Streit um Bürokratie: Mann soll nachweisen, dass seine Mutter noch lebt
Der Landeswohlfahrtsverband Hessen fordert für die Auszahlung von Blindengeld regelmäßige Lebensbelege. Dies ärgert einen Kasseler.
Kassel – Hannelore Damm hat ihren Humor nicht verloren. Obwohl die 98-Jährige aufgrund einer chronischen Augenkrankheit (altersbedingte Makuladegeneration) kaum noch etwas sieht, lacht sie viel. Ihr Sohn Klaus war zuletzt nicht ganz so ausgelassener Stimmung. Er hatte für seine Mutter auf Anraten von deren Augenärztin Ende September 2024 Blindengeld beim Landeswohlfahrtsverband Hessen beantragt (LWV). Als nur eine Woche später die Bewilligung ins Haus flatterte, staunte der Sohn nicht schlecht. „Das ging wirklich sehr schnell“, so Klaus Damm.

Dem Bewilligungsschreiben lag eine umfassende Belehrung bei, dass der Antragsteller bei etwaigen Änderungen sofort die Behörde informieren müsse und sich bei Falschangaben strafbar mache. Daran hielt sich der Sohn auch. Als seine Mutter von Pflegegrad 2 in Pflegegrad 3 eingestuft wurde, schrieb er dies dem LWV. Denn das Pflegegeld wird auf das Blindengeld angerechnet. So erhält Hannelore Damm wegen ihrer hochgradigen Sehbehinderung aktuell 167 Euro Blindengeld im Monat.
Kasseler hat Ärger mit Landeswohlfahrtsverband Hessen
Anfang Mai kam dann abermals ein Schreiben des LWV. Mit diesem wurde Klaus Damm aufgefordert, einen zweiseitigen Fragebogen auszufüllen. Es ging darin unter anderem darum, mögliche Änderungen des Sehvermögens, des Pflegegrades oder eventuell erfolgte Augenoperationen mitzuteilen. „Das war soweit alles nachvollziehbar – obwohl in der Belehrung natürlich auch schon alles drin stand“, so der Sohn. Zudem sollte er aber nachweisen, dass seine Mutter noch lebt. Dafür benötige er eine Bestätigung durch das Einwohnermeldeamt, einen Arzt oder eine Bank oder Sparkasse. Hannelore Damm muss lachen, als sie davon hört. „Natürlich lebe ich. Die 100 will ich noch vollmachen“, sagt die 98-Jährige.
Der Sohn füllte den Fragebogen aus und notierte neben seiner Unterschrift, dass er das Einwohnermeldeamt von der Schweigepflicht entbinde und dieses telefonische Auskünfte gegenüber dem LWV erteilen dürfe. Wenige Tage später erhielt Klaus Damm erneut Post. Dem LWV genügte diese Angabe nicht. Es brauche eine unterschriebene Bestätigung von einer der angegebenen Stellen. „Das ist doch Behördenwahnsinn“, findet der Sohn. Nicht einmal eine eidesstattliche Versicherung seinerseits werde akzeptiert. „Ich bin doch kein Leistungserschleicher oder Betrüger.“
LWV-Hessen begründet Vorgehen mit Betrugsversuchen
Weil er für seine hochbetagte Mutter zufällig ohnehin einen Arzttermin vereinbart hatte, ließ er sich schließlich von der Ärztin kurzerhand eine entsprechende Bescheinigung mit Unterschrift und Stempel ausstellen. „Die hat den Aufwand auch nicht nachvollziehen können. Es geht doch bei meiner Mutter auch nicht um große Summen.“
Natürlich lebe ich. Die 100 will ich noch vollmachen.
Ein Sprecher des LWV-Hessen begründet das Vorgehen mit Betrugsversuchen, zu denen es in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit dem Blindengeld gekommen sei. Beim Tod von Blindengeldberechtigten sei dies teilweise jahrelang von Angehörigen verschwiegen worden. Deshalb sehe man „keine Alternative zum Vorgehen“. Auch eine eidesstattliche Versicherung sei nicht ausreichend. Deshalb werde beim Blinden- und Gehörlosengeld einmal im Jahr abgefragt, ob sich Änderungen bezüglich der Leistung eingestellt haben. Dazu gehöre auch die Bestätigung, dass der Leistungsbezieher nicht verstorben ist.
„Es ergaben sich allein aufgrund unserer Nachfrage in den vergangenen Jahren hessenweit Rückforderungen im sechsstelligen Bereich. Ganz konkret 313.000 Euro für das Jahr 2023 und 273.000 Euro für das Jahr 2024“, so der Sprecher. Bei einer vollständigen Erblindung betrage das Blindengeld monatlich 757 Euro, bei taubblinden Menschen 1514 Euro. Bei stark sehbehinderten Menschen wie Frau Damm sind es 227 Euro. Jeweils wird das Pflegegeld angerechnet. (Bastian Ludwig)
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