Grundgesetz, Sondervermögen, Verfassungsrichter - Wenn AfD und BSW bei Neuwahlen abräumen: Das wären die Folgen für Deutschland
Auch ohne Regierungsbeteiligung könnten AfD und BSW im nächsten Jahr zentrale Entscheidungen beeinflussen. Schon jetzt wird diskutiert, was vor Ablauf der Legislatur mit den derzeitigen Mehrheiten noch schnell geändert werden sollte, um im nächsten Jahr sicher zu sein. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) brachte nun erneut eine Grundgesetzänderung für das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr ins Spiel. Bevor die Mittel aufgebraucht seien, solle eine zusätzliche Finanzierung sichergestellt werden.
Hintergrund: Das Sondervermögen ist Teil des Grundgesetzes, und das wiederum kann nur mit einer Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat geändert werden.
Die AfD liegt in Umfragen derzeit bei um die 18 Prozent, das BSW bei rund sieben. Das zusammen ergibt natürlich noch kein Drittel. Allerdings würden Parteien unterhalb der Fünfprozenthürde herausgerechnet (Linke, gegebenenfalls FDP), und bis zur Wahl können sich die Ergebnisse verändern.
Dann greift die sogenannte Sperrminorität. Das bedeutet: Alles, was auf Bundesebene nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden kann, läge brach.
Anna-Mira Brandau arbeitet beim Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs, einer juristischen Plattform, die sich mit diesen Fragestellungen auseinandersetzt. Sie erklärte im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Die Zweidrittelmehrheit ist bei besonders wichtigen staatlichen Entscheidungen vorgesehen. Sie verpflichtet die Fraktionen dazu, einen breiten Konsens zu finden. Sie ist ein Schutzmechanismus der Demokratie auch für die Opposition. Das heißt: Eine temporäre Mehrheit soll nicht einfach durchregieren und Fundamentales verändern können.“
Mehr aus dem Bereich Deutschland
Schutzmechanismus als Problem
Dieser Schutzmechanismus könnte ab der nächsten Legislatur allerdings zum Problem werden: „Wenn eine Gruppe im Bundestag mehr als ein Drittel der Stimmen auf sich vereinigt, kann sie alles blockieren, was eine Zweidrittelmehrheit bräuchte. Das kann auch Schaden anrichten“, sagte Brandau. „In Thüringen und Brandenburg hat die AfD ja schon angekündigt, das als Druckmittel zu verwenden.“
In Brandenburg und Thüringen verfügt die AfD nach den Landtagswahlen in diesem Jahr über die Sperrminorität. Das bedeutet: In beiden Ländern können bestimmte Gesetze nicht mehr verabschiedet werden. So sind keine Verfassungsänderungen mehr möglich.
Ein weiteres Problem: Landesverfassungsrichter müssen mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Es kann also sein, dass diese Posten nicht ohne AfD-Zustimmung nachbesetzt werden. Geht es nun um Verfassungsänderungen oder neue Richter, könnte die AfD also Einfluss auf das Regierungshandeln nehmen.
Das Grundgesetz sehe entsprechende Mehrheiten seltener vor als Landesverfassungen, sagte Brandau. „Auf Bundesebene sind das vor allem die Grundgesetzänderung und der Verteidigungsfall.“
Auch im normalen Gesetzgebungsprozess spielt die Zweidrittelmehrheit allerdings eine Rolle: „Wenn der Bundesrat gegen ein Gesetz des Bundestages mit zwei Dritteln seiner Stimmen Einspruch erhebt, kann der Bundestag dies wiederum mit einfacher Zweidrittelmehrheit überstimmen“, sagte Brandau.
Und auch im Fall der Verfassungsrichter könnte eine Sperrminorität zum Problem werden. Diese werden mit zwei Dritteln der Mitglieder von Bundestag oder Bundesrat gewählt. „Eine Fraktion, die eine Sperrminorität innehat, könnte also in Zukunft verhindern, dass es zur erfolgreichen Wahl von Richterpersonen im Bundesverfassungsgericht kommt“, sagte Brandau.
„Um dies zu verhindern und das Gericht insgesamt resilienter zu machen, steht momentan ein Gesetzesvorhaben im Raum, welches für den Fall einer solchen Blockade einen Ersatzwahlmechanismus vorsieht. Sollte der Bundestag langfristig blockiert sein und die notwendige Zweidrittelmehrheit zur Wahl der Richter nicht zustande kommen, würde dann der Bundesrat als Wahlgremium einspringen und andersrum. Das wäre sehr sinnvoll“, erklärte die Verfassungsblog-Expertin.
Dazu müsste – wie im Fall des Sondervermögens – das Grundgesetz geändert werden. Daher, so Brandau, wäre es sinnvoll, dies noch vor den Neuwahlen zu beschließen. Auch Berufsverbände, darunter der Deutsche Richterbund, der Deutsche Anwaltverein und die Bundesrechtsanwaltskammer werben dafür.
Von Stefanie Witte