„Das wird nichts bringen“ - Erst Putin-Telefonat, dann Raketen-Terror – nun hagelt es Kritik an Scholz
Am Freitag telefonierte Bundeskanzler Olaf Scholz erstmals seit zwei Jahren wieder mit Russlands Präsident Putin. Am Sonntag, nur zwei Tage später, startet Putins Armee einen der bisher schwersten Raketenangriffe auf die Ukraine. Die Ziele sind dabei nicht etwa militärischer Natur, sondern Zivilisten und die kritische Energieinfrastruktur des Landes.
In der Nacht und in den Morgenstunden setzten die Angreifer 120 Raketen und Marschflugkörper sowie 90 Drohnen ein, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mitteilte. In etwa 140 Fällen sei die Flugabwehr erfolgreich gewesen. Es gab aber auch Tote und Verletzte sowie Schäden, vor allem einmal mehr an der Energieinfrastruktur des Landes.
Scholz verteidigt Telefonat mit Putin
Scholz hat sein Telefonat mit Putin dennoch verteidigt. „Das war wichtig“, sagte Scholz, „um auch zu sagen, dass er nicht darauf rechnen darf, dass die Unterstützung Deutschlands, Europas und vieler anderer in der Welt für die Ukraine nachlassen wird“. Er habe Putin gesagt, „dass es jetzt auch an ihm ist, dafür Sorge zu tragen, dass der Krieg ein Ende findet“, erklärte Scholz vor seiner Abreise zum G20-Gipfel in Rio de Janeiro vor Journalisten.
Das Gespräch sei lange angekündigt gewesen. Es sei sehr ausführlich gewesen, habe aber auch zu der Erkenntnis beigetragen, „dass sich bei dem russischen Präsidenten an seinen Ansichten zu diesem Krieg nicht viel geändert hat, was keine gute Nachricht ist.“ Gerade deshalb sei es so wichtig, „dass wir in der Frage des Prinzips sehr klar sind, nämlich, dass die Ukraine sich auf uns verlassen kann und dass der Grundsatz gilt: Über die Köpfe der Ukraine hinweg wird es keine Entscheidung gegeben“, sagte Scholz weiter.
Aus seiner Sicht sei es keine gute Idee, „wenn es demnächst Gespräche zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem russischen Präsidenten gibt und der Regierungschef eines wichtigen europäischen Landes nicht selber auch Gespräche führt“. Trump hatte im Wahlkampf angekündigt, er werde den Ukraine-Krieg binnen kürzester Zeit durch einen Deal mit Russland beenden.
Finnische Außenministerin: Weitere Putin-Telefonate bringen nichts
Finnlands Außenministern Elina Valtonen mahnt nach dem Telefonat zwischen Scholz und Putin Zurückhaltung der europäischen Verbündeten der Ukraine gegenüber dem Kreml an.
„Das Wichtigste ist, dass wir verstehen, dass es jetzt nicht dazu kommen darf, dass es wieder zu einem Wettrennen um Aufmerksamkeit im Kreml kommt. Dass europäische Staatsoberhäupter mit Putin koordiniert oder unkoordiniert telefonieren, das wird nichts bringen“, sagte sie dem ARD-"Europamagazin". Es brauche eine koordinierte Antwort - nicht nur mit den Vereinigten Staaten, sondern vor allem mit der Ukraine.
Selenskyj: Scholz hat „Büchse der Pandora“ geöffnet
Der ukrainische Präsident Selenskyj warf Scholz vor, mit dem Telefonat die „Büchse der Pandora“ geöffnet zu haben. „Das ist genau das, was Putin seit langem will: Es ist extrem wichtig für ihn, seine Isolation zu schwächen“, erklärte Selenskyj in Onlinediensten. Er bestätigte, dass Scholz ihn vorab über das Telefonat informiert habe.
Das Außenministerium in Kiew erklärte, nötig im Umgang mit Putin seien „konkrete und starke Aktionen, die ihn zum Frieden zwingen, und nicht Überzeugungsarbeit und Appeasement-Versuche, die er als Zeichen der Schwäche sieht und zu seinem Vorteil nutzt“.
Aus Regierungskreisen in Berlin hieß es, Scholz habe gegenüber Putin ausdrücklich „die russischen Luftangriffe gegen zivile Infrastruktur in der Ukraine“ verurteilt. Der Kanzler habe zudem betont, dass keines der russischen Kriegsziele erreicht worden sei.
Tusk: „Niemand wird Putin mit Telefonaten stoppen“
Der polnische Regierungschef Donald Tusk hat den Nutzen von Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Zweifel gezogen. „Niemand wird Putin mit Telefonaten stoppen“, schrieb der liberalkonservative Politiker bei der Online-Plattform X mit Blick auf Russlands Angriffskrieg in dem Nachbarland.
Der jüngste Luftangriff habe gezeigt, dass „Telefondiplomatie“ kein Ersatz für reale Unterstützung durch den ganzen Westen für die Ukraine sein könne. „Die nächsten Wochen werden entscheidend sein, nicht nur für den Krieg selbst, sondern auch für unsere Zukunft“, mahnte der Ex-EU-Ratspräsident.
Scholz bedauert Fehlen Selenskyjs beim G20-Treffen
Scholz reist nun für fast drei Tage nach Rio, um dort mit den G20-Ländern unter anderem über Armutsbekämpfung, Klimaschutz und die Kriege in der Ukraine und in Nahost zu sprechen. Er bedauere, dass - anders als bei vorherigen Treffen - Selenskyj nicht eingeladen worden sei. „Ich habe mich dafür sehr intensiv eingesetzt, andere auch. Das aber ist jetzt nicht der Fall.“
Die Ukraine gehört nicht zur G20. Selenskyj wurde von den brasilianischen Gastgebern auch nicht als Gast nach Rio eingeladen.