Rohstoff-Versorgung „sehr ernstes Problem“: In der deutschen Wirtschaft wächst das Unbehagen
Die deutsche Wirtschaft sieht die Versorgung mit Rohstoffen mit wachsender Sorge. Die Entwicklung „ist eine echte Gefahr“, warnt vbw-Chef Bertram Brossardt im Interview.
München - Die Versorgung mit Rohstoffen wird für die deutsche Wirtschaft immer herausfordernder. Die wachsende Unsicherheit bei wichtigen Rohstoffe sei ein „sehr ernstes Problem“, warnt der Chef der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, Bertram Brossardt im Interview. Die Gründe und was der Bund jetzt tun muss.
Herr Brossardt, die Versorgung der Wirtschaft mit wichtigen Rohstoffen hat sich laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zuletzt weiter verschlechtert. Wie ernst ist die Lage?
Die wachsende Unsicherheit beim Bezug wichtiger Rohstoffe ist ein sehr ernstes Problem. Seit Jahren wächst die Zahl der besonders kritischen Rohstoffe, von 16 im Jahr 2015 auf inzwischen 27. Das liegt daran, dass nur wenige Länder und Unternehmen wichtige Rohstoffe fördern und weiterverarbeiten, während der Bedarf gerade mit Blick auf Zukunftstechnologien steigt. In Zeiten zunehmender Konflikte auf der ganzen Welt birgt das ein Risiko.
Wie gefährlich ist diese Entwicklung für die Unternehmen?

Dieser Trend ist für unsere gesamte Wirtschaft eine echte Gefahr, denn die Wertschöpfungsketten sind eng verflochten. Wenn einem Unternehmen Rohstoffe fehlen, stockt nicht nur deren Produktion. Auch nachgelagerten Betrieben fehlen dann die Zulieferungen und ganze Branchen geraten in Schwierigkeiten, wie wir es in den vergangenen Jahren mehrfach erlebt haben. Das darf auf keinen Fall wieder passieren.
Wie viel Wertschöpfung steht damit auf dem Spiel und wie viele Arbeitsplätze?
Das ist schwer genau zu beziffern. Oft haben Rohstoffe einen verhältnismäßig kleinen Anteil an den Produktionskosten. Fehlen sie aber, können sie selten kurzfristig ersetzt werden. Selbst, wenn ein anderer Rohstoff verwendet werden kann, bedeutet das meist langfristige Umstellungen, die zehn Jahre oder länger dauern. Bleiben Rohstoffe etwa durch Lieferengpässe kurzfristig aus, hat das ernste wirtschaftliche Folgen. Erinnern Sie sich an die weitreichenden Produktionshindernisse durch Lieferengpässe während der Coronapandemie. Ganze Fabriken standen still, weil es an Rohstoffen und Vorprodukten gefehlt hat. Ohne weitreichende Hilfen hätten viele Unternehmen nicht überleben können. Zusätzlich wächst das Risiko, dass Produktionsländer Rohstoffe strategisch nutzen, um durch absichtliche Verknappung Druck auszuüben. Das verzerrt nicht nur die Preise, sondern rasch den ganzen Wettbewerb.
In welchen Branchen ist die Lage besonders kritisch?
Die Auswirkungen sind in vor- und nachgelagerten Bereichen unserer Wirtschaft noch höher als die direkten Auswirkungen. Daher wären die gesamtwirtschaftlichen Schäden in Bereichen wie Automobil, Metallerzeugnisse, Maschinenbau oder Chemie ganz besonders gravierend, weil die Wertschöpfungsketten so eng verflochten sind. Unter den als besonders kritisch eingestuften Rohstoffen befinden sich etwa Lithium und Kobalt, die zentral für Batterien sind. Aber auch Metalle wie Aluminium und Kupfer mit vielfachen Anwendungsgebieten in der Elektroindustrie und dem Fahrzeugbau zählen dazu. Viele der kritischen Rohstoffe benötigen wir für Zukunftstechnologien etwa im Rahmen der Energie- und Mobilitätswende, so dass auch übergeordnete politische Ziele auf dem Spiel stehen.
Die Versorgung mit Rohstoffen und Seltenen Erden ist umkämpft. Vor allem China steckt weltweit seine Claims ab. Was muss die EU-Kommission tun, damit Europa nicht dauerhafte Wettbewerbsnachteile erleidet?
Rohstoffpartnerschaften mit Ländern, die Rohstoffe produzieren, müssen ausgebaut werden. Ein breit aufgestellter Import senkt Abhängigkeiten und Gefahren. Südamerika ist beispielsweise ein wichtiger Markt, mit dem wir noch enger kooperieren müssen. Gleichzeitig müssen wir mit China auf Augenhöhe verhandeln. Die EU ist ein bedeutsamer Wirtschaftraum und für China ein wichtiger Partner.
Um die Versorgung zu verbessern, dringen Sie auch auf einen umfassenden Ausbau des Metall-Recyclings. Was schwebt Ihnen da konkret vor?
Wir müssen künftig Recycling in Produktlebenszyklen noch stärker berücksichtigen und gleichzeitig durch Forschung und bessere Rahmenbedingungen die Weiterverwertung insgesamt stärken. Beim Metallrecycling sind wir auf einem guten Weg. Im vergangenen Jahr wurden in der EU beispielsweise 83 Prozent des verwendeten Bleis aus Recycling gewonnen. Bei Kupfer waren es 55 Prozent. Die meisten Metalle können beliebig oft recycelt werden. Sie werden in der Verarbeitung also nicht verbraucht, sondern können im Idealfall lange wiederverwendet werden.
Sie fordern, dass Rohstoff-Politik künftig „größte Priorität“ haben müsse. Was würden Sie sich hier wünschen?
Zunächst ist der Bezug von Rohstoffen Sache der Unternehmen. Aber wir sehen, dass auf den umkämpften Weltmärkten politische Unterstützung immer wichtiger wird. Vor allem die Europäische Union muss dabei helfen, neue Märkte zu öffnen oder bestehende offen zu halten. Aber natürlich muss auch der Bund mit einer aktiven Außenpolitik dazu beitragen.
Was muss der Bund tun?
Neben einer Außenpolitik, die für den offenen Welthandel eintritt, kann der Bund vor allem durch gute Rahmenbedingungen in Deutschland Risiken bei der Rohstoffversorgung senken. Die Förderung des Recyclings vor Ort bedeutet weniger Abhängigkeiten vom ausländischen Angebot. Zudem muss auch über den verstärkten Abbau von Rohstoffen vor Ort unvoreingenommen diskutiert werden können.
Also schnellere und vereinfachte Genehmigungen zur Förderung von wichtigen Rohstoffen wie etwa Lithium?
Effiziente Genehmigungs-, Raumplanungs- und Zulassungsverfahren in Deutschland sind wesentlich, wenn wir neue Rohstoffvorkommen vor Ort erschließen wollen. Die Förderung vor Ort schafft größere Unabhängigkeit von Lieferanten, beispielsweise, wenn die Nachfrage anders nicht mehr gedeckt werden kann. Das Lithiumvorkommen im Oberrheingraben könnte eine solche Option sein. Wenn wir die Interessen von Wirtschaft und Umweltschutz durch umsichtiges Vorgehen und moderne Technik vereinbaren, gibt es sicher Potenziale, die wir in Deutschland, aber auch Europa sinnvoll heben können.