Arzt klärt auf - Welche Longevity-Tipps wirklich was bringen – und wann es gefährlich wird
Bei Longevity geht es ja auch darum, das biologische Alter zu senken. Welche Vorteile bringt solch eine Verjüngung mit sich?
Kleine-Gunk: Letztendlich unterscheiden wir zwischen chronologischem und biologischem Lebensalter. Chronologisch ist ja eindeutig: Gucken Sie in Ihren Personalausweis, da steht ein Geburtsdatum drin, dann können Sie Ihr chronologisches Alter errechnen. Biologisch kann man aber älter oder jünger sein.
Es hat schon große Vorteile, wenn man biologisch jünger ist, weil mit dem Altern das Risiko für Krankheiten und Tode steigt. Das heißt: Je mehr ich mich biologisch verjünge, umso mehr steigere ich meine gesunde Lebenserwartung. Das ist genau das, was wir in der Longevity-Medizin erreichen wollen.
Wir haben da auch den großen Vorteil, dass man das sogar relativ exakt messen kann. Die epigenetische Uhr („Horvaths Clock“) ist ein sehr genauer Marker für das biologische Lebensalter. Und das bringt natürlich auch diese ganze Medizin gut voran. Damit haben wir ein Messinstrument in der Hand, mit dem wir dann tatsächlich sehen können, ob wir intervenieren – sei es diätetisch als Medikamente oder Supplemente. Man kann vorher und nachher messen und sehen, ob die Intervention wirklich etwas gebracht hat oder nicht. Da trennt sich jetzt auch die Spreu vom Weizen in der Longevity-Medizin, was eine Wirkung hat oder was Marketing der Firmen ist.
Wie kann man denn zum Beispiel sein biologisches Alter testen? Kann ich dann einfach zu meinem Hausarzt gehen und sagen, ich wüsste jetzt gerne mal, wie alt ich biologisch gesehen bin?
Kleine-Gunk: Das bietet nicht jedes Labor standardmäßig an. Es gibt einige Firmen, die das im Internet offerieren, bei denen man das bestellen und sich nach Hause liefern kann. Dann schickt man es wieder zurück und kriegt nach zwei, drei Wochen sein Ergebnis.
Longevity-Star Bryan Johnson „betreibt Selbstverjüngung als Leistungssport“ - was wir uns von ihm abschauen können
Bryan Johnson ist im Bereich Longevity ja sehr prominent. Er soll sein biologisches Alter um bis zu 20 Jahre gesenkt haben, unter anderem durch Bluttransfusionen und Infrarotsauna. Was halten Sie von diesen Maßnahmen?
Kleine-Gunk: Er ist sicherlich der bekannteste Vertreter. Der macht Selbstverjüngung schon als Hochleistungssport und nichts anderes mehr. Was er unternimmt, ist sicherlich sinnvoll. Er ist auf dem Standard der jetzigen Longevity-Medizin und hat auch einen guten Beraterstab um sich, also Ärzte, Ernährungstherapeuten, Personal-Fitnesstrainer und so weiter.
Aber es ist schon ein radikales Programm. Er nimmt zwei Mahlzeiten am Tag zu sich, eine um 7 Uhr morgens, eine um 11 Uhr vormittags und das war es dann. Er isst immer das Gleiche, nimmt jeden Tag 120 Nahrungssupplemente, geht jeden Abend um 20.30 Uhr ins Bett, damit er genügend Schlaf bekommt. Also sowas muss man auch mögen. Mir wäre das ganze Programm dann doch ein bisschen zu asketisch. Es muss immer auch mal Leute geben, die zu weit gehen. Natürlich wird es zu einer Obsession, wenn ich jeden Tag nur an meiner Selbstverjüngung arbeite. Wenn er irgendwann im Supermarkt an der Fleischtheke steht und eine Scheibe Wurst geschenkt bekommt, dann hat er es übertrieben. (lacht)
Bryan Johnson lässt sich das Blut von seinem jugendlichen Sohn spritzen. Klingt etwas manisch.
Kleine-Gunk: Das sind sogenannte Young-Plasma-Therapien. Da gibt es spektakuläre Versuche an Mäusen, zum Beispiel wird eine alte Maus mit einer jungen Maus zusammengenäht. Dann kriegen sie einen gemeinsamen Blutkreislauf und die alte Maus verjüngt sich tatsächlich deutlich, weil sie permanent diesen Blutaustausch mit der jungen Maus hat. Wo dann viele alte Männer sagen: „Hab‘ ich doch immer schon gesagt: Mit einer jungen Maus an der Seite bleibst du jung.“ (lacht)
In Plasma sind offensichtlich Substanzen enthalten, die verjüngend wirken. Einige lassen sich das Plasma von jungen Blutspendern geben und verjüngen sich darüber selbst. In Amerika hat das die Ambrosia Klinik als erstes gemacht hat. Da war zum Beispiel einer der ersten Kunden Peter Thiel, ein Multi-Multimilliardär aus dem Silicon Valley, der auch so transhumanistisch geprägt ist. Er zahlte 8000 Euro für so eine Bluttransfusion, wahrscheinlich aus der Portokasse. Bryan Johnson kriegt‘s von seinem eigenen Sohn. Das sind schon Extremvarianten.
Da bekommt die Longevity hinterher in der Medizin so ein bisschen den Ruf, dass das eine Luxusmedizin für Reiche und Superreiche ist. Aber wie gesagt: Sie erreichen mehr durch einfache Maßnahmen wie ausgewogene Ernährung und reichlich Bewegung, als wenn Sie sich für teures Geld Young Plasma spritzen.
