Seltener Gen-Defekt - Zwei Herztode knapp überlebt – erst Jahre später erhält Tamara rettende Diagnose
„So ging es die Jahre immer weiter. Ins Krankenhaus rein, aus dem Krankenhaus raus, wenige Monate später dasselbe Spiel. Und währenddessen wurden die Ärzte immer ratloser.“
Wieder kämpfte sich Tamara zurück ins Leben, wieder ohne bleibende Schäden. Per Ambulanzflug kam sie zurück nach Deutschland – „traumatisiert von den Elektroschocks und mit panischer Angst im Gepäck“. Doch die Ärzte hätten wenig mitfühlend reagiert: Was stellen Sie sich denn so an? Der Defibrillator hat eben die Welle nicht gefunden. Aber Sie sind ja trotzdem geschützt. „Nur diese drei Sätze, ich war sprachlos.“
Nach knapp zwei Wochen wurde sie bereits entlassen. Und schon drei Wochen später bekam sie erneut gefährliche Rhythmusstörungen. „Ohne Defibrillatorschocks, aber mit Notarzteinsatz und anschließendem Krankenhausaufenthalt.“ Erstmalig verödeten Ärzte die Stellen im Herz, die für die Herzrhythmusstörungen verantwortlich waren.
Zunächst erfolgreich. „Doch ein halbes Jahr später traf mich der nächste Vorfall, der mich erneut mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus brachte. So ging es die darauffolgenden Jahre immer weiter. Ins Krankenhaus rein, aus dem Krankenhaus raus, wenige Monate später dasselbe Spiel. Und währenddessen wurden die Ärzte immer ratloser.“
Die große Wende dank „Sherlock Kleinstadt-Kardiologe“
Fünf lange Jahre ging das so. Ihre Bilanz in Zahlen ist so lang wie erschreckend:
- 5 Jahre Stammgast bei insgesamt 10 Kardiologen.
- 14 Krankenhausaufenthalte in 7 verschiedenen Krankenhäusern.
- 6 Biopsien des Herzmuskels.
- 3 Verödungen am Herz.
- 8 Monate Immunsuppression.
- 5 Schocks meines implantierten Defibrillators.
- 2 Defibrillator-Operationen.
- 2 plötzliche Herztode mit Reanimationen.
- 4 Mal dem Tod von der Schippe gesprungen.
Und dann ganz unverhofft, kam plötzlich die Wende – und zwar in Gestalt eines „Kleinstadtkardiologen“, wie Tamara in ihrem Buch schreibt. Ihr Apotheker hatte ihn empfohlen, als der neue Arzt direkt nebenan eine Praxis eröffnete. „Ich hatte keine großen Erwartungen, schließlich gab es gerade nichts Akutes zu klären. Und eigentlich wollte ich auch nur einen Mediziner in meiner Nähe, der mir meine Rezepte verschreiben konnte.“
Doch der Kardiologe sah sämtliche Unterlagen durch, bat sie eine Woche später zum erneuten Gespräch. Und dann: „Er fragte mich, ob nie eine genetische Diagnostik gemacht worden war. Und war ganz verwundert, als ich das verneinte.“ Er nahm Blut ab und tatsächlich brachte der Gen-Test die alles entscheidende Diagnose: Tamara leidet an ALVC oder Arrhythmogener linksventrikulären Kardiomyopathie.
„Das schlechte Gewissen, das mir jahrelang schwer auf den Schultern lag, war verschwunden. Doch letztlich wurde es nur durch eine neue schwere Last ausgetauscht. Eine, die noch viel schwerer war: Die blanke Angst um meine Familie.“
Jahrelang hätte sie gedacht, an einer Herzmuskelentzündung zu leiden – „auch noch angeblich selbstverschuldet durch Sport während einer Krankheit, wie ich dachte“. Plötzlich war das alles anders. „Das schlechte Gewissen, das mir jahrelang schwer auf den Schultern lag, war verschwunden“, sagt sie. „Doch letztlich wurde es nur durch eine neue schwere Last ausgetauscht. Eine, die noch viel schwerer war: Die blanke Angst um meine Familie.“
Denn ein Gen-Defekt bedeutet leider, dass die Erkrankung vererbbar ist. Das heißt, das Risiko, dass weitere Familienmitglieder betroffen sind, ist hoch. Und tatsächlich ergaben die Tests: „Ich war nicht die Einzige mit einem lebensgefährlichen Gendefekt. Wir waren mehrere, unter ihnen auch mein Vater, die eine tickende Zeitbombe in sich trugen.“
Die Krankheit ist nicht heilbar. Es gibt zwar bestimmte Dinge, die Betroffene tun können, um das Risiko gering zu halten. Dazu gehören regelmäßige Kontrolltermine beim Kardiologen, wenig bis keinen Sport, das Implantieren eines Defibrillators. Aber: „Es gibt keine Therapie, keine Medikamente können die Krankheit aufhalten oder groß verbessern. Es bleibt nur zu hoffen, dass es so lang wie möglich gut gehen wird.“
Für Tamara bedeutete das: „Alles, was ich bis dahin durchleiden musste, war für die Katz. So gut wie jede Therapie, unzählige Krankenhausaufenthalte, Spritzen, Medikamente und Therapien. Alle Mühen und Schmerzen der vergangenen Jahre waren umsonst gewesen.“ Und ja: „Der Gedanke lässt einen natürlich nicht los: Wie konnte es sein, dass insgesamt zehn Kardiologen in sieben namhaften Krankenhäusern nie auf die simple Idee gekommen waren, einen Gentest zu machen?“
„Ich konnte einfach nicht mehr. Also fragte ich die Ärztin: 'Was muss ich ertragen, damit ich endlich die Chance auf ein neues Herz bekomme?'“
Nur ein einziger Eingriff könnte sie von ihrer Krankheit ihrem Schicksal befreien, schreibt sie: die Transplantation eines neuen Herzens. In Deutschland ist das jedoch nicht leicht. Denn um auf die Warteliste für eine Organspende zu kommen, gelten strenge Regularien. Tamara war trotz ihrer jahrelangen Leidenszeit schlichtweg noch „nicht krank genug“.
