Tantralehrerin Regina Heckert - „Mein Name ist Birgit“, sagt Ralf - Expertin über erste Transgender-Erfahrung
„Mein Name ist Birgit“, sagt Ralf
Nach der Anfangsmeditation schaue ich mich um: Männergesichter lächeln mich erwartungsvoll, ja zuversichtlich an. Dazwischen sitzt Sabrina. Zunächst teile ich ehrlich meine Befindlichkeit mit. Was wir hier machen, ist Pionierarbeit. Ich habe keinerlei Erfahrung mit dem Thema Transsexualität und entschuldige mich schon einmal vorsorglich, falls ich in ein Fettnäpfchen treten sollte.
Die Vorstellungsrunde beginnt. Ein Mann nach dem anderen spricht: „Ich heiße Birgit und freue mich, dass es so ein Seminar gibt. Mein Männername ist Ralf.“ Manche möchten nur mit ihrem Frauennamen angesprochen werden. „Heute fühle ich mich ganz als Michael, also sprecht mich bitte auch so an!“ ergänzt ein anderer. Ich atme tief durch. Gutaussehende, sehr männlich wirkende Männer, ein Firmenchef darunter, behaupten einfach, sie seien Frauen.
Meine Sinne rasen mit dem Verstand um die Wette. Nein, es ist nicht zu fassen. Wieder einmal schenkt mir das Leben eine etwas groteske Möglichkeit, mich aus gewohnten Denk- und Verhaltensstrukturen herauszukatapultieren. Ines sieht aus wie eine richtige Frau und ist es auch. Sie hat die „große Lösung“ hinter sich. Karl schaut sie bewundernd an: „Das habe ich auch vor!“ Er erhofft die endgültige Er-Lösung von seinem inneren Dilemma. „Es ist auch als Frau nicht zu Ende. Deine Vergangenheit bleibt. Du kannst sie nicht einfach abschneiden“, erwidert Ines.
Ich gebe auf, und das Seminar beginnt
Alles erscheint mir ziemlich verrückt. Mein innerer Kampf hat keinen Zweck. Ich gebe auf. Und das Seminar beginnt. Tanz und Bewegung zum Abschütteln des Alltags entlasten mich als Gruppenleiterin erst einmal. Im Raum spürbar ist ein ganz normales Tantra-Gruppen-Feeling. Erneutes tiefes Durchatmen. In kleinen Rederunden beginnt der Austausch über das Mann- und das Frausein und wie es im Alltag gelebt wird. Von allen bekundetes Seminarziel: Das Weibliche noch viel mehr leben zu können!
Im Alltag Mann – gelegentlich ein prickelnder Ausflug ins Frausein
Natürlich war mir klar, dass es Transvestiten gibt. Nur dachte ich, dass das Männer seien, die sich ab und zu als Frau verkleiden, um durch solches Spektakel Geld zu verdienen, also reines Show-Business. Auch dass es hier und da jemanden gibt, der sich geschlechtsumwandeln lässt, ist allseits bekannt.
Bereits vor dem Seminar hatte mich Sabrina diesbezüglich jedoch näher aufgeklärt: In ihrer Praxis für ganzheitliche Schönheitsberatung arbeitet sie mit „Transen“ und zwar Mann-zu-Frau-Transsexuellen. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Ausprägungen. Transvestitisch veranlagte Männer haben ein ganz normales Männerleben und einen Männerkörper. Sie lieben es, manchmal in die weibliche Rolle zu schlüpfen. Das ist mit angenehmer Aufregung und oft auch mit sexuellem Reiz verbunden. Sie finden die Möglichkeit, gelegentlich Frau zu sein, enorm bereichernd und erfüllend.
Sabrina hilft Ihnen, das entsprechende Outfit zu finden, schminkt und berät sie. Hält die passenden Perücken, Brust- und Hüftpolster bereit und steht auch für so manches seelentröstende Gespräch zur Verfügung. Es geht keinesfalls um Show-Business, sondern um das Verwirklichen eines unüberhörbaren inneren Dranges, das innewohnende Weibliche auch außen zu zeigen. Viele transvestitisch veranlagte Menschen leben diese Neigung allerdings heimlich aus und führen ein Doppelleben.
Ich bin eine Frau - der Männerkörper ist mir lästig!
Transsexuelle Menschen in Behandlung dagegen haben auf ihrem Weg zum optischen Frausein keinen reinen Männerkörper mehr. Es sind „künstlich geschaffene körperliche Mischwesen“. Durch lebenslange Hormoneinnahme wachsen ihnen Brüste und ihr männlicher Sexualtrieb verliert an Einfluss. Sie fühlen sich - und leben auch meist - als Frau.
Ihre größte spürbare Einschränkung ist das männliche Geschlechtsorgan und das damit zwangsläufig verbundene männlich geprägte Sexualleben, das viele von ihnen ablehnen. Oft leben Transsexuelle mit kleiner Lösung (also ohne Operation bzw. Geschlechtsumwandlung) sowohl als Mann als auch als Frau.
Viele trauen sich nicht, sich zu outen - ein sehr belastendes Versteckspiel. Und schließlich gibt es noch die ehemals Transsexuellen, die sich für die „große Lösung“ entschieden haben. Durch eine abgeschlossene, geschlechtsangleichende Operation und lebenslange Hormoneinnahme leben sie nun als Frau. Dem inneren Empfinden, eindeutig eine Frau zu sein, wurde nun auch der Körper angeglichen. Die Unterscheidung von biologischen Frauen ist manchmal nur noch medizinisch anhand von Chromosomensatz oder Knochenbau möglich. Trans-Sein als Schicksal dagegen hört aber wohl nie ganz auf…
Wunderschöne Frauen - Mich trifft der Schlag!
In der Abendpause treffe ich mich mit meinem Ehemann zum Abendessen. Zeit zum Durchatmen: Ich bin die Frau – er ist der Mann. Wie einfach und wunderbar! Es ist schön, mich in der „Normalität“ zu erholen. Fröhlich, und nun nicht mehr so unsicher, fahre ich zur Gruppe zurück. Kaum habe ich die Tür geöffnet, trifft mich der Schlag. Ich bin umringt von lauter attraktiven Frauen und habe Mühe, herauszufinden, welche „Männer“ dahinterstecken.
Erst einmal bin ich sprachlos, schaue und staune. Da tappe ich in das von Anfang an befürchtete Fettnäpfchen: „Ihr habt Euch alle so toll verkleidet!“ Sabrina gibt mir einen Wink und nimmt mich zur Seite. „Das Wort >verkleiden< kränkt. Es handelt sich nicht um Verkleidung!“ Ich entschuldige mich und bitte um Verständnis, was mir freundlich gewährt wird.
Der heutige Abend ist dem tantrischen Wunschritual in Kleingruppen gewidmet. Jede/r darf sich eine halbe Stunde lang verwöhnen lassen von den „Diener/innen“ seiner/ihrer Gruppe. Körperliche Berührung, anerkennende Worte, Stärkung des Weiblichen - ich gebe einige konkrete Hinweise. Und bin gespannt. Das Ritual beginnt ohne jeglichen Widerstand. Vor meinen Augen entfaltet sich pure Weiblichkeit. Die Männergruppe von heute Morgen ist eindeutig zu einer Frauengruppe geworden. Und zwar nicht nur durch die äußere Veränderung.