Viereinhalb Oktaven umfasst seine Stimme heute nicht mehr – aber eine Galionsfigur des Heavy Metal ist Rob Halford (73) immer noch. Am am 13. Juli spielt er mit Judas Priest die Band in der Olympiahalle.
München – Ein reizender 73-Jähriger mit Nikolaus-Bart erscheint auf dem Bildschirm – erst auf den zweiten Blick erkennt man die tätowierte Glatze und den Nasenring. Rob Halford, der am 13. Juli mit den Heavy-Metal-Legenden Judas Priest in der Olympiahalle auftritt, ist ein britischer Gentleman, der sich für das Fern-Interview doppelt so lange Zeit nimmt wie geplant. Er erinnert sich an die frühen Tage, Komplimente von Placido Domingo – und wie er mit seinem Coming-out die Musikwelt erschütterte..
Mr. Halford, kurz bevor Sie im Bild erschienen, stand da als Benutzername „Metal God“. Nennen Sie sich wirklich selbst so?
(lacht) Das ist eher augenzwinkernd gemeint. Als ich heute Morgen aufgestanden bin, habe ich mich nicht wirklich wie ein Gott gefühlt.
Nun ja, Elvis war der King of Rock‘n‘Roll, Madonna die Queen of Pop, und Metal God ist Ihr Attribut. Ist doch schmeichelhaft.
Früher haben Manager und Plattenfirma dieses Image als Marke gehegt und gepflegt. Gott sei Dank komme ich aus einem Landstrich – dem Black Country bei Birmingham –, wo sich die Einheimischen selber „Yam Yams“ nennen. Das Letzte, was wir machen, ist uns auf einen Sockel stellen. Nur weil du der Sänger in einer Band bist, macht dich das nicht besser als den Typen, der die Straße runter in der Werkstatt arbeitet.
Judas Priest waren immer eine ausgesprochen britische Band. Was ist so britisch an Ihnen?
Schon die musikalischen Charakteristiken. Das Vereinigte Königreich war in den späten Sechzigern, frühen Siebzigern musikalisch unheimlich aufregend. Viele laute Rockbands. Wir haben diese Einflüsse eingesogen – und gemeinsam mit Black Sabbath die Formensprache des Heavy Metal geprägt, wie man ihn heute kennt. Die Alternative wäre gewesen, in der Schwerindustrie zu arbeiten – mein Vater malochte im Stahlwerk.
Ihr Durchbruchsalbum haben Sie „British Steel“ genannt, nach einem großen Stahlhersteller.
Genau. Es gab sehr limitierte Wahlmöglichkeiten für junge Männer. Gleichzeitig war die Musik-Szene in London zu Hause. Wir weiter im Norden hatten kaum Aussicht auf Erfolg. Der Druck war also gleich viel größer: Ist es das, was ich machen will? Die Antwort musste sein: zu 100 Prozent. Alles, was zählte, waren die Band und die Musik.
Wie schauen Sie heute auf Ihre Anfangsjahre zurück?
Mit großer Zuneigung. Ich bin stolz und dankbar. Damals war es Scheiße. (lacht) Es war so schwierig, irgendwas auf die Reihe zu kriegen. Können Sie sich vorstellen, wie schwierig es war, Gitarrensaiten aufzutreiben? Oder ein Mikro? Ich konnte mir anfangs keines leisten, das länger als zwei, drei Songs ausgehalten hat. Dann habe ich es kaputt gebrüllt. Und musste wieder mit einer Fünf-Pfund-Note zum Musikalienhändler laufen. Vielleicht war das Durchhaltevermögen auch typisch britisch.
Placido Domingo hat einmal seine Bewunderung für Ihre Stimme ausgedrückt. Stimmt das?
Leider habe ich ihn nie persönlich getroffen, aber die Quelle ist sehr zuverlässig, das reicht mir. Denn es bestätigt meine eigene Erfahrung. Viele professionelle Sänger werden Ihnen erzählen, dass sie alle möglichen Arten von anderen Stimmen mögen. Sie lieben es einfach, Menschen singen zu hören. Es ist natürlich ziemlich cool, wenn einem das ein klassisch ausgebildeter Opern-Star sagt.
Sie sind musikalisch sehr aufgeschlossen. Ich war überrascht, in Ihrem jüngsten Buch zu lesen, dass Sie Marvin Gaye, Frank Sinatra, Pavarotti mögen.
Ich höre einfach gerne, was die menschliche Stimme zu leisten imstande ist. Wir haben in England doch diese berühmte Fernsehshow, „Britain’s got Talent“...
In Deutschland haben wir das auch, „Das Supertalent“.
Ich hasse diese Sendung! Denn sie verleitet die Menschen dazu, über andere zu urteilen. Einmal kam diese Sängerin auf die Bühne, Sue Boyle, hieß sie. eine unscheinbare Lady. Und die anfängliche Reaktion des Publikums war richtig beleidigend. Nach dem Motto: Was hast du da zu suchen? Doch als sie anfing zu singen, fielen den Leuten die Unterkiefer runter. Ich dachte: Jawohl, denen hast du’s gezeigt. Denn es ist Deine Stimme, auf die es ankommt.
