Putin zunehmend isoliert: Umfrage zeigt, wie wenig Russen den Ukraine-Krieg unterstützen

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Die Russen werden zunehmend müde vom Schrecken des Ukraine-Kriegs. Eine Umfrage zeigt, dass es dafür ganz konkrete Gründe gibt.

Moskau - Laut der Befragung eines unabhängigen Moskauer Meinungsforschungsinstituts ist der Ukraine-Krieg bei den Russen seit Anfang des Jahres deutlich unbeliebter geworden. Obwohl Wladimir Putin seine Landsleute kürzlich auf die „Rettung und Vermehrung des russischen Volkes“ und des „tausendjährigen, ewigen Russlands“ eingeschworen hat, tritt der Unmut der russischen Bevölkerung über die Entscheidungen ihres Anführers immer deutlicher zutage.

Der Rückhalt der russischen Präsidenten Wladimir Putin in der eigenen Bevölkerung sinkt.
Der Rückhalt der russischen Präsidenten Wladimir Putin in der eigenen Bevölkerung sinkt. © IMAGO/Kirill Zykov

Das zeigt eine Umfrage der Forschungsgruppe Chronicles. Deren Ergebnisse deuten darauf hin, dass es Putin vor den Wahlen 2024 schwerfallen könnte, die Unterstützung der Bevölkerung für den Krieg aufrechtzuerhalten. Die in Moskau ansässige Forschungsgruppe befragte zwischen dem 17. und 22. Oktober in einer Telefonumfrage 1 199 Erwachsene in ganz Russland. Die Umfrage ergab, dass der Kern der Befürworter des Krieges nur 12 Prozent beträgt, verglichen mit 22 Prozent im Februar, ein Jahr nach dem Beginn dessen, was der Kreml bis heute eine „besondere militärische Operation“ nennt.

Als Befürworter des Ukraine-Krieges wertet die Umfrage solche Menschen, die ihre Unterstützung für den Angriff auf die Ukraine zum Ausdruck bringen und bei weiteren Fragen Unterstützung für den Präsidenten signalisieren. Dazu gehört es, Putins Entscheidung, die Truppen aus der Ukraine abzuziehen und Friedensgespräche zu beginnen, ohne die Ziele des Krieges zu erreichen, nicht zu unterstützen. Außerdem glauben die Befürworter, dass die Ausgaben für die Armee im Staatshaushalt Priorität haben sollten.

Die russische Bevölkerung hat genug vom Ukraine-Krieg

Die Frontalfrage „Unterstützen Sie die militärische Sonderoperation in der Ukraine, oder nicht?“ ist laut Chronicles kein aussagekräftiger Indikator für die Unterstützung des Krieges. Zum einen erfasse sie ein sehr breites Meinungsspektrum. Dieses reiche von „Ich bin bereits an der Front“ bis zu „Ich habe Angst zu sagen, was ich wirklich denke, also werde ich lügen und sagen, dass ich den Krieg unterstütze“. Daher sei unmöglich, aus dieser Frage allein irgendwelche aussagekräftigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Ein Experiment habe ergeben, dass ein erheblicher Teil der Befragten hier aus Angst nicht die eigene Meinung kundgebe. Dennoch sei auch dieser Indikator mit 51 Prozent auf einem historischen Minimum gefallen.

Wer ist „Chronicles“?

Das Forschungsprojekt „Chronicles“ wurde vom russischen Oppositionspolitiker Aleksei Miniailo und gleichgesinnten Sozialwissenschaftlern und Analysten initiiert. Ziel ist es, nach eigenen Angaben, sich dazu zu äußern, wie der Krieg mit der Ukraine in Russland wahrgenommen wird. Um zuverlässige und überprüfbare Informationen zu liefern, führt die Organisation regelmäßig Umfragen und Recherchen in den sozialen Medien durch. Anschließend werden die Ergebnisse analysiert und mit unabhängigen russischen Forschern diskutiert.

Gleichzeitig sei die Zahl der Russen mit einer konsequenten Pro-Friedens-Position nahezu gleichgeblieben. Im Februar 2023 waren es demnach 20 Prozent, jetzt seien es 18,5. Zu dieser Gruppe gehören diejenigen, die den Krieg nicht gutheißen. Diese Menschen würden eine Entscheidung Putins unterstützen, die Truppen aus der Ukraine abzuziehen und Friedensgespräche aufzunehmen, ohne militärische Ziele zu erreichen. Zudem sind sie der Meinung, dass Sozialausgaben im Haushalt Priorität haben sollten.

Wirtschaftliche Situation macht Menschen in Russland depressiv

Ganz deutlich tritt zutage, dass vor allem die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts der russischen Bevölkerung zu schaffen machen. 44 Prozent sind der Umfrage zufolge besorgt über den Rückgang ihres Familieneinkommens. Nur fünf Prozent der Russen erwarten, dass sich ihr Einkommen durch eine Erhöhung der Militärausgaben im Jahr 2024 verbessern wird. Gleichzeitig gibt die Versorgung mit Medikamenten den Menschen Anlass zu Sorge. Zwanzig Prozent gaben an, dass wichtige Medikamente nicht mehr verfügbar seien.

Auch der psychische Gesundheitszustand der Befragten hat sich augenscheinlich verschlechtert. 52 Prozent der Russen hatten in letzter Zeit mit Angstzuständen oder Depressionen zu kämpfen. Im Vergleich zu einer Umfrage im März ist der Wert damit um 20 Prozentpunkte angestiegen. Diese Entwicklung lässt sich ebenfalls durch die wirtschaftliche Lage im Land erklären. Der Auswertung der Umfrage zufolge berichten Menschen mit geringerem Einkommen häufiger von Angstzuständen oder Depressionen.

Putins Krieg gegen die Ukraine geht in Russland die Unterstützung aus

Der Gründer von Chronicles, Aleksei Miniailo, machte gegenüber dem US-Nachrichtenportal Newsweek den Rückgang des Einkommens als einen der Hauptgründe für die Nichtunterstützung aus. „Es gibt eine starke Korrelation zwischen sinkendem Einkommen und anderen wirtschaftlichen Problemen und der Tatsache, dass die Menschen weniger Unterstützung für den Krieg bekunden“, so Miniailo. Die Menschen seien „mit den Geschichten über den Zweiten Weltkrieg aufgewachsen, wie schrecklich er war“ und jetzt habe „ihre Regierung einen neuen begonnen“. Das schockiere die Russen. Zwar würden sie versuchen, „es so weit wie möglich aus ihrem Gewissen, aus ihrer Aufmerksamkeit“ zu verdrängen, „die praktischen Folgen“ würden sie jedoch daran erinnern.

Die Zahl der Befragten, die einen Rückzug aus der Ukraine ohne Erreichen militärischer Ziele nicht akzeptieren würden, sank von 47 Prozent im Februar 2023 auf 33 Prozent im Oktober 2023. „Das zeigt, dass die Menschen müde sind. Sie sind unzufrieden und wollen nicht, dass es so weitergeht, weil ihr Leben immer schlechter wird“, so Miniailo.

Eine andere Umfrage des Carnegie Russia Eurasia Center und des Levada Center, die diese Woche veröffentlicht wurde, ergab, dass die Russen des Krieges überdrüssig sind, aber uneins darüber, wie er beendet werden soll. Demnach hätten sich 72 Prozent der Befragten für Friedensgespräche ausgesprochen, obwohl nur 19 Prozent bereit seien, der Ukraine um des Friedens willen Zugeständnisse zu machen. (tpn)

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