Top-Experte Münkler - „Es wäre eine politische Katastrophe, wenn Selenskyj zurücktreten müsste“
Zwei Tage ist der beispiellose Eklat im Weißen Haus zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj jetzt her. Die Lage: verfahren. Trump pocht auf einer öffentlichen Entschuldigung, Selenskyj lehnt eine solche bisher ab.
Das weitere Vorgehen: unklar. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der sich schwerpunktmäßig mit politischer Theorie, Kriegsgeschichte, aber auch Themen wie Risiko und Sicherheit beschäftigt, glaubt, dass die USA den Druck auf die Ukraine erhöhen werden.
Etwa durch die Abschaltung von Starlink, einem von Elon Musks Unternehmen SpaceX betriebenen Satellitensystem. Das ukrainische Militär setzt es unter anderem zur Steuerung von Drohnen ein.
Abkommen durch Eklat nicht unterzeichnet
Schon vor dem Aufeinandertreffen beider Staatschefs hatten Insider der Nachrichtenagentur Reuters von Drohungen der US-Regierung berichtet, Starlink abzustellen, je nachdem, ob die Ukraine den Forderungen der USA nach Zugeständnissen beim Abbau von Mineralstoffen nachkommt.
Hintergrund des Treffens von Trump und Selenskyj war nämlich die Unterzeichnung eines Abkommens. Der Deal sah vor, dass die USA und die Ukraine zusammen Rohstoffe auf ukrainischem Gebiet fördern. Die Erlöse sollten in einen gemeinsamen Fonds eingezahlt werden.
Zur Unterzeichnung des Papiers kam es durch den Eklat im Oval Office nicht. „Ohne Starlink ist die ukrainische Armee vorerst kommunikationsunfähig. Das heißt, die USA kehren ihre ganze imperiale Macht heraus, um an ihr Ziel zu kommen: den Zugriff auf in der Ukraine zu fördernde Mineralien und seltene Erden“, sagt Münkler zu FOCUS online.
„Es wäre eine politische Katastrophe, wenn Selenskyj zurücktreten müsste“
Eine andere Frage ist, wie es nach dem Vorfall im Weißen Haus mit dem ukrainischen Präsidenten weitergeht. Längst wird diskutiert, ob der Streit eine bewusste Inszenierung der Trump-Administration war - mit dem Ziel, Selenskyj vorzuführen. Die ersten Republikaner haben sich bereits für seinen Rücktritt ausgesprochen.
Lindsey Graham etwa, Senator aus South Carolina und ein Vertrauter des US-Präsidenten, sagte am Morgen nach dem Zerwürfnis: „Ich weiß nicht, ob wir jemals wieder mit Selenskyj Geschäfte machen können.“ Entweder müsse das ukrainische Staatsoberhaupt zurücktreten „und jemanden schicken, mit dem wir Geschäfte machen können, oder er muss sich ändern“.
Für Münkler käme das einem Desaster gleich. „Es wäre eine politische Katastrophe, wenn Selenskyj jetzt zurücktreten müsste. Denn bei wie auch immer gearteten Neuwahlen in der Ukraine würden die gegenwärtigen Frontlinien zu politischen Grenzziehungen“, sagt er.
Und fügt hinzu: „Womöglich war das aber das Ziel der US-amerikanischen Inszenierung. Es war jedenfalls eine Falle, die dem ukrainischen Präsidenten gestellt worden ist.“ Der Politikwissenschaftler glaubt auch, dass der Ukraine-Krieg bald vorbei sein könnte.
„Das kann ganz schnell gehen, wenn die ukrainische Armee in Anbetracht der jetzt entstandenen Lage zusammenbricht und den Kampf aufgibt. Dann, so kann man sagen, hat die Trump-Administration Putin zum Sieg verholfen“, meint Münkler.
„Transatlantischer Westen ist geopolitisches Auslaufmodell“
Das Wortgefecht im im Weißen Haus ist letztlich auch für Europa ein Schlag ins Gesicht. Die Nato wackelt und es steht die Frage im Raum, wie der Kontinent seine eigene Sicherheit garantieren kann.
„Der Eklat im Oval Office zeigt uns, was wir zu erwarten haben, wenn wir nicht nach Trumps Pfeife tanzen - oder der von J.D. Vance. Das heißt, Europa muss sich beeilen, alle Fähigkeiten selbst zu entwickeln, die es braucht, um von den USA unabhängig zu werden“, meint Münkler.
„Das wird Zeit brauchen, aber noch ist Putin ja mit der Ukraine beschäftigt. Der transatlantische Westen ist jedenfalls ein geopolitisches Auslaufmodell.“ Das nicht zu erkennen, sei „Traumtänzerei“.
Mehr als ein Dutzend westliche Staats- und Regierungschefs sowie die Spitzen von EU und Nato beraten heute jedenfalls in London über die Lage im Ukraine-Krieg und den Vorstoß der USA für Friedensverhandlungen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz reist zu dem Treffen in die britische Hauptstadt, Selenskyj traf bereits am Vortag in London ein.
Gespräche in London über Ukraine-Krieg
Laut Angaben der britischen Regierung sollen sich die Gespräche unter anderem darauf fokussieren, wie die Position der Ukraine gestärkt werden kann, etwa durch fortgesetzte Waffenlieferungen und erhöhten wirtschaftlichen Druck auf Russland.
Zudem solle es um die nächsten Schritte bei der Planung für starke Sicherheitsgarantien der Europäer gehen und um die Fortsetzung der Diskussion mit der neuen US-Regierung, die einen drastischen Kurswechsel in der Ukraine-Politik der Vereinigten Staaten vollzogen hat.
Großbritannien und Frankreich haben ihre Bereitschaft signalisiert, eigene Truppen zur Friedenssicherung in der Ukraine abzustellen. Sie pochen allerdings auf eine Absicherung durch die USA - zu einer entsprechenden Zusage ließ sich Trump bisher jedoch nicht bewegen.