Kommentar von Henning Vöpel - Die Ampel ist gescheitert
Die „eierlegende Wollmilchsau“ und der fehlende Fortschrittsbegriff
Tatsächlich verhieß ganz am Anfang die politische Zusammenführung ökologischer, sozialer und liberaler Ansätze in einer gemeinsamen „Ampel“-Regierung eine neue ganzheitliche Politik für die multiplen Krisen und großen Transformationsprozesse unserer Zeit. Dafür aber hätte die Ampel einen neuen Fortschrittsbegriff prägen müssen.
Die dafür wiederum notwendige intellektuelle und konzeptionelle Arbeit ist jedoch offenkundig nie geleistet worden. Denn herausgekommen ist eine Koalition, die weniger ist als die Summe ihrer klientelpolitischen Wünsche, die angesichts der gewaltigen Zukunftsaufgaben aber deutlich mehr hätte sein müssen – nicht in einem additiven, sondern in einem qualitativen Sinne von Politik. Die Erkenntnis, dass alle Wünsche und Ziele der drei Koalitionäre gleichzeitig nicht finanzierbar sind, sondern nur durch einen neuen politischen Fortschrittsbegriff erfüllbar gewesen wären, kommt nun zu spät.
Die „eierlegende Wollmilchsau“ der Ampel ist wohl so etwas wie eine „schuldenbremsenkonforme Wohlfahrtsklimaökonomie“ – es gibt sie nicht. Jedenfalls nicht in der kurzen Frist, in der es den politischen Mut erfordert, soziale und ökonomische Zielkonflikte zu benennen und durch Politik gezielt zu überwinden. Darin genau liegt doch gesellschaftlicher Fortschritt. Soziale, ökonomische und politische Stabilität bedingen sich langfristig; sie gegeneinander auszuspielen oder so zu tun, als sei alles gleichzeitig finanzierbar, kann nur scheitern.
Und es ist gescheitert. Stattdessen haben sich die Parteien der Ampel immer stärker darauf zurückgezogen, in der immer deutlicher werdenden Unmöglichkeit ihres gemeinsamen Vorhabens, wieder ihre klientelpolitischen Ziele durchzusetzen, am wenigsten vielleicht noch die Grünen. Die durchsichtige Profilierung gegenüber ihren vermeintlichen Stammwählern rückte mit Blick auf die nächsten Wahlen in den Vordergrund, vor allem bei SPD und FDP.
Das ordnungspolitische Missverständnis der Ampel
Sollte die Ampel jemals so etwas wie einen gemeinsamen Fortschrittsbegriff gehabt haben, so ist dieser ordnungspolitisch krachend gescheitert, und zwar nicht in einem vordergründig politischen, sondern in einem tieferen ökonomischen Sinne. Es gibt ordnungspolitisch keinen „Marktstaat“, in dem die sozialen und ökologischen Ziele des Staates direkt durch den Staat am Markt durchsetzbar sind.
Genau das aber war der Versuch: Die Wirtschaft vollständig staatlich gesetzten Märkten zu unterwerfen, Wirtschaft und Politik in den Zeiten der Transformation aufs Engste und Kontrollierbarste miteinander zu verschmelzen.
Die Verlockung dazu ist politisch verständlicherweise groß, ökonomisch ist sie grundfalsch. Denn sie schwächt und beschädigt sowohl die Wirtschaft als auch die Politik selbst. Beginnt man, politische Preise zu setzen, einzelne Technologien oder Unternehmen zu subventionieren, Knappheit zu verwalten, mag man sehr kurzfristig eine opportune Umverteilung von Wohlfahrt und Kosten erreichen, langfristig ist eine solche Politik jedoch notwendig kontraproduktiv, weil sie Knappheit verschärft und Innovationen unterdrückt.
Politik korrigiert Wirtschaft, aber sie betreibt sie nicht. Allokative Ziele müssen am Anfang des Marktprozesses, distributive Ziele am Marktergebnis umgesetzt werden. Dazwischen findet Wirtschaft statt.
Kaum Aussicht auf schnelle Besserung
Einen Befreiungsschlag wird es auch nach der Ampel wohl nicht geben. Politik ändert sich nicht, sondern akkumuliert sich und wirkt so fort. Dies führt dazu, dass nie weniger, sondern immer nur mehr Gesetze erlassen werden, die letztlich - in ihrer Kumulation - zu einer bürokratischen und fiskalischen Überlastung führen (vgl. Adam et al., 2019, Policy Accumulation and the Democratic Responsiveness Trap).
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es kaum möglich ist, wirklich neue Politik zu machen. Sie muss immer damit umgehen, was sie vorfindet.
Das gilt für den sozialen und wirtschaftlichen Zustand eines Landes wie für die regulatorischen und bürokratischen Rahmenbedingungen, die so träge sind, dass sie selbst zu einer Beschränkung und Nebenbedingung für Politik werden. Die politischen Anreize für eine echte Reformagenda sind zudem äußerst gering. Das gilt zumal für eine Gesellschaft, in der sich die Zukunftsperspektiven eingetrübt haben und Pessimismus herrscht.
Das Interesse am Erhalt des scheinbar bequemen Status quo dominiert den Mut zu einem echten Aufbruch in eine zugegeben unsichere, aber gerade deshalb aktiv zu gestaltende Zukunft. Und so endet die Ampel gewissermaßen mit einem Haushaltsentwurf, der als ein Scherbenhaufen der eigenen Ambitionen betrachtet werden kann: Verteidigung, Infrastruktur, Klima – kaum etwas ist übriggeblieben. Und es ist dabei nicht zuerst die Schuldenbremse, die daran schuld ist. Wer dies glaubt, hat selbst keine wirklichen Lösungen anzubieten. Fortschritt schafft Vermögen, aber Geld noch keine Zukunft.