Mehr als man essen kann: Kriminelle belästigten Opfer mit unerwünschten Pizza-Bestellungen

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Auf den ersten Blick harmlos, fast schon witzig, steckt hinter dem „Pizzabombing“ ein ernster Kontext. Für Hacker geht es um Macht. Sie bombardieren ihre Opfer mit Essen.

München – Man stelle sich vor, es klingelt an der Tür und dahinter wartet eine frische Pizza, die man weder bestellt noch bezahlt hat. Ein Glücksfall, oder? Nicht, wenn das 35-mal am Abend passiert. Und wenn man eigentlich gerade überhaupt keine Zeit hat, permanent zur Haustür und zurück zu pendeln oder gewillt ist, das viele Essen zu bezahlen.

Was nach einem schelmischen Klingelstreich klingt, ist in Wahrheit eine hinterlistige Methode von Hackern. Massenhaft ungewollte Pizzabestellungen werden im Namen von ahnungslosen Menschen beim Lieferservice Lieferando in Auftrag gegeben. Die Rede ist von einem regelrechten „Pizza-Bombing“.

Hinter Pizza-Bombing steckt fiese Masche von Hackern

Seit Jahren macht sich die Gruppe, die besonders in Deutschland aktiv ist, einen Spaß daraus, Leute mit Pizzen zu bombardieren. Die Hacker-Gruppierung nennt sich „NWO“, in ironischer Anspielung auf die Abkürzung für den Verschwörungsmythos einer „Neuen Weltordnung“.

Live-Streamer nehmen die NWO-Hacker besonders gerne ins Visier ihrer „Pizza-Bombing“-Attacken. Die Logik dahinter: Streiche sind am spaßigsten, wenn man die Reaktionen darauf erlebt. Bei Live-Streamern können sie live mitansehen, wie die Opfer unzählige Male von der Türklingel unterbrochen werden. So ging es auch Anne und Philipp Kotz. Sie streamten am Abend des 29. April 2023 auf der Plattform Twitch, als Unbekannte ihnen innerhalb von drei Minuten Dutzende Male Essen bringen ließen. In der Folge standen etliche Lieferanten quasi Schlange vor ihrer Tür.

Eine Person bekommt mehrere Schachteln Pizza geliefert. (Symbolfoto)
Massenweise Pizzen werden von A nach B beordert, wo sie aber eigentlich nie bestellt wurden. Wie jetzt ans Licht kommt, steckt hinter der perfiden Masche ein krudes System. © Kasper Ravlo/Imago

„Als wir nicht mehr öffneten, klingelten diese Nachbarn heraus und schlugen gegen unsere Wohnungstür“, berichtet Philipp Kotz gegenüber spiegel.de. Am darauffolgenden Samstag wurde er erneut von „etwa zehn Lieferanten heimgesucht“. Das Paar wandte sich mit einem Beschwerdebrief an Lieferando. Deren Antwort: Er solle sich an die Polizei wenden, Daten zu den Bestellungen könne man nicht herausgeben. Gefährdet waren zuletzt auch die Daten von Millionen Deutschen, nachdem Hacker sich Zugriff auf Personalausweise verschafft hatten.

„Regelrechtes Pizzageddon verursacht“: Hacker brüsken sich mit Liefer-Attacken

Die Kriminellen nutzen eine eigene Software, um Pizzen an die Adressen ihrer überrumpelten Opfer zu bestellen. Ein großer Datensatz zeigt, wie stolz die Mitglieder auf ihre Aktionen sind: „Ich will nicht wissen, wie viele Pizzen ich allein seit Sommer vergangenen Jahres bestellt habe. Vor allem im Sommer habe er ein richtiges „Pizzageddon“ verursacht, wie der Hacker in einer Tonaufnahme sagt.

Die Massenbestellungen werden über eine Computeranwendung ermöglicht, die laut Recherchen des Spiegels und des ARD-Politikmagazins Kontraste von Mitgliedern der „NWO“ entwickelt wurde. Der Name des Programms: „Pizzerando.“ Doch so lustig das womöglich auch klingen mag, hinter der Masche steckt ein bitterernster Hintergrund.

Nach dem Prinzip des „Pizza-Bombings“ ist die gleiche Gruppierung nämlich auch für eine Reihe von falschen Bombendrohungen und Notrufen verantwortlich. Ein Phänomen, das als „Swatting“ bezeichnet wird. Ein tragischer Vorfall aus dem Jahr 2018 verdeutlicht die Gefahr, die davon ausgeht: Infolge eines solchen falschen Notrufs, suchten die Einsatzkräfte einen unschuldigen Mann in seinem Haus auf. Das Sturmkommando verwechselte eine Bewegung des Manns mit dem Versuch, eine Waffe zu ziehen. Der Familienvater aus dem US-Bundesstaat Kansas wurde erschossen.

Pizza über Pizza über Pizza – Hackern gehts beim Liefer-Streich vor allem um Macht

Doch was bewegt jemanden zu so einer Aktion? Die Psychologin Catarina Katzer vergleicht die Angriffe der Trolle mit einer „Treibjagd“. Sie stellt fest, dass die Täter erst dann zufrieden sind, wenn ihr Opfer am Boden liegt. „Wenn zum Beispiel jemand aus seiner Wohnung auszieht oder flüchtet und sich nicht mehr sicher fühlt, dann steigt auch deren Selbstwert, weil sie das Gefühl haben, sie haben Macht.“ Eine andere Hacker-Organisation hatte es zuletzt auf Konzerttickets von Taylor Swift abgesehen.

Auch Streamerin Anne Kotz erklärte im Spiegel-Gespräch, dass die Aktionen der Mobber „anstrengend für ihre Psyche“ seien. Sie war besonders beunruhigt, dass die Täter ihre Privatadresse kannten. Es habe Zeiten gegeben, in denen sie „nicht mehr vor die Tür gehen wollte“. Sie kritisierte auch, dass Lieferando ihre Adresse nach dem Pizzabombing nicht gesperrt oder geblockt hatte.

Mittlerweile habe Lieferando reagiert. Das Unternehmen wehrt sich gegen den Missbrauch. Durch „fortschrittliche Sicherheitssysteme und spezialisierte Teams“ gelinge es dem Unternehmen, die meisten Pizzabombing-Versuche zu blocken, wie sie auf Anfrage des Spiegels antworteten. (cm/rk)

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