Wagenknechts hartes Spiel – und in Brandenburg steht der erste Verlierer schon fest: Kanzler Scholz

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Die Waffen- und Friedensfrage überlagert alles: Sahra Wagenknechts Arm reicht bis weit in die Verhandlungen ihrer Landesverbände. © Sebastian Gollnow/dpa

Es knirscht und knarzt: In drei Ostländern versuchen Politiker, mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht eine Koalition zu schmieden – es läuft höchst unterschiedlich.

Friedrich Merz senkt den Kopf, schaut in die Kamera und spricht etwas für ihn eigentlich Undenkbares aus. „Wenn Frau Wagenknecht das anders haben will“, sagt der CDU-Chef im ARD-Interview, „dann gibt es eine rechnerische Mehrheit von BSW und AfD im Thüringer Landtag.“ Dann könne sie „gern den Schwenk machen und mit Herrn Höcke eine Regierung bilden, dafür hat sie eine Mehrheit“. Was Merz da sagt, ist mathematisch korrekt – und politisch gewagt. Die CDU, heißt das, lässt sich nicht (mehr) von Wagenknechts BSW unter Druck setzen.

Ein Bündnis der extremen Ränder in einem Bundesland würde die Republik wohl mehr als nur erschrecken. Doch die Sondierungen für eine Koalition jenseits der AfD sind schwer belastet, aktuell gestoppt. In Thüringen müssten CDU, SPD und BSW zusammenfinden, um zumindest auf exakt die Hälfte der Stimmen im Landtag zu kommen. In der Landespolitik gibt es Annäherung. Wagenknecht beharrt aber auf bundespolitischen Forderungen, die symbolisch in eine Präambel eines Koalitionsvertrags einfließen müssten: Friedensverhandlungen für die Ukraine, Nein zur Stationierung von US-Raketen in Deutschland.

Koalitionsgespräche: Wagenknecht könnte Brandenburg als Vorbild sehen

Als Vorbild könnte Wagenknecht Brandenburg sehen, wo man unmittelbar vor Koalitionsverhandlungen steht. Ausgerechnet in dem Bundesland, in dem auch Olaf Scholz seinen Wahlkreis hat, einigte sich SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke mit dem BSW auf einen Passus, der dem Kanzler nicht gefallen dürfte. Zunächst heißt es noch harmlos, man wolle eine diplomatische Lösung „mit dem Ziel von Waffenstillstand und dauerhaftem Frieden“. Dann wird es heikler: „Wir sehen vor diesem Hintergrund die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch.“ Die SPD dürfte für sich in Anspruch nehmen, das Wort „kritisch“ hineinverhandelt zu haben – anstelle einer puren Ablehnung der Stationierung. Doch für die Bundesregierung ist ein solcher Passus schwierig, der Kanzler selbst hat die Stationierung durchgesetzt. Mit dem Sondierungspapier „wird deutlich, dass die SPD Brandenburg bereit ist, sich von ihren außenpolitischen Positionen zu verabschieden, nur um sich für Sahra Wagenknecht hübsch zu machen“, schimpft Brandenburgs CDU.

Politikforscher zeigt sich beim BSW skeptisch

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wird nach Einschätzung des Politikforschers Jan Philipp Thomeczek eher nicht in allen drei Ländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen mitregieren. „In mindestens einem Bundesland wird es klappen, in allen dreien eher nicht“, sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Potsdam. Er sehe dafür vor allem zwei Faktoren: die politische Ausgangslage in den Ländern und die unterschiedlichen BSW-Landesspitzen.

Der BSW-Experte sieht einen Vorteil für die Regierungsbildung in Brandenburg. „In Brandenburg braucht es nur zwei Partner – wie wir aus der Forschung wissen, geht die Regierungsbildung schneller, je weniger potenzielle Koalitionspartner es gibt“, sagte Thomeczek. In Thüringen hätte die sogenannte Brombeer-Koalition aus CDU, SPD und BSW keine Mehrheit und brauchte gegebenenfalls noch die Linke, die aber auch nicht alles „abnicken“ werde.

Wagenknecht sitzt bei keiner der Verhandlungen am Tisch. Aber überall stimmen sich die Parteifreunde eng mit ihr ab. Und seit Tagen steht die Frage im Raum: Will die mächtige Bundeschefin überhaupt, dass ihre Partei in den Ländern mitregiert? Schließlich könnte das die Strategie für den Bundestagswahlkampf stören. Im „Stern“ kokettiert sie sogar mit einer Kanzlerkandidatur. „Es entsteht ein gewisser Druck, wenn selbst die Grünen mit aktuell zehn Prozent einen Kanzlerkandidaten küren.“ Während sie ein Loblied auf den ehemaligen CDU-Kanzler Helmut Kohl singt, geht sie mit dessen Nachfolger als CDU-Chef gnadenlos ins Gericht. „Eine Koalition mit Leuten wie Friedrich Merz, die der Atommacht Russland mal eben den Krieg erklären wollen, ist ausgeschlossen.“

Sondierungen in Sachsen: In der Konstellation liegt enormer Sprengstoff

Immerhin: In Sachsen gehen die Gespräche seit dem Vormittag weiter. Dort hatte die Mehrheit der BSW-Abgeordneten einem AfD-Antrag auf Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses zugestimmt. In der SPD sorgte das für gewaltige Aufregung. Auch hier gibt es nun eine gemeinsame Erklärung: Man habe „Missverständnisse im Umgang miteinander angesprochen und ausgeräumt“.

Allerdings liegt in der Konstellation noch enormer Sprengstoff. Im zweiten Wahlgang einer Ministerpräsidentenwahl braucht es in Sachsen keine absolute Mehrheit mehr, nur mehr Ja- als Nein-Stimmen. Denkbar ist, dass also CDU-Regierungschef Michael Kretschmer auch ohne Koalition wiedergewählt werden könnte, falls sich die AfD enthält. CDU-Ministerpräsident von AfD-Gnaden – auch das wäre ein bundesweites Beben.

Am kniffligsten bleibt es in Thüringen. Dort einigt man sich gestern Nachmittag auf einen anderen Passus zum Thema Waffen: Man sei unterschiedlicher Meinung, heißt es lapidar. Die Parteien eine aber das Ziel, eine diplomatische Lösung zu finden. Auf der Basis will man weiterreden, Wagenknecht aber zeigt sich umgehend unzufrieden. Noch am Abend murrt sie im „Spiegel“: Die Präambel bleibe „leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück“. Sich nicht daran orientiert zu haben, sei ein „Fehler“.

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