Pflege wird immer teurer: „Diese Preise kann keiner mehr zahlen“
Immer mehr Menschen sind im Alter auf Sozialhilfe des Bezirks Oberbayern angewiesen. Auch im Landkreis München entwickelt sich die Lage inzwischen dramatisch.
Landkreis – Das Telefon klingelt. Ein älterer Herr ist dran. Seine Frau brauche einen Heimplatz, aber das Ehepaar habe kaum Geld. Was soll er nur tun? Anrufe wie diese erhält Walter Lederwascher, Vorsitzender des VdK Oberhaching-Sauerlach, oft. Die Menschen bitten ihn um Hilfe. Denn die Not ist groß, Pflege wird immer teurer. Bis zu 1000 Euro mehr im Monat könnten es für Pflegebedürftige demnächst werden. Und weil das Geld bei vielen knapp ist, sind immer mehr Menschen im Alter auf den Staat angewiesen: Die Sozialhilfe vom Bezirk Oberbayern ist ihre letzte Rettung.
Besonders Frauen sind betroffen
„Die Preise kann kein Mensch mehr zahlen“, sagt Lederwascher. Wenn Leute im Alter in die Sozialhilfe fallen, sei das ein „Unding“. Besonders Frauen treffe es. Viele hätten ihr Leben lang nicht gearbeitet und die Witwenrente reiche nicht aus. Betroffene ohne Rücklagen haben die Wahl, gebuchte Pflegeleistungen zu reduzieren oder „Hilfe zur Pflege“ beim Bezirk zu beantragen. Immer häufiger wählen sie Letzteres.
17.600 Pflegebedürftige auf Sozialhilfe angewiesen
Das belegen die Zahlen des Bezirks. Die Sozialhilfefälle steigen. In Oberbayern waren im September rund 17 600 Pflegebedürftige auf Sozialhilfe angewiesen. Im März dieses Jahres waren es 14 600. Ein Anstieg von 3000 innerhalb eines halben Jahres. Knapp zwei Drittel der Betroffenen beansprucht stationäre Pflege. In den oberbayerischen Caritas-Altenheimen sind aktuell fast 30 Prozent auf Sozialhilfe angewiesen. Doris Schneider ist Geschäftsführerin der Altenheime des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising. Sie ist für 27 Einrichtungen zuständig. Zwei davon liegen im Landkreis, das Altenheim St. Rita in Oberhaching und St. Gisela in Gräfelfing.
Bis zu 800 Euro mehr soll der neue Monatsbeitrag kosten
Gerade verhandelt Schneider mit den Kostenträgern, den Pflegekassen und dem Bezirk Oberbayern, für jedes einzelne Haus über die Preiserhöhung. Bis zu 800 Euro mehr soll der neue Monatsbeitrag kosten. Seit Wochen ziehen sich die Verhandlungen. „Das sagt alles über die derzeitige Situation“, sagt Schneider. Wenn sich die Beteiligten bis Monatsende auf kein Ergebnis einigen, müssen die Caritas-Altenheime den November zu den höheren Preissätzen abrechnen. Noch zahlt ein Rentner im Altenheim St. Rita knapp 2300 Euro. Der neue Preis würde 3100 Euro betragen. In der Pflegestufe 5 sind es rund 5700 Euro. Der neue Preis wäre hier 6500 Euro.
Gründe für Preisanstieg vielfältig
Die Gründe für den Preisanstieg sind vielfältig. Inflation und Personalkosten seien das eine, doch das viel größere Problem sind laut Schneider die freien Betten. Durchschnittlich liegen die Caritas-Altenheime acht Prozent unter der geforderten Auslastung. Wegen Personalmangel können die Heime keine neuen Bewohner aufnehmen. Die Fixkosten blieben aber dieselben. Mit dieser Lücke könne kein Altenheim langfristig überleben. „Wir haben einen totalen Versorgungsnotstand“, sagt Schneider. Verzweifelte Angehörige und Krankenhäuser würden anrufen und nach Kapazitäten fragen. „Das ist frustrierend, weil wir die Plätze hätten.“
Dass jetzt mit der Preiserhöhung noch mehr Patienten in die Sozialhilfe rutschen, findet Schneider schlimm. Noch schlimmer wäre allerdings die Alternative: Einrichtungen müssen schließen. Das sei das „eigentliche Drama“. Schon jetzt gingen reihenweise Altenheime insolvent. „Wir leben in der komfortablen Situation, dass der Staat keinen Pflegebedürftigen auf der Straße sitzen lässt“, sagt Schneider. „Der Sozialhilfeträger springt kompromisslos ein.“ Vorausgesetzt, es ist kein Eigenkapital da und Angehörige verdienen jährlich nicht mehr als 100 000 Euro.
Ein Sechser im Lotto
Auch bei Brigitte Scholle, Vorsitzende des Sozialverbands VdK Oberschleißheim, war die „Hilfe zur Pflege“ ein soziales Auffangnetz. Ihre demenzkranke Mutter ist vor zwei Wochen mit 92 Jahren gestorben. Zwei Jahre hat sie in einer Demenz-WG in München gewohnt. „Mit dem Platz in der Wohngruppe hatten wir einen Sechser im Lotto“, sagt Scholle. Der Bezirk übernahm die kompletten Pflegekosten, weil Scholles Mutter Sozialhilfe empfing. „Ich und meine Schwester mussten nichts zahlen.“ Die 150 Euro Taschengeld des Bezirks hätten gereicht. Dazu kamen die 35 Euro für Kleidung. Wenn Scholle ihre Mutter fragte, habe sie geantwortet, dass sie nichts brauche – „Ich habe doch alles.“ Ihre Mutter sei zufrieden gewesen. Das ist nicht immer so.
Die Zahl der Betroffenen steigt
In diesem Jahr meldeten sich 38 Prozent mehr als im Vorjahr mit ihren Ängsten beim Pflegestützpunkt des Landkreises – mit Fragen über Antragstellung, Vermögen, Mietwohnung bis Bestattung. Um allen Anfragen nach zu kommen, stellt der Bezirk kontinuierlich Sachbearbeiter ein, so der Bezirk. Wenn weniger Pflegebedürftige die Kosten für einen Pflegedienst oder ein Heim selbst tragen können, muss der Bezirk einspringen. Das bedeutet wieder eine Kostenexplosion für den Bezirk.
Beratung Pflege
Der Bezirk Oberbayern als Sozialhilfeträger betreibt den Pflegestützpunkt im Landratsamt München gemeinsam mit dem Landkreis und den Pflegekassen. Tel. 089 / 6221- 4399; E-Mail: Pflegestuetzpunkt@lra-m.bayern.de