„Du musst zum Kunden kommen!“: Wie hohe Führerscheinkosten die deutsche Wirtschaft belasten
Bis zu 4.500 Euro: So teuer ist es mittlerweile, in Deutschland den Führerschein zu machen. Viele junge Menschen können sich das nicht mehr leisten. Für die Wirtschaft wächst damit ein neues Problem heran.
München/Berlin – Die Nervosität war wohl sein Hauptproblem: Bereits nach wenigen Minuten muss Lucius sein Fahrschulauto am rechten Seitenrand wieder abstellen. Das 10 km/h-Begrenzungsschild an einem Zebrastreifen war ihm bei all der Aufregung durchgerutscht, und bei einem solch schwerer Fehler kann auch der netteste Prüfer nicht wegsehen. Der 17-jährige Münchner hat jetzt die Gewissheit: Er hat die Führerscheinprüfung nicht bestanden. „Das ist echt ärgerlich“, erzählt er später. „Noch nicht Auto fahren zu dürfen, ist das eine. Viel bitterer ist aber, dass es jetzt noch teurer wird“, stöhnt er.
Dass Lucius so sehr über den Preis nachdenkt, ist verständlich: Über 3.600 Euro hat er bereits für Fahrstunden & Gebühren hinlegen müssen, jetzt braucht er neue Übungsfahrten und einen weiteren kostspieligen Prüftermin. Bis zum Ende seiner Fahrausbildung wird er weit über 4.000 Euro gezahlt haben.

Sorgen um das Geld belasten nicht nur den Schüler aus dem Münchner Norden. Bundesweit sind die Kosten für die Fahrausbildung in den letzten Jahren durch die Decke gegangen, wie aus Daten des Statistischen Bundesamts hervorgeht. Demnach ist die Summe, die Führerschein-Anwärter für den Erwerb der Fahrerlaubnis zahlen mussten, von 2017 bis 2023 um unglaubliche 43,7 Prozent gestiegen. Je nach Region und Fahrschule bedeuten das in Zahlen ausgedrückt Kosten zwischen vergleichsweise günstigen 2.500 Euro und 4.500 Euro, wie der ADAC auf seiner Seite ausrechnet. Summen, die vor allem junge Menschen immer schwerer aufbringen können.
„Tausende Euros sind nicht ansparbar“: Die Auswirkungen der Rekord-Preise auf Gesellschaft und Betriebe
„Die Hälfte der Haushalte in Deutschland hat kein nennenswertes Vermögen, und aus dem laufenden Einkommen sind mehrere Tausend Euro für viele nicht ansparbar“, beschreibt Dr. Andreas Aust vom Paritätischen Wohlfahrtsverband die Situation. Familien würden dann bei anderen Dingen sparen, zum Beispiel bei Reisen, Ausflügen oder alltäglichen Gütern. Doch selbst dann seien die hohen Summen kaum aufzutreiben. Auch seien die Preise für den grundsätzlichen Unterhalt eines Autos (Sprit, Versicherungen) zu hoch. Die Folge: „Über die Hälfte der Haushalte mit einem sehr niedrigen ökonomischen Status haben kein Auto“, sagt Aust und bezieht sich dabei auf Zahlen der 2023 durchgeführten bundesweiten Befragung „Mobilität in Deutschland“ (MiD). Das sei schlecht, denn Mobilität sei nach notwendig, um arbeiten und am gesellschaftlichen Leben mitwirken zu können, erklärte er IPPEN.MEDIA.
Auch Siglinde Foidl-Dreißer sieht die hohen Kosten eines Führerscheins als Problem an - und zwar aus volkswirtschaftlichen Gründen. Sie ist die Bundesvorsitzende des Bundesverbands Deutscher Berufsausbilder (BDBA), und beschreibt die Situation aus Sicht der deutschen Ausbildungsbetriebe so: Wo die öffentliche Verkehrsanbindung schlecht sei, fehlten den Betrieben sichtlich häufiger die Lehrlinge. Das läge daran, dass die vielen Azubis ohne Führerschein nicht wissen würden, wie sie an den Ausbildungsort gelangen sollten, wenn auch eine gute ÖPNV-Verbindung fehlen würde. Dies hätte mittlerweile dazu geführt, dass einige Betriebe um Azubis werben würden, indem sie versprächen, Teile des Führerscheins finanziell selber zu übernehmen.
„Du musst zum Kunden kommen“: Warum ein Führerschein in vielen Berufen unverzichtbar ist
„Klar ist: Du musst zum Kunden kommen“, erklärt Foidl-Dreißer. „Anfangs kann vielleicht der Geselle mal den Firmentransporter fahren, aber irgendwann muss das der Auszubildende selber tun können.“ In vielen Berufen sei eine Fahrerlaubnis nun mal notwendig, beispielsweise in der Pflege oder im Handwerk. Früher oder später bräuchten Azubis aus diesen Branchen also den Führerschein.
Für die Automobilindustrie selber sind die hohen Führerscheinkosten offensichtlich eine sensible Thematik. Zu diesem „vielschichtigen Thema“ wolle sich der bayerische Autoriese BMW derzeit nicht äußern, teilte ein Sprecher der Münchner mit, und verwies stattdessen auf den Verband der Automobilindustrie (VDA). Doch auch der blieb erstmal vage: Die Frage, ob sich die Branche langfristig über Kundschaft sorgen würde, wenn junge Menschen immer häufiger aus Kostengründen auf eine Fahrerlaubnis verzichten müssten, blieb auch hier unbeantwortet. Aber: Mobilität betreffe jeden - und das Auto werde für die Mobilität der Menschen auch in Zukunft eine „Schlüsselkomponente“ darstellen. Daher sei es zu begrüßen, dass die kommende Bundesregierung den Führerschein bezahlbarer machen wolle.
Die Politik ist gefragt: Wie kann der Führerschein bezahlbarer gemacht werden?
Dieses Ziel haben CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag schriftlich festgehalten, dabei jedoch darauf verzichtet, zu beschreiben, wie genau das geschehen soll. In Zeile 839 des Vertrags heißt es lediglich: „Unter Wahrung hoher Standards wird die Fahrausbildung reformiert, um den Führerscheinerwerb bezahlbarer zu machen.“ Ideen zur Umsetzung dieses Ziels kommen aus den Ländern: Die Verkehrsminister einzelner Bundesländer sprachen sich beispielsweise dafür aus, Fahrsimulatoren zu fördern und so kostspielige Fahrstunden im echten Auto zu reduzieren. Für Lucius aus München kommen diese Pläne zu spät: Anfang April darf er seine Führerscheinprüfung wiederholen, und besteht diesmal ohne große Probleme. (lf)