Digitalisierung im Gesundheitswesen: „Bei künftigen Pandemien sehen wir klarer“

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

Seit langem wird an einem digitalen Gesundheitssystem gewerkelt. Die Corona-Pandemie hat die Schwächen klar aufgezeigt – doch auch für Verbesserung gesorgt, meint Gesundheitsmanager Leyck Dieken.

München – Der Mediziner und frühere Pharma-Manager Markus Leyck Dieken ist seit Mitte 2019 Alleingeschäftsführer der Gematik, die die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen koordiniert. Zum Jahresende scheidet er aus. Eine Bilanz.

E-Rezept, elektronischer Arztbrief, elektronische Patientenakten: Die Digitalisierung sorgt nicht nur für Effizienz und
mehr Tempo, sie soll sich nun auch stärker am Nutzer orientieren und dem Patientenwohl dienen.
E-Rezept, elektronischer Arztbrief, elektronische Patientenakten: Die Digitalisierung sorgt nicht nur für Effizienz und mehr Tempo, sie soll sich nun auch stärker am Nutzer orientieren und dem Patientenwohl dienen. © Patrick Pleul / dpa

Herr Leyck Dieken, Sie verlassen die Gematik zum Jahresende. Was sind die Gründe?

Wir haben als Gematik selbst großen Anteil daran, dass dem Koalitionsvertrag zufolge eine neue nationale Digitalisierungsagentur entstehen soll, um die Entwicklungen weiter voranzutreiben. Dass man diesen neuen Schritt nun auch mit neuen Gesichtern verbinden möchte, finde ich vertretbar.

Mehr als vier Jahre waren Sie nun für die Digitalisierung im Gesundheitswesen zuständig. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Wir haben viel mehr auf Austausch gesetzt, die Gematik geöffnet und in engsten Dialog mit Patientenorganisationen, der Pflege, Hebammen, Apotheken, Ärzten und Kliniken gebracht. Damit haben wir die Grundlage geschaffen, dass digitale Instrumente nun vom Nutzer her gedacht werden. Dieser Weg muss weitergehen.

Zudem haben wir in wenigen Quartalen das Meldesystem Demis mit hochgezogen, dadurch konnte das Robert-Koch-Institut tagesgenau über die Lage bei Corona und anderen meldepflichtigen Krankheiten informieren – bei künftigen Krankheitswellen oder Pandemien sehen wir also sehr viel klarer. Wie weit wir als Gematik gekommen sind, zeigt sich aber auch an der heutigen Vielzahl der digitalen Möglichkeiten, die den Nutzern zur Verfügung stehen.

Was hat sich da getan?

Vor viereinhalb Jahren gab es nur die Gesundheitskarte. Heute haben wir den sicheren elektronischen Arztbrief. Die Zahnärzte sind glücklich darüber, dass die Kassen Heil- und Kostenpläne innerhalb von Minuten digital bestätigen können und somit Behandlungen sogar direkt im Anschluss durchgeführt werden können. Das E-Rezept – das ab 1. Januar in Deutschland Standard wird – erspart bei Folgerezepten vielen Menschen künftig den Weg zum Arzt. Wir haben es im internationalen technischen Standard umgesetzt, das heißt, es wird künftig möglich sein, das Rezept auch im Ausland einzulösen. Und natürlich sind wir jetzt endlich auf dem richtigen Weg, ab 2025 eine wirklich überzeugende elektronische Patientenakte aufzusetzen. Dann werden zum Beispiel Vorbefunde von Patienten für Ärzte endlich auffindbar.

Wie füllt sich die Akte?

Die Inhalte der elektronischen Akten, die manche Patienten heute schon haben, werden übernommen. Im Moment gibt es im Digitalgesetz einen Entwurf, der die Kassen verpflichtet, zehn Papier-Befunde zu digitalisieren und abzulegen, die ihnen Patienten zuschicken können. Ob das im Gesetz so bleibt, müssen wir abwarten. Zudem werden die per E-Rezept verschriebenen Medikamente abgelegt, und auch frei verkäufliche Medikamente können abgelegt werden. Und natürlich kommen künftig weitere Daten dazu, wie zum Beispiel Laborwerte. Da das alles strukturiert geschieht, kann der Arzt später einzelne Befunde schnell finden.

Wer kann zugreifen?

Es ist festgelegt, dass auf die Daten immer nur im Behandlungskontext zugegriffen werden darf. Außerdem soll ich als Patient einzelne Bereiche verschatten oder Daten löschen können.

Was ist mit der Forschung?

Zur Aufbewahrung der Daten wird es ein Forschungsdatenzentrum geben, das die Daten aus den elektronischen Patientenakten, sofern der Versicherte dem nicht widersprochen hat, zweckgebunden nur der dem Gemeinwohl dienenden Forschung nutzbar macht. Diese Daten können dann auch nur für einen genehmigten Forschungsantrag verwendet und in einer sicheren Verarbeitungsumgebung analysiert werden. Die Daten sind dabei pseudonymisiert – das heißt, eine Rückverfolgung, von wem sie stammen, ist nicht möglich. Herausgegeben werden nur anonymisierte Daten nach nochmaliger Prüfung.

Seit zwei Jahrzehnten wird an der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens gewerkelt. Im Rückblick auf Ihre Erfahrungen: Was macht diese Mission so schwierig?

Ich habe gelernt, dass es bei nationalen IT-Projekten dieser Größe meistens nicht auf den Punkt geht. Das scheint in der Branche auch allen bewusst zu sein, weil immer erst bei der Konstruktion eines Produktes Verbesserungsbedarf auffällt. Das kannte ich aus der hochkomplexen Biotech-Industrie so nicht, wo wir tagesgenau liefern mussten. Zudem gibt es immer noch sehr viele Einzelinteressen im Gesundheitswesen, die man hinter seinem großen Ziel vereinen muss. Und die digitale Landschaft mit ihren vielen Systemen und Versionen ist viel zu fragmentiert. Für die Züge, die in Deutschland fahren, gibt es nur ein einziges Gleisbett. Auch die digitale Infrastruktur muss viel stärker aus einer Hand gesteuert werden. Die neue Digitalagentur braucht zudem die Steuerungsmöglichkeit für digitale Prozesse über alle Prozessschritte hinweg.

Auch interessant

Kommentare