Bau-Ministerin im Interview - Klara Geywitz: „Habeck hat sich das Heizungsgesetz nicht ausgedacht“

Frau Geywitz, seit der Ampel-Implosion scheint so etwas wie eine neue Ehrlichkeit in die Politik eingezogen zu sein. Merken Sie das auch?

Klara Geywitz: Das kennt doch jeder aus dem Privatleben: Wenn eine schwierige Lebensphase zu Ende geht, muss man sich manchmal Dinge sagen, die man sich davor lange verkniffen hat. Aus meiner eigenen Erfahrung sieht man vieles mit ein paar Jahren Abstand dann aber eh wieder anders, milder.

Auch die SPD-interne Debatte um die Kanzlerkandidatur Ihrer Partei wirkte geradezu schmerzhaft ehrlich. Wie fanden Sie’s?

Geywitz: Meine SPD ist bekannt für emotionale Aufwallungen spontaner Art. Olaf Scholz ist nun als Kandidat offiziell gesetzt.

Hat Scholz wirklich die besseren Chancen als Boris Pistorius?

Geywitz: Der Parteivorstand hat den Bundeskanzler einstimmig nominiert. Unser Ziel ist, dass die SPD als stärkste Kraft aus der Bundestagswahl hervorgeht am 23. Februar.

Sie Optimistin!

Geywitz: Der Wahlkampf hat begonnen.

Auch von Ihnen hört man plötzlich neue Töne. Mittlerweile halten Sie das umstrittene Heizungsgesetz Ihres Kabinettskollegen Robert Habeck für dringend reformbedürftig. Woher der Sinneswandel?

Geywitz: Ich habe schon im vergangenen Jahr gesagt, dass wir das Gebäudeenergiegesetz einfacher und handhabbarer machen müssen. Ich will, dass Bauen wieder Spaß macht, weil es einfacher geht. Durch das Heizungsgesetz ist es weiter komplizierter geworden. Da müssen wir in der nächsten Legislatur ran. Man muss aber genauso sagen: Habeck hat sich das Gesetz nicht ausgedacht. Die einzelnen Regelungen gehen zum Teil bis weit in die Vorgängerregierungen zurück…

… wurde aber erst unter den Grünen so richtig kompliziert und teuer.

Geywitz: Die Regulierungs-Elemente darin gibt es teilweise schon seit Jahrzehnten. Unter solcher Bürokratie leiden ja auch viele andere Bereiche. Wir und die Nachfolgeregierung müssen es einfach entschlacken und vor allem praxistauglicher machen.

Noch mal ehrlich: Wie schädlich war oder ist das Projekt?

Geywitz: Wenn wir 2045 klimaneutral sein wollen, braucht es das Gesetz. Aber man kann es sicher noch einfacher machen.

Sie wollen weg von der – teureren ­– Energieeffizienz, hin zur günstigeren Klimaeffizienz, oder?

Geywitz: Ich will vor allem, dass wir die Dekarbonisierung so sinnvoll und preiswert wie möglich machen. Tatsächlich haben wir uns in der Vergangenheit zu sehr auf das Thema Energieeffizienz gestürzt, was zu teils absurden Fällen führen kann.

Zum Beispiel?

Geywitz: Ein Holzhaus mit Lehmdecken und Innenausbau aus Stroh hat zwar einen Energiedämmwert von 55, ist aber ja durchaus sehr nachhaltig. Trotzdem gilt es nach heutigem Verständnis als weniger ökologisch als etwa ein Haus aus Stahlbeton, das den Wert 40 hat. An solche Fehlanreize müssen wir ran.

Wo tickte die Sozialdemokratin Geywitz grundsätzlich anders als ihre Grünen-Partner?

Geywitz: Wir im Bauministerium gehen immer vom technisch Machbaren aus, während die Grünen eher beim Klimapfad anfangen und dann runterrechnen, wie viel Rest-CO2 es für die einzelnen Bereiche noch gibt.  Ein unterschiedlicher Ansatz, der zu unterschiedlichen Schlüssen führt. Die Wärmepumpe ist nun mal nicht für alles im Bestand das Allheilmittel.

Welche Fehler haben Sie selbst in den vergangenen drei Jahren vielleicht gemacht?

