„Unterstellt Krankmacherei“: Ruf nach Lohnstopp am ersten Krankheitstag – Verband fürchtet Doppel-Gefahr

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Die Frage, ob das Kranksein Arbeitnehmer finanziell treffen sollte, erhitzt die Gemüter. Laut einem Sozialverband würden gerade Geringverdiener leiden.

Berlin – Den Anstoß zur Debatte gab Allianz-Chef Oliver Bäte in einem Interview mit dem Handelsblatt: Er forderte, Arbeitnehmern künftig am ersten Krankheitstag den Lohn zu streichen. Die Vorsitzende des Sozialverbands SoVD, Michaela Engelmeier, sieht in diesem Vorschlag eine „echte Unverschämtheit“, wie sie dem Münchner Merkur sagt. Bevor der Versicherungschef „solche Vorschläge rausbläst“, solle er sich zuerst in die Lage anderer mit weniger Geld versetzen.

„Karenztag“-Comeback: Am ersten Krankheitstag kein Lohn?

Den sogenannten Karenztag gab es in Deutschland bis in die 1970er Jahre. Bäte von der Allianz will ihn nun wieder einführen, um Arbeitgeber angesichts der kriselnden Wirtschaft und des aus seiner Sicht hohen Krankenstands zu entlasten. Laut Statistischem Bundesamt meldeten sich deutsche Arbeiter 2023 durchschnittlich 15,1 Arbeitstage krank.

Mit der Lohnstreichung würde Angestellten pauschal unterstellt, blau zu machen, lautet die Kritik am Vorschlag, etwa vom Deutschen Gewerkschaftsbund DGB oder der IG Metall. Auch Engelmeier sieht im Karenztag einen völlig falschen Ansatz.

Kein Lohn bei ersten Krankheitstagen: Allianz-CEO Oliver Bäte will Karenztage einführen.
Kein Lohn bei ersten Krankheitstagen: Allianz-CEO Oliver Bäte will Karenztage einführen. © dpa (2) / Thomas Banneyer / Bernd Weißbrod

„Das ist ein klassischer Arbeitgebervorschlag. Schwarze Schafe gibt es überall – aber nur sehr wenige melden sich ohne Grund krank“, so die SoVD-Vorstandsvorsitzende. „Darum empfinden wir es als echte Unverschämtheit, allen Beschäftigten pauschal Krankmacherei zu unterstellen.“

Durch diese Maßnahme würden Angestellte künftig krank zur Arbeit kommen und die Krankheiten sogar verschleppen, prophezeit Engelmeier. Außerdem greife der Vorschlag die soziale Sicherheit Deutschlands an. „Die deutsche Wirtschaft muss im Gegenteil dafür sorgen, dass es bessere Arbeitsbedingungen gibt, dann werden auch weniger Menschen krank.“

Kein Lohn am ersten Krankheitstag: Problem für Geringverdiener

Die Sozialverbandschefin kritisiert am Karenz-Vorschlag, dass angeschlagene Arbeiter „aus Angst zur Arbeitsstelle kommen, dort nur mit halber Kraft arbeiten und am Ende noch Kolleginnen und Kollegen anstecken.“ Besonders für Geringverdiener könne ein Tag ohne Lohn bereits problematisch werden. „Das würde ein Allianz-Vorstand in der Gehaltsabrechnung am Ende des Monats sicher kaum spüren. Vielleicht sollte man sich vorher mal in die Lage anderer versetzen, ehe man solche Vorschläge rausbläst.“

Lohnfortzahlung

Die Lohnfortzahlung (auch Entgeltfortzahlung) ist eine gesetzliche Regelung zum Schutz der Arbeitnehmer. Sie stellt sicher, dass Angestellte bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit weiter vergütet werden. In Deutschland ist das gesetzlich vorgeschrieben.

Unions-Fraktionsvize Sepp Müller (CDU) zeigte sich dagegen offen für die Idee und verwies gegenüber Politico auf wachsende Beanspruchung der Sozialsysteme: „Aus diesem Grund sollten wir uns meiner Meinung nach nicht vor neuen Ideen verschließen und diese diskutieren.“ Den Lohn für die ersten sechs Krankheitswochen zahlt allerdings nicht die Krankenkasse, sondern der Arbeitgeber. (mit dpa)

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