Tod durch Ersticken - Frau stirbt in verbotener Suizid-Kapsel: Was im Körper bei Sauerstoffmangel passiert
Nahe der Deutsch-Schweizer Grenze steht in einem Wald eine Kapsel. Gerade so groß, dass ein Mensch hineinpasst. Blau und weiß mit zwei großen Fenstern. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie aus der Raumfahrt oder die Requisite eines futuristischen Films. In Wahrheit ist es ein Sarg. Ein Sarg, in den ein Mensch lebendig einsteigt und nicht mehr herauskommt.
Die Kapsel namens „Sarco“ leistet Sterbehilfe. Sie ermögliche einen „friedlichen, gar euphorischen Tod“, behauptet ihr Erfinder Philip Nitschke auf der Webseite von Exit International, seiner Non-Profit-Organisation. Diese setzt sich dafür ein, dass Menschen einen selbstbestimmten Tod wählen können – und liefert auch gleich ein paar mögliche Wege.
Einer davon ist „Sarco“. Über einen Knopf im Innern der Box lässt sich der Sauerstoffgehalt so stark reduzieren, dass der Insasse erstickt. Auf diese Weise ist laut Medienberichten nun zum ersten Mal eine 64-jährige Frau gestorben. Die US-Bürgerin, , die unter einer schweren Immunschwäche gelitten habe, sei in der Nähe einer Waldhütte im schweizerischen Merishausen leblos in der Kapsel gefunden worden. Das bestätigt die Polizei. Dabei ist die Verwendung von „Sarco“ verboten.
Erfinder baute bereits andere Tötungsmaschinen
Erfinder Philip Nitschke (76) ist ein Sterbehilfe-Aktivist der besonders präsenten Sorte. Der Arzt in Ruhestand hat in der Vergangenheit bereits zwei andere Tötungsmaschinen entwickelt, die für Aufruhr sorgten. Mit seinen Produkten ist er auf diversen Messen unterwegs. 2023 präsentierte er sein neustes Produkt „Sarco“ auf einer großen Technologie-Konferenz in Litauen einem Publikum, das im Durchschnitt 25 Jahre alt war, wie er selbst auf seiner Webseite berichtet.
Die Nutzung von „Sarco“ hatte er zunächst nur in der Schweiz vorgesehen, in der Annahme, dass ihm das die dortige Gesetzeslage erlaube. Doch Nitschke hatte sich geirrt. Die Kapsel und ihre Art zu töten sind auch in der Schweiz verboten. „Sarco“ hätte nie benutzt werden dürfen. In Merishausen wurden daher mehrere Menschen festgenommen. Die Leiche des verstorbenen Frau werde nun in Zürich obduziert.
Werbeslogan: „eine Reise zu einem ,neuen Ziel‘“
Doch was genau ist im Innern der Kapsel passiert? Auf der Webseite von Exit International wird der Vorgang verherrlicht: „Sarco“ ermögliche es, „an einem Ort natürlicher Schönheit zu sterben“. Der Behälter ist mobil und kann theoretisch an jeden beliebigen Ort transportiert werden – etwa in den Wald. Das Interior wurde so konstruiert, dass ein Mensch darin liegen und aus einem großen Fenster nach oben schauen kann, in den Himmel, in die Bäume.
Das „elegante Design“ solle das Gefühl vermitteln, „eine Reise zu einem ,neuen Ziel‘“ anzutreten, schreiben die Entwickler über das Produkt. Der silbern glänzende Anstrich, den die Konstrukteure der Kapsel „nach reiflicher Überlegung“ verpasst hätten, sei von der Milchstraße inspiriert.
Und dann, mitten im Wald, unter einem Baum, durch den vielleicht die Sonne funkelt, drückt der Sterbewillige auf einen Knopf. Läuft alles nach Plan, strömt Stickstoff in die Kapsel, der Sauerstoffgehalt fällt innerhalb von 30 Sekunden auf wenige Prozent. Im Rahmen von Testversuchen habe das Produktteam ermittelt, dass der Sauerstoffgehalt in der Kapsel nach zehn Minuten immer noch bei nur fünf Prozent liegt. Das geht aus Berichten aus dem Jahr 2023 hervor.
Normalerweise beträgt der Sauerstoffgehalt in der Luft 21 Prozent. Einen geringen Anteil von fünf Prozent zu erhalten, sei wichtig, um einen friedvollen Tod zu ermöglichen, behauptet der Hersteller. Er spricht sogar von einem „euphorischen“ Tod. Der Insasse erstickt.
Gehirn stirbt zuerst, Organe arbeiten weiter
Wie lange ein Mensch bei diesem Sterbevorgang noch bei Bewusstsein ist und wann genau der Tod eintritt, kann individuell sein. Sauerstoffmangel kann bereits nach wenigen Sekunden zur Bewusstlosigkeit führen. In den meisten Fällen ist das Gehirn nach drei bis fünf Minuten so stark geschädigt, dass selbst ein Abbruch bleibende Schäden hinterlassen würde.