Geywitz: Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz hat viel Vertrauen gekostet. Wir hätten kommunikativ besser vorbereitet sein müssen auf alle aufkommenden Fragen, selbst als das Gesetz noch in der Entwurfsphase geleakt wurde.

Wie oft haben Sie sich schon darüber geärgert, im Koalitionsvertrag versprochen zu haben, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen?

Geywitz: Eigentlich nie. Das Problem ist ja da, auch ohne Zahl. Und die Unzufriedenheit der Bürger entsteht nicht daraus, dass wir diese Zahl nicht schaffen, sondern dass es vor allem in den Metropolen schwer ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Wichtig finde ich, auch zu zeigen, dass in Deutschland 1,9 Millionen Wohnungen leer stehen …

… allerdings vor allem im ländlichen Raum.

Geywitz: Und da muss man dann eben auch andere Fragen der Infrastrukturförderung gleichzeitig angehen, um diese Regionen wieder attraktiver zu machen. Durchschnittszahlen helfen einem wenig: Frankfurt am Main und Frankfurt an der Oder haben kaum vergleichbare Probleme. Journalisten leben in der Regel in den Großstädten. Deshalb fällt der ländliche Raum auch in der Berichterstattung oft hinten runter. Leider. Mir ist wichtig, dass wir an die Dörfer und Kleinstädte das Signal senden, dass sie Thema auf der Agenda der Bundespolitik sind. Unabhängig vom Parteibuch der Bauministerin oder des Bauministers.

Wollen Sie die Städter aufs Land verschicken?

Geywitz: Ich habe nie gesagt, dass aus einem Stadtkind eine Landmaus werden muss. Und das sage ich, weil ich selbst vom Land komme und die positiven wie negativen Seiten dort kenne. Aber ich will für mehr Freiheit sorgen bei der Wahl des Wohnorts. Früher verließ man das Land ja oft, weil schlicht die Arbeitsplätze verloren gingen. Heute werden auch dort Fachkräfte gesucht.

Für Ukrainekrieg, Zinswende und Inflation konnten Sie nichts. Warum haben Sie nicht zumindest viel früher erklärt, dass das 400.000er-Ziel einfach nicht zu schaffen ist?

Geywitz: Schon 2020 wurde trotz niedrigster Zinsen zu wenig gebaut. Die deutsche Bauwirtschaft war schlicht an ihrer Kapazitätsgrenze. Es war und ist auch ein strukturelles Problem. Die Kapazitäten in der deutschen Bauindustrie sind zu gering. Wir müssen die Produktivität weiter steigern.

Die Baukosten sind in vier Jahren um mehr als 45 Prozent gestiegen. Haben Sie sich bei diesen schwierigen Rahmenbedingungen manchmal machtlos gefühlt in Ihrer Position als Ministerin für Bauen und Wohnen?

Geywitz: Nö. Wir haben ja schon am Anfang der Ampel das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum gegründet…

… das auch schnell wieder vergessen wurde.

Geywitz: Moment! Es öffnete den Weg dafür, dass Kommunen, Länder und Bund das Thema Bauen und Wohnen endlich mal gemeinsam angingen. Allein der soziale Wohnungsbau war ja völlig zum Erliegen gekommen.

Apropos: Es fließen mittlerweile 3,5 Milliarden Euro pro Jahr in den Bereich. 2021 waren es nur eine Milliarde. Trotzdem sinkt die Zahl der Sozialwohnungen weiter. Woran liegt das?

Geywitz: Das ist Mathematik. 20 Jahre lang wurden zu wenige Sozialwohnungen gebaut. Die Mietbindungen laufen nach 20 Jahren im Schnitt aus. In Summe werden es dann also immer weniger. Jetzt brauchen wir einen langen Atem, um wieder auf die früher vorhandenen drei Millionen Sozialwohnungen zu kommen. Zum Vergleich: Frankreich hat fünf Millionen. Manche Bundesländer sind jetzt schon gut unterwegs. Da werden schon wieder mehr neue Sozialwohnungen gebaut als alte aus der Bindung fallen.

Die FDP schlägt vor, die Klimaziele zeitlich nach hinten zu verschieben. Damit ist etwa der Zeitpunkt gemeint, zu dem Heizungen klimaneutral sein müssen. Das könnte fünf Jahre Zeit bringen. Gehen Sie mit?

Geywitz: Nein! Wichtige Ziele kann man nicht dauernd revidieren. Es geht eher um die Frage, wie man sie erreicht.

