation zu setzen. „Wenn man da von Menschen hört, die noch keine 50 Jahre alt, aber schon ein Vollpflegefall sind, oder von Familien, in denen ein Elternteil einen Schlaganfall hatte, und der andere nun quasi alleinerziehend ist und parallel noch den Lebensunterhalt stemmen muss: Vor den pflegenden Angehörigen habe ich größten Respekt“, betont Gitta Mehnert.

Damit Schlaganfallpatienten im Landkreis Freising künftig noch besser betreut werden können, hat es sich der Phoenix-Verein zum Ziel gesetzt, eine eigene Begegnungsstätte für diese Menschen aufzubauen. In der „Phoenix-Oase“ sollen Betroffene je nach Bedarf mehrere Tage die Woche verbringen können. Professionelles Personal kümmert sich um die Betreuung, diverse Therapiemöglichkeiten sollen angeboten werden – und die Familien werden entlastet. „Es wäre im wahrsten Sinne des Wortes eine Oase für uns“, sagt Gitta Mehnert.

Trotz allem ist das Glas halb voll

Das für den Landkreis geplante Projekt hätte Modellcharakter. „Es wäre das erste in ganz Deutschland.“ Dabei liege es auf der Hand, dass eine solche Einrichtung dringend benötigt werde: „Menschen mit einem schweren Schlaganfall gehören nicht in die Lebenshilfe, denn sie haben ja keine geistige Behinderung. Die Alternative wäre ein Pflegeheim: Aber was soll ein 40-Jähriger dort? Daher wird es höchste Zeit, dass es eine solche Begegnungsstätte gibt.“

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Bis aus den Überlegungen Realität wird, versuchen Gitta Mehnert, ihr Mann Heinrich und alle anderen Betroffenen und Angehörigen jeden Tag aufs Neue, ihren Alltag zu meistern. „Wir machen das Beste draus. Wenn ich jeden Tag stundenlang mein Schicksal beweine, ist keinem geholfen“, sagt die 64-Jährige. „Wenn ich die Wahl habe, ob das Glas halb voll oder halb leer ist, nehme ich es immer halb voll – nur so geht es weiter.“ Ihr Mann Heinrich sieht das glücklicherweise genauso. Auch wenn er es selbst nicht sagen kann.

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