Bahnexperte zur Zukunft von DB-Chef Lutz: „Argumente für Ablösung werden stärker“
Verkehrsexperte Prof. Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin über Zerschlagungspläne für den DB-Konzern, Vorschriften-Wust und das „Narrativ“, dass allein die Sanierung von Hochleistungskorridoren die Pünktlichkeit verbessern wird. Die Zukunft des DB-Chefs hält ihr für wacklig. „Die Argumente für eine Ablösung werden stärker.“
Die CSU fordert offen die Zerschlagung der Deutschen Bahn, die Grünen liebäugeln mit einer Loslösung der DB-Tochter InfraGo vom Konzern. Was wäre damit gewonnen?
Die Zerschlagung der Deutschen Bahn ist ein Kampfbegriff von SPD und der Gewerkschaft EVG, er klingt nach Zerstörung und Kaputtmachen. Aber viele Länder haben das Modell gewählt und trennen die Transportgesellschaft von der Infrastruktur. Das ist von der EU eigentlich auch so vorgesehen. Nur haben es das DB-Management und ihre Verbündeten verhindert. Es gibt eine Menge von Argumenten für diese Trennung und nicht nur die Union, die Grünen und die FDP sind dafür. Sondern auch das Bundeskartellamt, der Rechnungshof, die Monopolkommission und auch die Mehrzahl der Akademiker, die sich damit beschäftigen.
Sie auch?
Ja, das erste Gutachten von mir dazu ist 23 Jahre alt. Die Frage ist allerdings: Muss es jetzt sein? Da bin ich mir nicht sicher. Aber grundsätzlich ist es der richtige Weg.
Warum?
So wie die DB heute organisiert ist, bindet sie zwei sehr unterschiedliche Geschäfte zusammen. Es ist ungefähr so, als würden die Autobahnen in Deutschland Volkswagen gehören und VW könnte bestimmen, wer auf ihnen fährt.
Netter Vergleich. Aber die Bundesnetzagentur soll doch garantieren, dass alle zu gleichen Bedingungen auf den Gleisen fahren.
Die Gefahr der Bevorteilung von DB Fernverkehr, DB Regio und DB Cargo besteht latent. Allein die Möglichkeit, dass Wettbewerber diskriminiert werden könnten, kann dazu führen, dass manche Investoren davor zurückschrecken, sich überhaupt zu engagieren. Auch die Finanzflüsse sind verzahnt. Die Infrastruktur unterliegt einer Garantie des Bundes, sie kann nicht insolvent gehen und erhält deshalb günstige Kredite. Davon wiederum profitieren die anderen DB-Töchter. Umgekehrt sollte auch gefragt werden: Warum sollte es so bleiben, wie es ist? Wir erleben seit 20 Jahren den Zusammenbruch der Infrastruktur, es funktioniert im Kern nicht – trotzdem stellen sich SPD und EVG hin und sagen: Hauptsache keine Reform.
Erwarten Sie sich auch mehr Wettbewerb im Fernverkehr?
Kurzfristig eher nicht. Wir haben eine überlastete Infrastruktur, es fehlen also Trassen. Es geht vielleicht noch mehr von Chemnitz nach Berlin–Schönefeld. Aber nicht von München nach Frankfurt.
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Die Westbahn will von München nach Stuttgart und bekam nur eine Trasse um die Mittagszeit. Was spricht dagegen, ihr die im Berufsverkehr zu geben und sie der DB wegzunehmen?
Das ist für die Fahrgäste nicht so unproblematisch und berührt die Marktordnung im Fernverkehr. Da muss man sehen, was man anrichtet. Ein Beispiel ist die Strecke Berlin–Hamburg über den ICE-Halt Wittenberge. Zuletzt wurde entschieden, dass eine der Trassen Flixtrain erhält. Erstens kann der Fahrgast, der regelmäßig pendelt, mit seiner DB-Monatskarte da nicht einsteigen – Flixtrain, das ja eine Art Ryanair auf Schienen ist, erkennt die DB-Fahrkarten nicht an. Zweitens hat Flixtrain in einem Fall die Trasse dann wieder abbestellt, ohne dass die DB schnell genug reagieren konnte. Dann fehlt einfach ein Zug im Takt. Auch schlecht. Insgesamt ist derzeit also mehr Wettbewerb im Fernverkehr für mich Priorität drei.
Was hat Priorität eins?
Es brennt lichterloh bei der Finanzierung und dem Ausbau der Infrastruktur. Und der Güterverkehr mit seinem verlustreichen Einzelwagenverkehr muss reformiert werden.
Sie erwähnten den Vorschriften-Wust bei der Bahn. Ein Problem?