58 Prozent der Hausbesitzer geben an, dass sie sich die energetische Sanierung ihres Hauses gar nicht leisten können. Reichen die Förderungen aus, um die Eigentümer mitzunehmen? Oder braucht es Zwang?

Geywitz: Ich bin gegen jeden Sanierungszwang. Das schafft viel zu viele soziale Härten. Wir müssen und können andere Lösungen finden. Gemeinsam mit den Hausbesitzern.

Die Mietpreisbremse dürfte 2025 beendet werden. Trauern Sie ihr nach?

Geywitz: Ja!

Das Instrument macht doch aber auch vielerorts den Bau unattraktiv.

Geywitz: Die Mietpreisbremse gilt nicht für den Neubau und für umfassend modernisierte Wohnungen. Sie hat allerdings in vielen angespannten Mietmärkten für eine Dämpfung des Preisniveaus gesorgt. Ich hoffe, dass wir jetzt noch im Bundestag oder spätestens nach der Bundestagswahl eine Mehrheit für die Verlängerung der Preisbremse finden.

Sind Sie eigentlich froh, dass die Ampel beendet ist? Oder bedauern Sie das Aus?

Geywitz: Die Ampel war sicher nicht jeden Tag eine freudvolle Veranstaltung. Andererseits: Wenn man dem deutschen Volk einen Eid geschworen hat, sollte man das auch so lange machen, bis die Aufgabe beendet ist. Bei den wirtschaftlichen und außenpolitischen Herausforderungen hätte ich es besser gefunden, wenn wir erst den Haushalt beschlossen hätten, aber das hat Christian Lindner ja anders entschieden.

Die geplante Novelle des Baugesetzbuches soll in den nächsten Wochen noch eine Mehrheit im Bundestag finden. Welche Hürden gibt’s da noch?

Geywitz: Sie war in der ersten Anhörung und stieß auf positive Resonanz. Ich kann nur dafür werben, dass das Projekt noch zu Ende gebracht wird.

Welche soziale Sprengkraft hat das Thema Wohnungsnot schon entfaltet?

Geywitz: Die Sprengkraft ist groß. Es ist ein Riesenproblem, weil man ja nicht nicht wohnen kann. Die Menschen brauchen Wohnungen, die sie sich leisten können. Deshalb haben wir u.a. auch eine große Wohngeldreform gemacht.

Zugleich liegt die Baubranche darnieder. Wann und wie geht’s wirklich wieder aufwärts?

Geywitz: Jüngst bei der großen Immobilienmesse Expo Real hellte sich die Stimmung in der Branche meiner Beobachtung nach schon auf. Ich hoffe deshalb auf starke Auftragszuwächse im nächsten Jahr.

Wollen Sie im nächsten Kabinett überhaupt noch mal Bauministerin werden?

Geywitz: Bundesministerin zu sein, ist generell etwas Tolles. Mir macht meine Arbeit großen Spaß, sogar in der alten Ampel. Man kann sich allerdings für so eine Aufgabe nicht bewerben, sondern wird ernannt. Jetzt mache ich erstmal Wahlkampf für Olaf Scholz, damit der wieder seine Minister ernennen kann.

Was wird aus Ihnen nach der Wahl? Welche Optionen sehen Sie für sich?

Geywitz: Vor dem Ministerium war ich ja in der Bauprüfungsabteilung des Landesrechnungshofes Brandenburg. Ich kenne also das Leben außerhalb der Politik, die ich wiederum als unberechenbares Geschäft kennengelernt habe. Insofern mache ich schon seit Jahren keine größeren Pläne mehr.

Sie wirken immer so nüchtern-pragmatisch. Hatten Sie trotzdem einen besonderen Stimmungs-Tiefpunkt dieses Jahr?

Geywitz: Es gab viele Herausforderungen. Ich muss schon manchmal schlucken, in welcher Welt wir gerade leben und welche Verantwortung wir da auch für unsere eigenen Landsleute haben. Ansonsten bin ich – typisch brandenburgisch – eher pragmatisch und emotional durchaus stabil.

Was haben Sie in drei Jahren Ampel gelernt?

Geywitz: Markus Lanz ist privat ganz anders als in seiner Talkshow.

Netter?

Geywitz: Ja. Er lässt die Leute dann auch mal ausreden.