Irre Wendung im Wirecard-Prozess: War Ex-Vorstand Marsalek ein russischer Spion?

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Der Wirecard-Skandal wird immer abenteuerlicher. Der flüchtige Ex-Vorstand Jan Marsalek soll in Dubai für russische Söldner arbeiten, schreibt ein international hoch angesehenes Magazin.

München – Im Wirecard-Betrugsprozess prallen zwei Welten aufeinander. In der einen war der Hauptangeklagte und Ex-Konzernchef Markus Braun der Kopf einer Betrügerbande, die Milliardengeschäfte frei erfunden und Banken wie Anleger schwer geschädigt hat. In der anderen Welt, die Brauns Verteidigung zeichnet, waren andere die Täter, Braun hat vom Betrug nichts gewusst und ist selbst Opfer. Drahtzieher waren in dieser Variante, die bislang recht unwahrscheinlich klingt, der mitangeklagte Kronzeuge Oliver Bellenhaus und der flüchtige Ex-Vorstand Jan Marsalek.

Über Letzteren hat das angesehene Wall Street Journal (WSJ) nun Details veröffentlicht, die Wasser auf die Mühlen von Brauns Verteidigung sein könnten. Danach hatten russische Geheimdienste ihre Finger im Spiel. Falls die am Betrug bei Wirecard beteiligt waren, lässt es sich wohl ungleich leichter behaupten, Braun sei selbst getäuscht worden.

Putin-Statue auf dem Schreibtisch: Spionageverdacht gegen Jan Marsalek

Was das WSJ unter Berufung auf westliche Geheimdienste und Sicherheitsbeamte nun enthüllt hat, liest sich endgültig wie ein hochkarätiger Spionageroman. Demnach hatte der heute 43-jährige Marsalek nicht nur eine Büste des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf seinem Wirecard-Schreibtisch stehen. Der Österreicher habe bis zum Wirecard-Kollaps 2020 fast ein Jahrzehnt für Russland spioniert, geholfen, russische Agenten zu finanzieren, und ist auch heute noch aktiv. Er hält sich laut WSJ derzeit vor allem im arabischen Dubai auf und hilft dort, die Afrika-Geschäfte der russischen Söldnergruppe Wagner zu reorganisieren.

In Großbritannien habe der ehemalige Wirecard-Vorstand nach seiner Flucht mutmaßlich über Belarus nach Russland 2021 und 2022 ein aus Bulgaren bestehendes Spionagenetz aktiv geführt, das für Russland unliebsame Personen beschattet hat, um sie dann später entführen zu können. In seiner Zeit bei Wirecard habe Marsalek mitgeholfen, russische Spionageaktivitäten zu finanzieren.

Das Wirecard-Logo am ehemaligen Firmensitz in Aschheim bei München: Im Büro des Ex-Vorstandes Jan Marsalek soll eine Putin-Statue gestanden haben.
Das Wirecard-Logo am ehemaligen Firmensitz in Aschheim bei München: Im Büro des Ex-Vorstandes Jan Marsalek soll eine Putin-Statue gestanden haben. © Peter Kneffel / dpa

Letzteres könnte einen Anknüpfungspunkt für Brauns Verteidiger liefern. Die behaupten, dass im Fokus des Prozesses stehende Geschäfte nicht, wie von der Anklage behauptet, frei erfunden wurden, um Bilanzen zu schönen und so Kredite zu erschleichen. Das Geld sei vielmehr sehr wohl erwirtschaftet worden, aber über „Schattenstrukturen“ auf Konten geleitet worden, die Staatsanwälte bislang nicht in Augenschein genommen haben. Es gehe dabei um rund zwei Milliarden Euro.

Münchner Staatsanwälte sagen, diese Gelder hätten mit den Taten, um die es im Prozess geht, nichts zu tun, und rücken sie in die Nähe von Geldwäscheverdacht. Geldwäsche wiederum geht bisweilen Hand in Hand mit Finanzierung von Geheimdienstaktivitäten. Wie sie die jetzigen Enthüllungen des WSJ einordnen und ob sie prozessrelevant sein könnten, behält die Staatsanwaltschaft für sich. Sie will den Bericht nicht kommentieren.

Schwerer Vorwurf: Hat Marsalek deutsche Geheimdienstdaten verraten?

Etwas gesprächiger ist Brauns Hauptanwalt Alfred Dierlamm. Braun sei zu Wirecard-Zeiten nicht bekannt gewesen, dass Marsalek angeblich für Geheimdienste gearbeitet habe, und hätte auch keine Hinweise darauf, dass diese auf die Geschäfte von Wirecard Einfluss genommen haben oder sie von Marsalek mitfinanziert wurden.

Nicht auszuschließen sei aber ein Zusammenhang zwischen verdeckter Geheimdienstfinanzierung sowie von Geldern auf Konten von Schattengesellschaften, für die Brauns Verteidigung umfangreiche Beweisanträge gestellt hat. Als Argumentationshilfe sieht Brauns Verteidigerteam die Enthüllungen des WSJ also offenbar durchaus. „Dierlamm ist für jede Überraschung gut“, heißt es aus dem Kreis der Prozessbeteiligten mit Blick auf ein Ausschlachten des Spionageszenarios.

Auch den Generalbundesanwalt müsste der Bericht hellhörig machen. Denn darin wird behauptet, dass Marsalek der russischen Seite Details zu Geldtransaktionen von Agenten des Bundesnachrichtendienstes verraten hat. Der BND habe Finanzdienste von Wirecard genutzt. Stimmen die Vorwürfe, wäre das Spionage gegen die Bundesrepublik und ein Fall für den Generalbundesanwalt. Eine Anfrage, ob gegen Marsalek ermittelt wird, ließ dieser vorerst unbeantwortet. Einfacher machen die neuen und in manchen Details bislang unbekannten Enthüllungen auch den Münchner Wirecard-Prozess nicht. Mehr denn je schwebt der Schatten Marsaleks über ihm, was Aufklärung nicht erleichtert.

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