Ja. Beispiel Oberleitung. Früher konnte man, nach Abschalten und Erdung der Leitung, mit einer Gleisleiter schnell Instandhaltungsarbeiten durchführen. Dann hat das Eisenbahnbundesamt verfügt, dass nur noch hydraulische Hubbühnen auf Zwei-Wege-Fahrzeugen, also einem Unimog mit zusätzlichen Schienenrädern, erlaubt sind. Der muss erst von einem Eingleisepunkt, in der Regel ein Bahnübergang, zur Reparaturstelle fahren. Sie müssen die Strecke also länger sperren, brauchen teurere Ausrüstung und einen zusätzlichen Lokführer. Anderes Beispiel: Beim Oberleitungsbau ist jedes Mal eine Planfeststellung nötig. Warum? Wenn Sie mit Betrieblern reden, sprudelt es nur so raus. Die Regeln sind viel strenger als in der Schweiz. Und das Eisenbahnbundesamt setzt sie viel strenger um.
Hofreiter hätte Mut und Standing, das Regelwerk zu entschlacken
Also die Bahn erstickt an Bürokratie. Auch das noch. Wie könnte man da ran?
Natürlich haben die Verantwortlichen alle Angst vor einer Lockerung der Regeln. Wenn irgendwas passiert, heißt es dann. Da ist also Mut gefragt und Statur. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter hat das sehr deutlich formuliert. Ihm würde ich den Mut und das Standing zutrauen, das Regelwerk zu entschlacken. Vielleicht könnte auch die DB InfraGo mal sammeln und dann an die Öffentlichkeit gehen. Es muss Druck aufgebaut werden, damit sich vielleicht mal was ändert. Ich bin bei Entbürokratisierung-Kommissionen immer skeptisch, das sind doch selber bürokratische Monster.

Bis 2027 sollen 80 statt heute 60 Prozent der ICE wieder pünktlich fahren. Glauben Sie dem Pünktlichkeitsversprechen?
Möglich. Die Bahn schiebt im Moment alles auf die Sanierung. Sind alle Strecken saniert, vor allem die berühmten 41 Hochleistungskorridore, wird es auch mit der Pünktlichkeit klappen. Das ist im Moment das beherrschende Narrativ. Es stimmt schon, die Sanierung ist notwendig. Aber Hauptgründe für Verspätungen sind Technikprobleme an Zügen, Eingriffe von außen und betriebliche Überlastung. Die Bahn begreift gerade, dass sie die Knoten entlasten muss.
Was meinen Sie?
Die Länder bestellen seit Jahren zusätzliche Regionalzüge. Das überlastet die ohnehin schlechte Infrastruktur rund um die Hauptbahnhöfe immer mehr. Zudem benötigen die Züge in den Bahnhöfen immer längere Haltezeiten. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Beispiel: Die Schiebetritte an den Zügen benötigen für das Ein- und Ausfahren einige Sekunden – das summiert sich. Es hat sich auch die Disziplin der Nutzer geändert. Manche halten die Türen auf, damit die Kumpels noch einsteigen können oder – kein Scherz – noch die vorhin bestellte Pizza to go an den ICE geliefert werden oder man zu Ende rauchen kann. Die Bahn – so meine Vorhersage – wird reagieren, indem sie Züge von Regio, aber auch vom Fernverkehr rausnimmt. Die Auslastung sinkt ohnehin.
Argumente zur Ablösung von DB-Chef werden stärker
Wirklich?
Nach allem, was man hört, gibt es einen Einbruch bei zahlungsbereiten Geschäftskunden. Die Rabattwelle im Fernverkehr hat ja ihre Gründe, wenigstens sollen Gelegenheitsfahrer gewonnen werden.
DB-Chef Lutz soll gehen, fordert die CSU.
Ich glaube, die Argumente für eine Ablösung werden stärker. Das Vertrauen unter den DB-Führungskräften schwindet. Sie glauben nicht mehr an das Management. Lutz ist wohl für die Fehlsteuerung im Management verantwortlich, hat einen aufgeblähten Wasserkopf bei der Verwaltung geschaffen und verteidigt das verbissen. Die Verantwortung wurde immer mehr zentralisiert und parzelliert. Für die ICE zum Beispiel gibt es produktionstechnische Zentren: Einer ist für die Wartung, einer für die Toiletten, einer für die Bestückung des Speisewagens zuständig – und im Zweifel ist keiner schuld an Pannen. Es gibt also gute Gründe für einen Managementwechsel. Das Schlimme aber ist: Sie finden niemanden, der sich das antun würde. Der Job ist vom Schwierigkeitsgrad mit dem eines Dax-Konzernchefs zu vergleichen, aber viel geringer dotiert – dafür wird man aber auch noch öffentlich diffamiert.