Wer den Ukraine-Friedensplan verteufelt, sollte die "Stachelschwein"-These kennen

Kapitulation - wirklich? Seit Tagen gibt es kaum ein anderes „Framing“ des Ukraine-„Friedensplans“ von Donald Trump. Entsetzen, Erschrecken – so geht es nicht. Das ist das Echo aus Europas Hauptstädten, aus Brüssel, aus Berlin.

Die neuesten europäischen Durchhalteparolen kommen von Kaja Kallas, der Außenkommissarin, die sich an diesem Montag mit den Verteidigungsministern der Mitgliedsländer traf. „Es ist klar, dass Russland keinen Frieden will. Und deshalb müssen wir die Ukraine so stark wie möglich machen.“

Stark heißt: militärisch. Kallas, eine „Falkin“, hängt an der These, die inzwischen wirkt wie aus der Zeit gefallen: Dass man die Russen, den Aggressor, in der Ukraine militärisch stoppen, ja zurückwerfen könne. Allein – die Wirklichkeit ist nicht so. Und mit der These von der verordneten Kapitulation – einer Art „Dolchstoßlegende“ – ist es auch nicht so einfach, wie es klingt.

Die Europäer stehen "am Rande"

Die Europäer sind an den Verhandlungen nicht beteiligt. Nicht mit Menschen, nicht mit Konzepten. Sie haben nämlich keine. Man müsse sich nicht wundern, sagt der langjährige SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner: „Wenn man keine eigenen Vorschläge macht darf man sich nicht wundern, wenn die Initiative aus den USA kommt.“ Die Europäer stünden „am Rande“.

Dieses Urteil trifft nicht nur Stegner. Auch Armin Laschet, ein Europäer alter Kohl-Schule, hat sich schon so geäußert. Ebenso wie aktuell die renommierte Sicherheitsexpertin Claudia Major: „Die Europäer sind nicht gewillt, Mittel auf den Tisch zu legen (wirtschaftlich) oder haben die Mittel nicht (militärisch).“ Es ist ein Europa-Verriss in einem einzigen Satz.

Die Europäer „blasen die Backen auf“, schreibt der Chefredakteur der "Neuen Zürcher Zeitung", Ralf Gujer. Womöglich ist es mehr als ein Backenaufblasen. Im Klartext: Hat Europa überhaupt Interesse an einem – schnellen – Verhandlungsfrieden in der Ukraine?

So lange die Russen in der Ukraine "beschäftigt" sind ...

Denn: Was steckt hinter dem vielgesagten Satz, die Sicherheit Europas werde in der Ukraine verteidigt? Steckt nicht auch das – zynische – Kalkül dahinter, dass, solange die Russen in der Ukraine „beschäftigt“ sind, sie keine Kraft haben, die Nato anzugreifen? Was bedeutet: Europa ist mindestens einmal so lange vor den aggressiven Russen sicher, wie die mit ihren Soldaten und ihren Waffen in der Ukraine „gebunden“ sind.

Major, die bestens vernetzt ist in der Politik, drückt es - im Ronzheimer-Podcast – so aus: Die Ukraine verschaffe „den westlichen Staaten Zeit“. Etwa bis 2029 – so lange braucht nach Einschätzung europäischer – auch deutscher – Militärs auch eine russische Armee, um nach einem Frieden in der Ukraine wieder einsatzbereit zu sein.

Major ist eine kühle Analytikerin. Ihre Schlussfolgerung ist geradezu mathematisch präzise: „Je länger der Ukraine-Krieg geht, desto länger haben die Europäer Zeit, ihre Fähigkeiten aufzubauen.“ Was bedeutet:

Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, umso mehr sind die Europäer selbst nicht mehr nur „bedingt abwehrbereit“, sondern dann, in einigen Jahren, mit einem Wort von Boris Pistorius: „kriegstüchtig“.

In Bezug auf die Ukraine gibt es die „Stachelschwein“-These: Nach einem Frieden müsse die Ukraine so aufgerüstet werden, dass die Russen einen Angriff nicht mehr riskieren. Weil die Ukraine ein – uneinnehmbares – „Stachelschwein“ sei. Bis es so weit ist, werden die Europäer zum Stachelschwein.

Zu den treusten Ukraine-Freunden zählt Roderich Kiesewetter. Auch der CDU-Mann hält an der Erzählung von einem möglichen Erfolg militärischer Stärke gegen die Russen fest – und am „Framing“ von der „Kapitulation“ der Ukraine in Trumps Plan.

Die Idee, Putin an den Verhandlungstisch zu bomben, hat nicht funktioniert

„Ohne eine freie Ukraine gibt es kein freies Europa. Deshalb darf es keine Kapitulation geben – wir brauchen einen Siegesplan.“ Es gibt aber keinen Siegesplan. Vielmehr setzt sich eine andere Sicht allmählich durch: Dass ein Frieden, selbst ein verlustreicher, im Interesse der Ukraine liege.