Sie haben selbst nicht mehr die jüngste Stimme. Wie halten Sie sie in Form bei all der Schreierei?
Seit ich clean und nüchtern bin, verstehe ich, dass es da körperliche Notwendigkeiten gibt. Wenn ich auf meinem früheren Pfad geblieben wäre, würde a, meine Stimme grottig klingen und b, wäre ich tot. Heute spüre ich die Verantwortung den Fans gegenüber, sie nicht zu enttäuschen – und Performances zu replizieren, die ich vor Jahrzehnten aufgenommen habe. Ich muss da ein paar Anpassungen machen, das ist natürlich, wenn die Stimme so lange in Gebrauch ist. Aber ich habe eine Technik entwickelt, die mir dabei hilft. Sie tut’s noch – klopf auf Holz.
Was wäre gewesen, wenn Soziale Medien in den Achtzigerjahren schon erfunden gewesen wären – zur Hochzeit Ihres Alkohol- und Drogenkonsums?
Bin ich froh, dass es da noch keine Smartphones gab! Wir mussten uns nicht mit dieser exzessiven Informationsflut auseinandersetzen. Es ging damals darum, geheimnisvoll zu sein. Led Zeppelin gaben nie Interviews, das hat neugierig gemacht. Heute wollen die Leute auf Instagram wissen, was du zum Frühstück hattest – nicht, an welchem Album Du gerade arbeitest. Die Magie des Rock’n’Roll ist leider ein bisschen verloren gegangen.
Sie selbst haben viele Hardrock-Klischees ausgehebelt, als Sie 1998 bekannt haben, dass Sie schwul sind.
Ich hätte nie gedacht, dass das solche Wellen schlägt. Das sind doch nur Etiketten! LGBTQIA-Leute sind auch nur Menschen, die andere Menschen lieben. Ich hätte, wie Freddie Mercury, auf dem Standpunkt beharren können: Das ist meine Privatsache, die geht euch nichts an. Aber ich war wütend wegen der Art, wie man uns behandelte. Ich hatte mein ganzes Erwachsenenleben damit verbracht, mich zu verstecken. Das ist Gift fürs Herz und die Seele. Also sagte ich: Ich bin ein schwuler Sänger einer Heavy Metal Band: Kommt damit klar!
Auch heute noch setzen Sie sich für die Sache ein.
Weil es ist immer noch nicht einfach für die jungen Leute. Solange wir noch attackiert werden, solange wir noch ermordet werden, solange wir noch marginalisiert werden, so lange werde ich meinen Mund aufmachen.
Das Lustige ist, dass viele Leute es nach Ihrem Coming-out schon immer gewusst haben wollten – all das Leder und die Nieten, der muss schwul sein. Dabei hatte das gar nichts damit zu tun, oder?
Nein, wirklich nicht! Metal hatte damals einfach noch keinen Look. Wir kamen gerade aus der Hippie-Ära. Schauen Sie unsere ersten TV-Auftritte an – da trage ich die Bluse meiner Schwester! Wir dachten einfach, bei der Musik müssen wir hart ausschauen. Heavy Metal ist extrem. Laut. Größer als das Leben. Also ergibt es Sinn, das mit der visuellen Präsentation zu verbinden. Die Ironie war, dass die queere Leder-Community schon immer so ausgesehen hatte, aber das wussten wir nicht. Es wäre doch auch beleidigend für den Rest der Band gewesen. „Rob will das so, also lasst uns uns alle anziehen wie Leder-Tunten.“ (lacht) Nein, Gott sei Dank haben wir diese Entscheidung gemeinsam getroffen. Denn sobald wir das getan hatten, zogen sie sich alle die Ketten, Nieten und Lederarmbänder an.
Heavy Metal war immer vornehmlich eine Musik, die für Heranwachsende attraktiv war. Heute werden alle alt: die Musik, Sie, die Fans – wie kann der Mummenschanz da noch funktionieren?
Wenn ich Sie fragen würde, was Ihre Lieblingslieder sind, würden Sie wahrscheinlich ein paar Lieder aus Ihren Teenagerjahren nennen. Die sind in Ihrem Herzen. Und wenn Sie die Gelegenheit haben, die Leute zu sehen, die dieses Lied gemacht haben, zu ihrer Show zu gehen und das Lied dort zu hören, gemeinsam mit Leuten, die das Gleiche bei diesem Song fühlen – das ist doch alles, was zählt.
Aber das ist doch Nostalgie, oder?
Nicht nur. Die Angst, das Unbehagen, durch das alle Aufwachsenden durchmüssen, sind immer noch die gleichen. Wenn ich heute von der Bühne blicke, dann sehe ich da auch Teenager, die Judas Priest zu ihrer Band erkoren haben. Wie cool ist das bitte? Diese Musik ist universell. Ein bisschen traurig ist es auch, weil ich weiß, dass ich für den 15-Jährigen nicht noch weitere 15 Jahre werde singen können. Aber vielleicht geht er ja nach dem Konzert nach Hause, spart sein Geld und kauft sich eine Gitarre oder ein Schlagzeug. Ein neuer Metal God. Was für eine glorreiche Vorstellung!
Karten für das Konzert gibt es unter muenchenticket.de.