Kolumne von Susan Arndt - Faktenfrei und voller Widersprüche: Die blau-braunen Giftrezepte der Alice Weidel

So aufgebracht, nennt sie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) herablassend „Karlchen Chaos“. Dann verstellt sie ihre Stimme und Mimik, um ihn nachzuäffen. Die nasale und hoch kichernde Intonation kommt antisemitischen Verbrämung von Jiddisch nahe. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl, die seit 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist, droht sie gar mit einer Todesmetapher: „Wissen Sie, was ich unter Verantwortung dieser Frau verstehe? Indem sie, wenn sie es selbst will, sich selbst auf eine Taurus-Rakete draufsetzt und da (Weidel meint die Ukraine) hingeschossen wird.“

Dieser Hass gegen demokratisch gewählte Politiker und Politikerinnen gehört auch zum Grundsound ihres Buches. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dieses bringe „rechte Politik“ gegen „linke“ in Stellung. Das wäre insofern legitim, als Rechte und Linke, folgt man Karl R. Popper, zum demokratischen Spektrum einer offenen Gesellschaft gehören.

Es fehlen Fakten und Beweisführungen für Weidels Politikanalyse

Die AfD hat allerdings das Problem, dass es bereits etablierte rechte Volksparteien wie die CDU/CSU gibt – und sich die AfD proaktiv rechts von diesen Parteien verortet. Da dies in großen Teilen auf Rechtsextremismus hinausläuft, fährt die AfD den Kurs, die CDU „zerstören“ und sie kurzerhand zu Linken erklären zu wollen. Weidel etwa wirft der CDU vor, zu einem sozialdemokratischen Projekt zu verkommen. Im Dominoeffekt muss sie auch die Parteien der Mitte nach links verschieben.

Entsprechend erfindet Weidel die SPD als sozialistisch, quasi kommunistisch. Hier stünden auch die Grünen, die sie Feinde der deutschen Nation schimpft. Das ist politisch nicht ungeschickt, intellektuell jedoch lächerlich und inhaltlich haltlos.  Freiheit und Demokratie würden hierzulande abgeschafft, schreibt Weidel in ihrem Buch. Dass drei Viertel der Deutschen kein Vertrauen mehr in den Staat und seine Institutionen wie Kirche, Gewerkschaften oder Medien hätten, sagt sie in ihrer Rede: „Ja wie denn auch? Solche üppig gepäppelten Staatssender, die wirklich nur der Regierung nach dem Mund reden. Keine kritische Berichterstattung.“ 

So wie dieser elliptische Satz Verben einspart, fehlen Fakten und Beweisführungen für Weidels Politikanalyse: Deutschland sei ein sozialistischer, antikapitalistischer und antibürgerlicher Staat. Der Staat bereichere sich am Eigentum der Menschen und belüge sie. Die Covid-Schutzimpfungen hätten nichts gebracht, als Menschen krank zu machen (als hätten diese nicht die Pandemie besiegt), Atomkraftwerke abzuschalten, sei absurd (weil es gar keine Klimakrise gäbe) und der Krieg in der Ukraine sei ein deutsches Pläsierchen (und nicht etwa Putins imperialer Aggression geschuldet): „Wenn die Leute wie Strack-Zimmermann und Frau Baerbock und der Kanzler und Herr Habeck und wie sie alle heißen, in ihrer geballten Kompetenz, Claudia Roth (Gelächter), wenn diese Leute den Krieg in der Ukraine wollen“, sagt sie in ihrer Rede in einem weiteren unfertigen Satz, „uns mit Waffenlieferungen damit zu belasten, Soldaten zu schicken, dann sollen sie bitte selbst gehen (tobender Applaus!) und ihre Söhne schicken! (tobender Applaus!)“ 

„Das Land endlich wieder von dem Kopf auf die Füße stellen“

Am meisten aber seien Migranten Schuld an allem, was in Deutschland falsch laufe. Es gäbe eine „komplett ungesteuerte illegale massenweise Einwanderung“. Nur einen Satz von ihr später sitzen diese vermeintlich hereinströmenden Massen bereits in Deutschlands Schulklassen – obwohl eben dies Menschen ohne Aufenthaltstitel nicht möglich wäre. Dennoch kommt sie von hier zur Schlussfolgerung, dass sich die deutsche Nation durch die „fortschreitende Islamisierung“ abschaffe.

Letztlich unterscheidet Weidel weder zwischen Muslimen und Musliminnen und anderen People of Color – noch zwischen Menschen, die hier schon immer oder auf Visumsbasis leben, politisch Schutzsuchenden oder flüchtenden Menschen. Ihre Behauptung, dass die Regierung eine Politik „gegen die eigenen nationalen Interessen, gegen die eigene Bevölkerung“ mache, setzt die Bevölkerung Deutschlands mit völkisch weißen Deutschen gleich. 

