Daniel Glattauers („Gut gegen Nordwind“) neuer Roman „In einem Zug“ ist sehr klug und sehr komisch. Perfekt für graue Wintertage. Unser Buch-Tipp.
Es steht schon im Titel: Dieses Buch liest man in einem Zug. Man kann gar nicht anders. Was hat Daniel Glattauer da wieder für einen kurzweiligen, verspielten, klugen, urkomischen Roman geschrieben. Sollte er autobiografisch gefärbt sein, dann ganz bestimmt nicht in einer Sache: Anders als der berühmte Autor, aus dessen Sicht er hier erzählt, kann Glattauer selbst nicht unter einer Schreibblockade leiden. Das hier ist funkensprühende Literatur, die wie gerufen kommt für die letzte Phase des Winters. Jene, in der die süßen Glocken langsam verklungen sind, aber irgendwie immer noch ziemlich viele lange dunkle, nasskalte Abende vor uns liegen. Machen wir uns gedanklich mit Daniel Glattauer auf die Reise – wirkt wohltuend wie ein Schaumbad.
Es geht – „in einem Zug“ – von Wien nach München. Besagter berühmter Autor mit Schreibblockade sitzt einer ihm unbekannten Frau mittleren Alters schräg gegenüber. Eduard Brünhofer heißt er, genießt die Stille, das Einfach-nur-hier-Sitzen. „Schön, wenn einmal keiner etwas sagt, keiner und keine. ,Stillbeschäftigung‘ nannte man das in der Schule. Wurde inzwischen vom Internet abgelöst.“ Sie tut nichts. Er tut nichts. „Aber sie tut doch etwas. Sie schaut mich an.“
Und so beginnt eine zarte Kontaktaufnahme. Die sich im Laufe der Fahrt zu einem immer muntereren verbalen Ping-Pong-Spiel zwischen den beiden entwickelt. Wobei die selbstbewusste Lady („Ich entscheide, was ich kriegen kann“) diejenige ist, die meist die Angabe macht. Unverblümt fragt sie ihr schräges Gegenüber aus. Nach Familie, Schreibprozess, Wohnsituation, und immer wieder: der Beziehung zu seiner Ehefrau. Der Ich-Erzähler hält sich bedeckt. Kommentiert die gesamte Unterhaltung gedanklich mit unnachahmlicher Lakonie. Inklusive der Körpersprache dieser Frau, die ihn immer wieder versucht, aus der Reserve zu locken. Und dadurch klammheimlich in ihm etwas in Gang setzt: die schönste Liebesgeschichte, die er je geschrieben hat. Aber mehr wird nicht verraten. Denn dieses an Pointen reiche Büchlein wartet am Ende noch mit einem besonders hübschen Twist auf.
Man sieht sie vor sich, die zwei, hört sie sprechen. Aneinander vorbeireden, einander provozieren, sich annähern, drei Schritte vor, zwei zurück. 2006 hat der österreichische Bestsellerautor mit „Gut gegen Nordwind“ seinen Durchbruch gefeiert. Und beweist seither verlässlich sein Gespür für die feinen Zwischentöne. Speziell für jene zwischen Mann und Frau. Und seine Lust an Wortspielereien, der deutschen Sprache. Allein der einseitige Dialog, in dem sie ihm ihren Namen buchstabiert – Catrin Meyr –, würde man gern im Theater sehen. „Weder Kathrin mit K und th. Noch Katherine mit K, th und stummem e am Schluss. Noch Katrin mit K und ohne h.“ – „Dann Catherine mit C, th und stummen e am Schluss.“ „Weder Catherine mit C, th und e am Schluss. Noch Cathrin mit C und th. Noch Caterine mit C, ohne h und mit e am Schluss.“ Immer wieder ertappt man sich dabei, laut aufzulachen. Wie nennt es der Autor selbst, das, was das Leben ausmacht? „Die Sättigungsbeilagen des Alltags.“
Irgendwann setzt sich ungefragt ein frisch zugestiegener Reisender auf den Platz neben Catrin. Und alles ändert sich. „Denn zwischen Catrin und mir hat sich über wenige Stationen hinweg aus dem Nichts eine ungeheure, schon an Intimität grenzende Vertraulichkeit aufgebaut, die nun an der Realität eines breitbeinig dasitzenden Neapolitaners mit Villacher Wurzeln zerbricht.“ Es gelingt Catrin, ihn loszuwerden. Wie und warum – auch das gilt es, selbst nachzulesen.
Der fiktive Lektor des Eduard Brünhofer hat den seit langer Zeit Schreibunfähigen einmal gebeten, „noch etwas mehr fürs Herz“ in sein aktuelles Buchprojekt einzuweben. Die Antwort des Autors darauf ist klipp und klar: „Da müssen Sie zwischen den Zeilen lesen, da findet sich meiner Ansicht nach genug davon.“ Ganz so wie in diesem Roman. In und zwischen den Zeilen: Witz, Wärme und Verstand. Volle Fahrt voraus in den Frühling. Daniel Glattauer: „In einem Zug“. dtv Verlag, München, 208 Seiten; 23 Euro. Lesung: Daniel Glattauer stellt sein Buch zusammen mit Schauspielerin Julia Koschitz am 22. Januar 2025, 19 Uhr, im Münchner Literaturhaus, Salvatorplatz 1, vor