„Es ist Zeit für Frieden.“ Das konstatieren nicht Alice Weidel oder Sahra Wagenknecht. Sondern es ist die Überschrift, die der erfahrene "NZZ"-Chefredakteur Gujer über einen Aufmacher seiner hochseriösen Schweizer Zeitung gesetzt hat.

Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin. Uncredited/Russian Presidential Press Service/AP/dpa

Und während in deutschen Medien die These dominiert, es könne doch nicht sein, dass Putin seine Ziele erreiche, auch noch kampflos (wäre es besser, er erreichte sie blutig?), formuliert Gujer eine alternative These: „Die Hauptfrage ist vielmehr, ob Kiew durch einen noch höheren Blutzoll das Schicksal zu seinen Gunsten zu wenden vermag.“

Anders gefragt: Was wird besser, wenn die Ukraine länger kämpft? Zumal es schon so ist, wie Carlo Masala es illusionslos sagt: „Es gibt keine Bereitschaft, die Ukraine in der Ukraine zu verteidigen.“

Deshalb ist auch die Rede von den „Sicherheitsgarantien“ eher fahrlässig. Denn: Eine Garantie für die Sicherheit, sprich Unversehrtheit einer Nachkriegs-Ukraine gibt es nicht. Sie ist auch nicht in Sicht. Denn: Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine wird es nicht geben. Die hat Donald Trump vom Tisch genommen – inklusive einer früheren Zusage der Nato-Mitglieder. Sie sei, sagt Claudia Major, „erledigt“. Was, wenn man ehrlich sei, auch für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine gelte.

Selenskji ist durch die Korruptionsaffäre geschwächt

Dafür wiederum spricht ein Satz, den Ralf Stegner an diesem Montag im Deutschlandfunk gesagt hat. Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine stehe an, „wenn die ihren Korruptionsskandal hoffentlich bald überwunden haben“.

Dieser Korruptionsskandal um die Energieversorgung der Ukraine, ausgerechnet in Kriegszeiten, hat inzwischen zwei Minister den Kopf gekostet – und die rechte Hand des Präsidenten Selenskyj, Jermak.

Der Kriegspräsident der Ukraine ist politisch erheblich geschwächt. Die Antikorruptionsbehörde des Landes, das NABU (Nationales Antikorruptionsbüro der Ukraine), spricht offen von einem „kriminellen Netzwerk auf höchster Ebene“. Unausgesprochen steht die Frage im Raum: Was hat Selenskyj gewusst?

Stegner bringt schon ins Spiel, die deutschen Hilfen so lange auf Eis zu legen, bis dies alles aufgeklärt sei. Noch einmal zurück an den Anfang dieses Textes. Bedeutet der Trump-Plan eine Kapitulation der Ukraine?

Es ist das, was Putin verhindern wollte

Die Ukraine bliebe souverän. Sie könnte sich – falls es gut läuft – in die Europäische Union integrieren und damit in den Westen. Eine freie Ukraine mit der Chance, Wohlstand aufzubauen, wie noch jedes Land, das der Europäischen Union beigetreten ist. Das könnte die Vision sein.

Beides ist jedenfalls das, was Wladimir Putin um jeden Preis verhindern wollte. Apropos Preis: Über den Preis für Frieden verhandeln erst Amerikaner und Russen, danach dürfen die Ukrainer teilnehmen. Europa ist nur dann dabei, wenn Donald Trump, von ihnen angerufen, auch den Hörer abnimmt (wie zuletzt bei Friedrich Merz).

Es gibt jetzt schon eine neue Ordnung. Eine aus burschikoser Macht und lukrativen Deals. Eine, bei der es auch darum geht, wer dem mächtigsten Mann der Welt, Trump, den besten Preis zahlt. Zu diesem Zweck verhandelt sein Schwiegersohn mit – Jared Kushner.

Trump sucht den Frieden mit Russland

Europa? Weitgehend machtlos. Die Vereinten Nationen? Völlig machtlos. Ordnung des Rechts? Eine Illusion. Solange sich die Europäer - stark nur theoretisch, uneins in entscheidenden Fragen - nicht „liefern“ wird sich das auch nicht ändern.

Trump sucht den Frieden mit Russland. Und das Geschäft. Frieden und Geschäft – das war auch einmal ein europäisches Erfolgsmodell. Entstanden und von deutschen Politikern wie Willy Brandt und davor von Wirtschaftsführern wie Bertold Beitz entwickelt – in den übelsten Zeiten der Konfrontation zwischen dem Westen und aggressiven Russen (DDR-Aufstand, Ungarn-Aufstand, Kuba-Krise usw.).

Provozierende Schlussfrage: Entspannungspolitik über alle Gräben hinweg – ist das die nächste deutsche Erfindung, die nach Amerika auswandert?