„Gravierende Verstöße“ beim Bürgergeld – Empfänger können Ansprüche rückwirkend geltend machen

  1. Startseite
  2. Verbraucher

Kommentare

Während der Pandemie wurden Wohnkosten von Bürgergeld-Empfängern wohl teils zu Unrecht gekürzt. Betroffene müssen selbst aktiv werden, um die Kürzungen anzufechten.

Kassel – Während der Corona-Pandemie durften Bürgergeld-Empfänger auch in deutlich teureren Wohnungen leben. Denn: Zwischen März 2020 und Dezember 2023 entfiel die Prüfung auf Angemessenheit von Kosten für Unterkunft und Heizung. Das hat ein Urteil des Bundesozialgerichts (BSG) entschieden. Verbände kritisierten dennoch unzulässige Kürzungen.

Nach Bürgergeld-Urteil: „Kürzungen grundsätzlich rechtswidrig“

Normalerweise überprüft das Jobcenter die Höhe der Wohnkosten von Bürgergeld-Empfängern. Bestimmte Richtwerte dürfen dabei nicht überschritten werden. Werden die Kosten als unangemessen betrachtet, müssen diese gesenkt werden – etwa durch einen Umzug. Sonst wird nur ein Teil der Kosten übernommen. Dabei belasten die inzwischen hohen Mietpreise auch den Staat.

Bereits Ende 2023 entschied das BSG jedoch in einem Urteil, dass die sogenannte Angemessenheitsfiktion während der gesamten Pandemie gilt. Die Jobcenter sollten in diesem Zeitraum die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht auf Angemessenheit prüfen. Dies galt auch bei Umzügen. Zu dieser Zeit existierte zeitweise noch der Bürgergeld-Vorgänger Hartz IV.

Kürzungen der Wohnkosten für Bürgergeld-Beziehende in der Pandemie sind unzulässig. Dennoch seien Kürzungen vorgenommen worden.
Kürzungen der Wohnkosten für Bürgergeld-Beziehende in der Pandemie sind unzulässig. Dennoch seien Kürzungen vorgenommen worden. © Sven Hoppe/dpa

„Somit sind Kürzungen der Unterkunftskosten durch Jobcenter oder Sozialämter, die auf einer behaupteten Unangemessenheit basierten, grundsätzlich rechtswidrig“, informierte das Portal gegen-hartz.de. Dennoch hätten viele Jobcenter und Sozialämter die Angemessenheitsfiktion ignoriert und unrechtmäßige Kürzungen vorgenommen. „Das Urteil offenbart gravierende Verstöße gegen geltendes Recht“, heißt es weiter.

Nach BSG-Urteil zu unzulässigen Kürzungen: Bürgergeld-Empfänger können Ansprüchen geltend machen

Auch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles äußerte sich dazu. Verschiedene Landessozialgerichte hätten die „Nichtanwendung der Angemessenheitsfiktion für Umzugsfälle festgestellt“. Damit sei Recht gebrochen worden. Kritisiert wurde auch, dass es bis heute an einer behördeninternen Korrektur fehle und Bürgergeld-Empfänger selbst aktiv werden müssen. Tacheles e.V. hat daher auf der Webseite verschiedene Vordrucke für die Ansprüche vorbereitet. Wurden die Unterkunftskosten in diesem Zeitraum gekürzt, können Betroffene also rückwirkend ihre Ansprüche geltend machen.

Laut dem hessischen Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales sei von den Landessozialgerichten zunächst unterschiedlich ausgelegt worden, ob die Angemessenheitsfiktion „nur bei erstmaligen Bewilligungen galt oder auch Weiterbewilligungszeiträume (z.B. Umzüge) umfasste“, heißt es auf Anfrage von IPPEN.MEDIA. Nach dem BSG-Urteil sei dann klar gewesen, dass auch Weiterbewilligungszeiträume erfasst waren. Dem Ministerium liegen allerdings keine Beschwerden von Betroffenen vor. Es seien auch keine Auswertungen bekannt, die solche Fälle statistisch erfassen würden.

Zu solchen Einzelfällen nehme der Deutsche Landkreistag, der kommunale Spitzenverband der 294 Landkreise, grundsätzlich keine Stellungnahme, sagte ein Sprecher unserer Redaktion. „Natürlich gibt es immer Fehler“, hieß es. Systematische Fehler schließe er jedoch aus. Eine pauschale, behördeninterne Korrektur sei zudem nicht möglich. Für jeden Fall müssten die Umstände einzeln geprüft werden. Derweil verpflichtet eine erste Stadt in Deutschland Bürgergeld-Bezieher zur Arbeit. (kas)

Auch interessant

Kommentare