Ohne sich in ihrer Wahlkampfrede zu den politischen Zielen der AfD in Europa zu äußern, schlussfolgert Weidel am Ende der Rede steil. „Was glauben sie, was passieren würden, wenn dieses … Land von der AfD geführt werden würde. Der Spuk wäre von einer Sekunde auf die andere vorbei. Nicht wahr … Das ist doch ekelerregend. Diese kranken Leute. Damit muss endlich Schluss sein. Der Anfang ist gemacht. Wählt die Alternative für Deutschland. Damit wir dieses Land, damit wir Europa, endlich wieder von dem Kopf auf die Füße stellen können.“ 

So funktioniert die AfD. Chaos, das es nicht gibt, erfinden und alles auf den Kopf stellen. Dann behaupten, dass das Chaos nicht reparabel sei – nur um dann ein blaues Giftrezept aus dem Ärmel zu zaubern. 

Was das im Detail bedeuten soll, lässt sich in Weidels Buch etwa nachlesen. Neben der AfD-Devise „Grenzen schließen“ (also „Migranten“ deportieren) könne der Austritt aus der EU sowie die Wiedereinführung der D-Mark alle Probleme wie im Selbstlauf lösen. Und der ‚übermächtige Staat‘ müsse überwunden werden. Dies legt zwar nahe, dass sie einen schlanken, unsichtbaren Staat schaffen wolle.

Weidel setzt auf einen Polizeistaat

Jedoch ist genau das Gegenteil der Fall. In Übereinstimmung mit ihren Parteifreunden und Parteifreundinnen setzt sie auf einen noch mächtigeren, stärkeren Staat – einen Polizeistaat. Denn so viele ‚Fremdkörper‘ vertreiben und Feinde und Feindinnen der AfD in Schach halten zu wollen, setzt diesen unmittelbar voraus.  Weidel beruft sich immer wieder darauf, dem Recht wieder Geltung verschaffen zu wollen.

Gleichzeitig wettert sie gegen den Parteienstaat, den sie überwinden will, und gegen all jene, die ihrem Gesellschafts- und Staatsprojekt entgegenstehen. Dabei sollte Weidel doch wissen, worin die Stärke unseres Grundgesetzes, das in diesen Tagen 75 Jahre alt wird, liegt: Repräsentative Demokratie ist für alle da, die sich die „offene Gesellschaft“ im Sinne Poppers teilen und gemeinschaftlich gestalten. Freiheit ist kein Privileg Einzelner, sondern ein vom Grundgesetz garantiertes Recht, das allen zugänglich sein muss.

Wer, wie Weidel, an diesen Grundsätzen des Grundgesetzes rütteln will, strebt nichts Geringeres an als die Abschaffung des Grundgesetzes und die Überwindung der repräsentativen Demokratie. In ihrem Buch bietet Weidel übrigens eine Antwort darauf an, wie mit solchen Feinden des Grundgesetzes – siehe auch Artikel Art. 20, Abs. 4 – umgegangen werden sollte: „Kein Staat kann billigerweise gezwungen werden, seine Feinde auch noch aus öffentlichen Mitteln zu alimentieren.“ Nur, dass sie vergisst zu erwähnen, dass sie selbst eben diese Feindin des Grundgesetzes ist.

Demokratie in Deutschland bedroht durch die AfD

Denn Weidel strebt nicht danach, die Demokratie vom Kopf auf die Füße zu stellen. Genau im Gegenteil, grätscht sie ihr in die Beine, um sie in den blaubraunen Matsch zu kicken. Das Schüren von Hass gegen Migranten und gegen etablierte Volksparteien läuft auf die Errichtung eines autokratischen Staates hinaus, der auf völkischen Rassismus setzt und dazu faschistische Strukturen aufbaut.  

Ich sage es ganz offen: Seit 1945 war die Demokratie in Deutschland nie so bedroht wie jetzt durch die AfD. Nicht jede Partei, die demokratisch wählbar ist, ist deswegen auch demokratisch. Die AfD ist es definitiv nicht. Wer demokratisch gewählte Politiker und Politikerinnen derart gewaltvoll verhöhnt, liefert die Brandsätze, die physische Gewalt gegen Andersdenkende einfordert. Wer rassistische Hetze betreibt, baut die Nagelbomben und Gewehrkugeln, die Schwarze, Juden und People of Colour tagtäglich bedrohen.

Auch wenn ich dem Vernunftbegriff der Aufklärung kritisch gegenüberstehe – denn er grenzt alle People of Color und alle Frauen aus – so bin ich doch davon überzeugt, dass Wut ein gefährlicher Kompass beim Steuern eines Landes ist. Dieser Kurs droht nicht nur die AfD-Wahlkampfkampagnen, sondern unser ganzes Land in einen „dunklen Raum“ zu sperren. Denn ein Land, in dem nicht alle Menschen sicher sind, ist ein gefährliches Land – für alle.