Kommentar von Hugo Müller-Vogg - Bei seinem Arbeiter-Jubel verschweigt uns Scholz entscheidende Fakten
Auch erlauben immer mehr Tarifverträge wie in der Metall- und Elektroindustrie oder bei der Bahn den Arbeitnehmern, die Arbeitszeit individuell bei gleichzeitigem Lohnverzicht zu reduzieren.
Die Fakten zum Arbeitsvolumen
Zu den Zahlen: Das Arbeitsvolumen aller Arbeitnehmer – also die Summe der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden – hat 2023 mit 54.707 Millionen Stunden einen neuen Höchststand erreicht. Aber nicht etwa, weil die Deutschen länger gearbeitet hätten. Es haben nur mehr Menschen gearbeitet.
Laut der Bundesagentur für Arbeit ist zusammen mit dem Arbeitsvolumen auch die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer deutlich gestiegen. Das waren im Jahr 2023 – Vollzeit- und Teilzeitkräfte – 42,1 Millionen, mehr als jemals zuvor.
Was der Kanzler offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat, ist das Verhältnis von Arbeitsvolumen zu Arbeitskräften. Zwischen 2016 und 2023 ist die Zahl der Arbeitnehmer um 7 Prozent gestiegen, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden aber nur um 4 Prozent.
Wenn die Zahl der Arbeitnehmer stärker steigt als die von ihnen geleisteten Arbeitsstunden, hat das einen simplen Grund: Im Schnitt arbeitet der einzelne Arbeitnehmer weniger.
Also von wegen „noch nie so viele Stunden gearbeitet wie im vorigen Jahr“! Das Gegenteil ist der Fall. Die Neigung, von Vollzeit in Teilzeit zu wechseln, dämpft den Anstieg des Arbeitsvolumens.
Arbeitnehmer wollen bessere Work-Life-Balance
Ob man deshalb Deutschland als Freizeitpark bezeichnet oder nicht: Der Drang zur „Selbstverwirklichung“ mit Hilfe einer angeblich besseren Work-Life-Balance ist eine Tatsache.
Apropos Freizeit: Scholz wischt die Klagen vieler Arbeitgeber und Ökonomen über die Neigung der Deutschen zu mehr Freizeit einfach vom Tisch.
Dabei hat sein Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erst kürzlich gefordert, der Staat solle Anreize setzen, „damit mehr Menschen freiwillig mehr und länger arbeiten“. Fehlt dem grünen Vizekanzler etwa der von Scholz so gern beschworene Respekt vor den Arbeitnehmern?
Den vielen fleißigen Männern und Frauen in Werkshallen, Büros und Serviceeinrichtungen Respekt zu zollen, ist am Tag der Arbeit zweifellos angebracht. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass immer mehr – keineswegs alle – Deutsche mehr Freizeit höher schätzen als mehr Lohn.
Die Wirtschaft leidet unter dem dadurch verstärkten Fachkräftemangel. Da sind Jubelbotschaften über angeblich so fleißige Deutsche fehl am Platz.
Wie wär’s mit mehr Respekt vor Fakten, Herr Bundeskanzler?