Queere Szene: „Wir existieren – und gehen nicht weg!“

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Ebersberg

KommentareDrucken

Sie organisieren den ersten Christopher Street Day in Ebersberg mit: (v.li.) Marla (17), Leonie (19), Marlen (20), Julia (16) und Moritz (19), hier vor dem Rathaus der Kreisstadt. © SRO

Die Stadt Ebersberg steht vor ihrem ersten Christopher Street Day. Dieser findet am Samstag, 27. Juli, statt. Die Queere Szene will mehr Sichtbarkeit auf dem Land.

Ebersberg – Die Regenbogenflagge trägt Marla Hantschel als Band an beiden Handgelenken, auf ihrer Tasche – und im Herzen. Als die 17-jährige Vaterstettenerin und ihre Mitstreiter*innen über den Ebersberger Marienplatz spazieren, ist das Grüppchen – mal pinkes Top, mal bunte Pluderhose, mal knalliger Lippenstift – ein wenig bunter als die anderen Passanten, aber gewissermaßen nur die Vorhut. Regieren soll die Regenbogenflagge über den Marienplatz und die Kreisstadt am Samstag, 27. Juli, wenn dort zum ersten Mal ein Christopher Street Day (CSD) stattfindet. „Es dürfen alle kommen!“, sagt Marla Hantschel, die an dem Tag auf gutes Wetter und entsprechend viele Besucher hofft: „500 bis 1000 Leute wären schon geil!“

Der CSD ist in München längst eine Institution, immer wieder Politikum und ein buntes Spektakel für die queere Community in S-Bahn-Reichweite. Weshalb auch Ebersberg eine Pride-Parade braucht, erklärt Mitorganisatorin Julia (16) aus Ebersberg in zwei Worten: „Sichtbarkeit schaffen.“ Gerade im ländlichen Raum sei der Umgang mit dem Anderssein oft noch verdruckst, berichtet das Organisationsteam. Und das Getuschel hinter dem Rücken noch groß, wenn zwei Jungs oder Mädchen öffentlich Händchen halten, geschweige denn sich küssen. Die immer gleichen Vorbehalte, die anfangen mit: „Ich habe ja im Prinzip nichts dagegen, aber …“. Die 19-jährige Leonie aus Vaterstetten sagt über den Mut zum Coming-out: „Viele Jugendliche trauen sich nicht.“

Alles erlebt: Von abfälligen Bemerkungen bis hin zu offenen Anfeindungen

Jede von ihnen kann Geschichten davon erzählen, warum das so ist, auch im Jahr 2024. Von abfälligen Bemerkungen bis hin zu offenen Anfeindungen. Wie Leonie, die für ihren bunten Harry-Styles-Fanpulli, einem der queeren Szene verbundenen Sänger, von einem ihr unbekannten Mitschüler auf dem Flur unvermittelt blöd angemacht wurde. Oder wie Unbekannte eine Ausstellung des Arbeitskreises Diversity im Vaterstettener Gymnasium schon nach einem Tag kaputtgemacht hatten. Und wie Buben aus Marlas Klasse demonstrativ Regenbogenflaggen von den Wänden rissen und verbrannten. „Das hat bei mir einen Schnitt gemacht“, sagt die 17-Jährige. „Wir sind hier, wir existieren und wir gehen nicht weg!“ Ihr Entschluss: „Ich werde das in die Welt schreien.“ Einer diesjährigen „Statista“-Studie zufolge identifizieren sich rund neun Prozent der ab 1995 geborenen Deutschen als homo- oder bisexuell. In älteren Generationen ist der Anteil geringer.

Der Gegenwind komme oft von rechts – und meistens von Männern. „Unwissenheit und fragile Männlichkeit“, vermutet Julia als Grund. Marlen (20) ergänzt das mit einem Klassiker in Sachen Mobbing und Gruppendynamik: „Es gibt immer Leute, die von Diskriminierung profitieren.“ Das ist im Kern auch etwas, was Moritz aus Kirchseeon motiviert hat, bei der Organisation des CSD mitzumachen. Der 19-Jährige, der die Routenplanung für die Parade übernommen hat, ist nicht queer. Er engagiert sich trotzdem, als „Ally“, weil es ihm ein Anliegen ist, die Akzeptanz gegenüber dem queeren Teil seines Freundeskreises voranzutreiben.

Der Gegenwind kommt von rechts und meistens von Männern

Das Quintett klappert an diesem Nachmittag die Lokale und Geschäfte in der Innenstadt ab, um einen Teil der Flyer zu verteilen, die das Organisationsteam drucken hat lassen. Eine Geschäftsinhaberin freut sich sichtlich über das Vorhaben, bittet zusätzlich um ein Plakat zum Aufhängen. Ein Stammtisch wiederum nutzt das Thema als Vorlage für den eher weniger gepflegten Herrenwitz. Die übrigen Reaktionen: irgendwo dazwischen. Am Ende ihrer Tour wirken die fünf unterm Strich zufrieden. Aufkleber mit Regenbogenflagge zieren den einen oder anderen Ebersberger Laternenpfahl.

(Übrigens: Alles aus der Region gibt‘s jetzt auch in unserem regelmäßigen Ebersberg-Newsletter.)

Am Samstag, 27. Juli, soll das Symbol der queeren Community das Ebersberger Stadtbild dominieren. Dann zieht ab 14.30 Uhr die Pride-Parade um die Häuser. Auf dem abgesperrten Marienplatz ist ein Bühnenprogramm mit den Münchner Drag-Künstlern Vicky Voyage und Perry Stroika geplant. Dazu gibt es Musik, Infostände und Redebeiträge. Organisiert wird die Veranstaltung vom Kreisjugendring und der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Ebersberg.

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion