„Verschärft Notsituation“: Was die geplante Bürgergeld-Reform für Empfänger bedeutet
CDU und SPD wollen beim Bürgergeld härtere Sanktionen für Arbeitsverweigerer einführen. Doch das trifft oft die Falschen – und verschärft „bestehende Notsituationen“, so die Kritik.
Berlin – Union und SPD wollen das Bürgergeld zu einer neuen Grundsicherung umbauen. Kern der Reform sind laut den bisherigen Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen strengere Anforderungen und härtere Sanktionen. Entscheidender Aspekt der Grundsicherung-Reform der neuen Großen Koalition ist die vollständige Streichung aller Gelder für sogenannte „Arbeitsverweigerer“. Auf Arbeitslose kommt damit eine „völlige Rückkehr zu Hartz IV“ zu, befürchtet Helena Steinhaus gegenüber IPPEN.MEDIA.
Steinhaus ist Geschäftsführerin von Sanktionsfrei. Der Verein will Bürgergeld-Empfänger nach eigenen Angaben gegen „Willkür“ der Jobcenter schützen, geht dagegen juristisch vor und begleitet politische Debatten – so wie derzeit die Koalitionsverhandlungen und die Diskussion um die sogenannten „Totalverweigerer“ und die Forderung, ihnen die Grundsicherung zu streichen.
Umbau des Bürgergelds zur Grundsicherung sieht Totalsanktionen vor
Der Kern der Bürgergeld-Pläne besteht darin, die Verpflichtungen für Erwerbslose zu verstärken. „Jede arbeitslose Person hat sich aktiv um Beschäftigung zu bemühen“, wird im Papier betont. Der Vermittlungsvorrang kehrt zurück, wodurch eine schnelle Arbeitsaufnahme Vorrang vor Qualifizierungsmaßnahmen erhält, selbst wenn diese eine nachhaltigere Integration ermöglichen könnten.
Jobcenter sollen bei Fehlverhalten der Bürgergeld-Empfänger „schneller, einfacher und unbürokratischer“ Sanktionen verhängen können. Im Mittelpunkt steht die vollständige Kürzung der Leistungen, sogenannte Totalsanktionen. „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“, lautet die Erklärung von CDU, CSU und SPD. Bisher gibt es die Möglichkeit, das Bürgergeld für zwei Monate zu streichen, wobei die Jobcenter weiterhin Miete und Heizkosten zahlen. Das wäre nach den neuen Plänen nicht mehr der Fall.
Vollständige Streichung des Bürgergelds trifft auch psychisch Kranke und Menschen in Carearbeit
Helena Steinhaus kritisiert an den geplanten Totalsanktionen, dass „es nicht ausgeschlossen werden kann, dass es vor allem Menschen trifft, die Care-Arbeit und Erziehungsarbeit leisten und sich angebotene Jobs nicht mit diesen Verpflichtungen übereinstimmen lassen“.
„Außerdem werden auch psychisch und physisch Kranke davon betroffen sein. Menschen, die Angststörungen oder Depressionen haben und ihre Post nicht öffnen können, oder für die allein der Gang zum Jobcenter ein Spießrutenlauf ist“, sagt Steinhaus.
Union und SPD versprechen zwar, „die besondere Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen berücksichtigen“ zu wollen. Doch Steinhaus weist darauf hin, dass es oft an einer verlässlichen Diagnose oder der Möglichkeit hierzu fehlt: „Gerade bei psychischen Krankheiten fehlt es auch oft einige Zeit an einer verlässlichen Diagnose oder der Möglichkeit hierzu, sodass der Zusatz, dass psychisch Kranke geschont bleiben sollen, gar nicht eingehalten werden kann.“
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Bürgergeld-Streichung ist „enorme Verschlimmerung der bestehenden Notsituation“
Die Einstellung der Bürgergeld-Zahlungen durch die Jobcenter würde laut Steinhaus „eine enorme Verschlimmerung der bereits ohnehin schon bestehenden Notsituation“ bedeuten. Die meisten hätten keine Rücklagen. „Emotionale Belastung, Schulden bis hin zum Verlust der Wohnung werden die Folgen sein“, warnt sie vor den Totalsanktionen. Zudem würden viele Jobs angenommen, „die dann ganz schnell wieder aufgegeben werden, weil sie sich nicht mit der Lebenssituation vereinbaren lassen“.
Durch den Vermittlungsvorrang könnten mehr Menschen gezwungen sein, unpassende Jobs anzunehmen. Jobcenter-Mitarbeiter berichten zwar, dass die Rückkehr in der Praxis keine Rolle spielt. Auch zu Zeiten von Hartz IV gab es Qualifizierungen, wenn sie sinnvoller erschienen als eine schnelle Arbeitsaufnahme. Dennoch ist das Ziel dieser Maßnahme, die Betroffene möglichst schnell in Jobs zu bringen.
Vermittlungsvorrang und Totalsanktionen sind „völlige Rückkehr zu Hartz IV“ – kritisiert Steinhaus
Steinhaus warnt: „Wenn Menschen ohne eine Wahl zu haben in Jobs gedrückt werden, wird das zu viel Frust auf beiden Seiten führen.“ Diese Tätigkeiten würden oft nur kurz ausgeübt, was als Drehtüreffekt bekannt ist. „Die andere Seite ist, dass sie häufig super schlecht bezahlt werden und dadurch die Menschen trotz Arbeit arm bleiben.“ Dies sei auch für den Staat problematisch, „weil ergänzende Sozialleistungen gezahlt werden müssen“. Damit würde der Staat den Niedriglohnsektor subventionieren. Ihr Fazit zu der kommenden Reform: „Der Vermittlungsvorrang in Kombination mit härteren Sanktionen ist völlige Rückkehr zu Hartz IV und damit auch eine Drohkulisse vor allem an Menschen, die arbeiten.“