Nach etwa zehn Minuten stirbt das Gehirn ab und damit die Fähigkeit, selbst zu atmen. Trotzdem gibt es Organe, die deutlich länger ohne Sauerstoff aushalten. Das Herz kann einen Sauerstoffmangel bis zu 30 Minuten überleben. Die Niere kann ohne Sauerstoff sogar noch zwei Stunden weiterarbeiten. Nach dem Hirntod stellen bestimmte Körperregionen also nicht automatisch ihre Aktivität ein. Eine Rückkehr ins Leben ist dann zwar ausgeschlossen, ein Teil des Körpers funktioniert trotzdem noch.
Erfinder Nitschke verspricht 2023 in einem Interview mit der niederländischen Tageszeitung „de Volkskrant“ einen „schmerzlosen Tod innerhalb von fünf bis zehn Minuten.“ Er wolle die Box auch einmal selbst ausprobieren, um zu checken, dass sich das einströmende Gas nicht zu kalt anfühle, sagte er damals – mit Sauerstoffmaske natürlich.
Intensivmediziner über Sauerstoffmangel: „Würde nicht von einem milden Tod sprechen“
„Die bei einem Sauerstoffmangel auftretenden Symptome, insbesondere die Atemnot, können sehr unangenehm sein. Insofern würde ich nicht von einem milden Tod sprechen“, sagte Stefan Kluge 2023 gegenüber der Deutschen Presseagentur. Der Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hatte im Juni vergangenen Jahres das Tauchboot-Unglück der Titan kommentiert. Bei der Implosion des U-Boots waren die Insassen damals zerfetzt worden. Zwischenzeitlich war man davon ausgegangen, sie könnten aufgrund von Sauerstoffmangel erstickt sein.
Bei zunehmendem Sauerstoffmangel kommt es zu Kopfschmerzen sowie zu Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Atemnot, Verwirrtheit, Schwindel und Benommenheit bis zur Apathie. Bei anhaltendem Mangel folgt der sichere Tod. Im Fall von „Sarco“ nimmt der Sauerstoffgehalt in der Atemluft extrem schnell ab.
Sterben ohne ärztliche Begleitung
Eine ärztliche Begleitung ist bei „Sarco“ nicht vorgesehen. Einer der Gründe, wieso die Schweizer Sterbehilfe-Organisation Pegasus die Zusammenarbeit mit Philip Nitschke bereits vor einiger Zeit beendet hat. Der Präsident der Organisation, Ruedi Habegger, erklärte gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“, Betroffene würden in den meisten Fällen nicht auf eine ärztliche Begleitung verzichten wollen. Und weiter: „Den meisten unserer Patienten ist es wichtig, dass sie beim Sterben Körperkontakt mit geliebten Personen haben können. Das ist beim Sarco nicht möglich.“
Trotzdem gebe es eine lange Warteliste für „Sarco“, behauptet Erfinder Nitschke gegenüber „de Volkskrant“. Ob und wann die Kapsel noch einmal zum Einsatz kommen wird, ist jedoch ungewiss. Ihre Nutzung verstößt auch in der Schweiz gegen Gesetze und stellt eine illegale Kommerzialisierung der Sterbehilfe dar.
Suizide in Deutschland
In Deutschland starben laut Statistischem Bundesamt rund 10.300 Menschen im vergangenen Jahr durch Suizid. Darunter deutlich mehr Männer (73 Prozent) als Frauen (27 Prozent). Eine aktive Sterbehilfe hat keiner von ihnen in Anspruch genommen, sie ist in Deutschland verboten.
Der sogenannte „assistierte Suizid“ befindet sich dagegen in einer Grauzone. Der Tod wird dabei nicht durch eine Maschine oder eine Gaskammer herbeigeführt, sondern durch ein tödliches Medikament. Wichtig: Sterbewillige nehmen es selbst ein, es darf ihnen nicht von anderen verabreicht werden.
Hilfe für Betroffene von Suizidgedanken und Angehörige
Sie leiden an Suizidgedanken? Eine Anlaufstelle für alle Menschen in psychischer Not ist die Telefonseelsorge mit den deutschlandweiten Telefonnummern 08001110-111 oder -222.
Die Internetplattform „Freunde fürs Leben“ gibt Hilfestellung bei drohendem Suizid. Die AGUS ist eine bundesweite Selbsthilfeorganisation für Trauernde, die einen nahestehenden Menschen durch Suizid verloren haben. Weitere Informationen finden Sie auch bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Ein Verzeichnis von Beratungsstellen finden Sie hier: Suizidprophylaxe.de.