CEO Gunnar Gröbler - Wir Stahlriesen wollen endlich grün werden, doch die Politik frustriert uns
„Stahl ist unendlich recyclebar“
Ein weiterer Hebel, um in Zukunft noch nachhaltigere Prozesse für die Stahlerzeugung zu etablieren, ist die Erhöhung des Schrottanteils. Denn: Stahl ist unendlich recyclebar. Bereits jetzt besteht rund ein Drittel des deutschen Stahls aus recyceltem Stahlschrott. Durch eine konsequente Kreislaufführung wollen wir diesen Anteil weiter erhöhen, um den Einsatz endlicher Ressourcen erheblich zu minimieren.
Das bedeutet bis 2045 für die Stahlbranche: CO2-Einsparungen in Höhe von 50-55 Millionen Tonnen pro Jahr sind möglich, was ungefähr 30 Prozent aller Industrie-Emissionen in Deutschland entspricht und circa sieben Prozent der gesamten Emissionen in Deutschland. Schon bis 2030 könnte die Hälfte der CO2-Emissionen eingespart werden.
Entlang unserer Wertschöpfungsketten profitieren auch andere Branchen, wie beispielsweise die Automobil- und die Hausgeräteindustrie, von unserem CO2-reduzierten „grünen“ Stahl, da sie diesen in ihren Produkten verbauen. Sie können so ihre eigenen Emissionen in der Lieferkette reduzieren und dem Endverbraucher ein klimaneutrales Angebot machen.
Verschenkte Chance
Ich begreife diese Transformation als eine Chance für die deutsche und europäische Stahlindustrie, unabhängig von geopolitischen Verwerfungen, Lieferketten und von Importen teils qualitativ minderwertigeren Stahls aus dem Ausland zu sein. Dies kann zu einem Katalysator für eine stärkere wirtschaftliche Unabhängigkeit Europas werden.
Auf dem Weg dahin müssen aber vor allem in Deutschland noch viele Weichen, insbesondere politische, gestellt werden. Eine dieser Weichen ist – neben anderen – der schnelle Ausbau des bereits lange geplanten Wasserstoffkernnetzes, welches viele Industriestandorte mit CO2-freundlichem, grünen Wasserstoff versorgen soll. Hierfür müssen laut aktuellem Planungsstand rund 3.000 Kilometer an neuen Leitungen verlegt und darüber hinaus 6.000 km bestehende Gasleitungen auf Wasserstoff umgestellt werden.
Es ist stellenweise schon frustrierend, wenn wir als Salzgitter AG wie auch viele andere künftige Großabnehmer von Wasserstoff sich klar zu einer CO2-freien Industrie bekennen und Milliardensummen in ihre Transformation investieren, aber nach wie vor eine politische Einigung und die regulatorischen Grundlagen für den Aufbau der zwingend benötigten Wasserstoff-Infrastruktur fehlen.
Einfach gesagt: An dieser Stelle verschenkt die Politik CO2-Einsparpotenziale und schwächt zudem die wettbewerbliche Positionierung der deutschen Industrie. Genehmigungsverfahren müssen jetzt dringend beschleunigt und vereinfacht werden, denn nahezu CO2-freier Stahl kann in der Zukunft nur mithilfe von grünem Wasserstoff produziert werden. Wir als Stahlunternehmen stehen zu dem Europäischen „Green Deal“, dessen Kern die Klimaneutralität in Europa bis 2050 ist.
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Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft
Was wir aber unbedingt während unserer Transformation hin zu einer nahezu CO2-freien Stahlproduktion brauchen, ist ein Plus an Stabilität, Klarheit und damit Investitionssicherheit. Und hierzu gehört in meinen Augen auch der bereits vielfach diskutierte Brückenstrompreis für die Industrie. Die hohen Strompreise waren auch mit ein Grund für eine mit 35,4 Millionen Tonnen historisch niedrige Stahlproduktion im Jahr 2023. Das war hierzulande das niedrigste Produktionsvolumen seit der Finanzkrise 2009.
Eines darf man bei dieser Diskussion auch nicht vergessen: Die Stahlindustrie ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Etwa vier Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in stahlintensiven Branchen, rund 80.000 für die Stahlindustrie direkt. Es gibt allein über 2500 Stahlsorten für die verschiedenste Anwendungen, vom Grobblech bis zum feinsten Draht. Einsatzgebiete sind beispielsweise die Automobilindustrie und der Maschinenbau mit ebenfalls rund 2 Millionen Arbeitsplätzen.
Und auch wir wollen unsere Arbeitsplätze am Standort Salzgitter erhalten und hier in Zukunft unseren hochwertigen, „grünen“ Stahl produzieren – für Deutschland, Europa und die ganze Welt. Dass dies nicht nur für unsere Belegschaft und das Klima von Bedeutung ist, sondern auch für die gesamte Region, zeigt Folgendes: Pro Jahr vergibt die Salzgitter AG Aufträge in einer Höhe von rund 700 Millionen Euro an das regionale Gewerbe. Genau dasselbe tun Großunternehmen auch an anderen Industriestandorten. Was mit diesen Klein- und Mittelständlern passiert, wenn die großen Player abwandern, ist ungewiss. Ein Blick in den „Rust Belt“ der USA zeigt aber, dass durch die Abwanderung der Großindustrie häufig eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt wird.
Deshalb setzen wir als Salzgitter AG alles daran, auch in Zukunft Stahl „Made in Germany“ zu produzieren. Deutschlands Industrie kann gestärkt aus der Transformation in Richtung Klimaneutralität hervorgehen – und ein erfolgreiches Vorbild für die ganze Welt sein.