Bis zum Sommer 2021. Bei einem gemütlichen Fernsehabend mit ihrer besten Freundin, begann ihr Herz plötzlich zu rasen. „Ich weiß noch, ich checkte damals meinen Puls auf meiner Smartwatch: 170 Schläge pro Minute.“ Zum Vergleich: Normal sind 60 bis 80 Schläge. Ihre Freundin rief den Notarzt, sie kam in die Klinik. Wieder eine OP, wieder verödeten die Ärzte alle kaputten, gefährlichen Stellen am Herzen, ein neuer, stärkerer Defibrillator wurde eingesetzt."
Die Ärzte waren zufrieden, Tamara sollte entlassen werden. Doch kurz vor der Entlassung folgte der nächste Notfall. Insgesamt acht Schocks des Defibrillators, sie wurde bewusstlos. „Es fühlte sich an wie ein schöner Traum. Tausende Bilder, Situationen, Momentaufnahmen. Sie flogen in Daumenkinogeschwindigkeit an meinem inneren Auge vorbei. Es fühlte sich schön an. Bis die Diashow ganz plötzlich und abrupt mit dem Bild eines Krankenhauszimmers aufhörte“, beschreibt sie ihre Nahtoderfahrungen.
Als sie wieder aufwachte, litt sie unter unfassbaren Schmerzen. „Ich konnte einfach nicht mehr. Also fragte ich die Ärztin: 'Was muss ich ertragen, damit ich endlich die Chance auf ein neues Herz bekomme?'“ Mit diesem Vorfall sei sie „einen großen Schritt in diese Richtung gegangen“, antwortete diese.
„Es ist doch ein Wunder – etwas Besonderes, Bedeutendes, Unglaubliches, das mir hier passiert ist. Es schlägt das Herz eines fremden Menschen in mir, meines Heldenmenschen.“
Und tatsächlich: Tamara schaffte es auf die Dringlichkeitsliste. An Tag 33 auf dieser High Urgency Transplantationsliste überbrachte die Ärztin am 1. August 2021 die erlösende Nachricht: „Es geht los. Ihr neues Herz ist da!“ Die OP dauerte zwar nur vier Stunden, doch es kam zu Komplikationen. „Mein neues Herz ist etwas größer als mein altes und meine Organe waren durch den Eingriff geschwollen.“ Drei Tage lag Tamara mit offenem Brustkorb im Koma, bis die Schwellungen zurückgingen und die Ärzte sie zunähen konnten.
„Die Anfangszeit war also vor allem von Schmerzen geprägt. Ich fühlte mich wie eine Marionette auf Drogen“, sagt sie. „Doch auch ein anderes, sehr starkes Gefühl war da ganz deutlich: Dankbarkeit. Es ist doch ein Wunder – etwas Besonderes, Bedeutendes, Unglaubliches, das mir hier passiert ist. Es schlägt das Herz eines fremden Menschen in mir, meines Heldenmenschen. Ich kenne ihn nicht, werde ihn nie kennenlernen und trotzdem rettete sie mir mit ihrem Herzen das Leben.“
Heute arbeitet Tamara Schwab als Speakerin, Resilienz-Trainerin und Autorin. Daneben setzt sie sich ehrenamtlich für mehr Aufklärung zum Thema Organspende ein. Am 20. März erschien ihr neues Buch. Es ist ihrer Organspenderin gewidmet: „Für meinen Heldenmensch, der mir mit seinem Herz ein zweites Leben schenkte.“