„Man kann auch mit deutlich weniger Aufwand eine Menge erreichen und abends einen Rotwein trinken“
Gibt es denn einen konkreten Punkt, ab wann Longevity gefährlich oder sogar eine Obsession wird?
Kleine-Gunk: Dass man das Alter senken will, ist nicht unbedingt gefährlich, aber natürlich kann man alles zur Sucht machen. Es gibt Essstörungen, es gibt Leute, die machen exzessiv Sport. Ob das bei Johnson jetzt schon eine Persönlichkeitsstörung oder Sucht ist, weiß ich nicht. Aber offensichtlich wirkt sich das, was er macht, körperlich nicht schlecht aus.
Aber man sollte natürlich ein bisschen vorsichtig sein. Da wird dann schnell ein Bild von Longevity verbreitet, was kaum ein Normalsterblicher erfüllen kann. Da kann ich auch mit deutlich weniger Aufwand trotzdem eine Menge erreichen und abends nochmal mit Freunden ausgehen und Rotwein trinken.
Einfach mal ein bisschen Spaß haben.
Kleine-Gunk: (lacht) Oder auch mal ein bisschen Spaß haben oder abends auch mal was essen und nicht mein letztes Essen vormittags um 11 zu mir nehmen.
„Mit Stammzellentherapien ist auch ein gewisses Krebsrisiko verbunden“
Maßnahmen wie Young Plasma funktionieren offenbar, aber was bringt Ihrer Meinung nach gar nichts oder ist auch totaler Blödsinn?
Kleine-Gunk: Sogenannte Stammzelltherapien werden häufig angeboten. Stammzellen sind prinzipiell die Zellen, aus denen immer neue Zellen und Gewebe nachwachsen. Das ist seit Jahrzehnten ein bisschen der Hoffnungsträger der Anti-Aging-Medizin. Es gibt in Asien, früher sogar in der Ukraine, Kliniken, die Stammzelltherapien anbieten. Da wäre ich sehr, sehr vorsichtig. Wenn es echte Stammzellen sind, dann ist damit auch ein gewisses Krebsrisiko verbunden. In den meisten Fällen waren es gar keine Stammzellen und man hat viel Geld ausgegeben dafür, dass das eigentlich gar keinen Effekt hat. Da wird schon auch eine ganze Menge Schmu gemacht.
Die Epigenetik ist etwas, was auch die Longevity-Medizin sehr voranbringt. Aber dann gibt es plötzlich an jeder Ecke und im Internet Epigenetik-Coaches, die häufig nicht mal ein Medizinstudium oder ähnliches haben. Die haben sich selbst ein bisschen was angelesen und machen dann ein Coaching in dieser Richtung. Die springen auf den Zug auf, was gerade so aktuell ist und schmücken sich mit irgendwelchen Begriffen, die die wenigsten richtig verstehen.
Welche aktuellen Forschungstrends gibt es in der Longevity? Was ist der letzte Schrei?
Kleine-Gunk: Bei Medikamenten war es lange Zeit das Metformin. Das wird jetzt ja auch noch viel genommen. Dazu gibt es aktuell die ersten, die Rapamycin nehmen. Das ist das zweite Medikament, von dem man weiß, dass es offensichtlich auch lebensverlängernde Wirkungen hat, die stärker sind als beim Metformin. Aber Rapamycin hat eben auch stärkere Nebenwirkungen. Das ist eigentlich ein Immunsuppressivum und wir wollen ja nicht unbedingt, dass wir unser Immunsystem runterregulieren. Einige sagen, dass das eher dosisabhängig ist und wenn man das nur einmal die Woche nimmt, dann hat es offensichtlich positive Effekte.
Häufig orientieren sich die Leute auch an Meinungsbildern und Influencern. Jetzt gibt es einen Longevity-Bestseller von Dr. Attia, der sagt, dass er Rapamycin nimmt. Schon stehen die Leute in meiner Praxis und wollen alle Rapamycin aufgeschrieben bekommen. Das ist natürlich auch rezeptpflichtig. Sie fallen dann erstmal rückwärts vom Hocker, wenn 100 Tabletten à 2 Milligramm 2000 Euro kosten. Das sind eben immer so Trends.
Dann gibt es eine Studie, die in Amerika gelaufen ist. Das ist die sogenannte TRIIM-Studie, bei der man an einer Gruppe einen Medikamentenmix testet. Dessen wesentliche Bestandteile sind Wachstumshormone, DHEA und Metformin. Vor und nach diesem Medikamentenmix hat die Gruppe diesen Epigenetik-Test gemacht – mit sehr, sehr guten Ergebnissen. Die Studie wird noch weiterentwickelt mit wissenschaftlich abgesicherten Maßnahmen.
„Das Mindset, wie man ans Altern rangeht, ist ganz wichtig“
Das Interview ist eigentlich vorbei, da ergibt sich im Nachgespräch noch ein wichtiger Aspekt: die innere Einstellung.
Kleine-Gunk: Das Mindset, die innere Einstellung, wie man ans Altern rangeht, ist ganz wichtig. Wenn ich jetzt wie das Kaninchen auf die Schlange auf den Alterungsprozess gucke und mir sage, dass alles immer schwieriger wird, dann geht das nach dem Motto der selbsterfüllenden Prophezeiung in Erfüllung. Es ist eine ganz andere Herangehensweise, wenn ich mit 65 Jahren in Rente gehe, noch fit bin und realisiere, dass ich statistisch gesehen noch zwei Jahrzehnte vor mir habe, die ich noch super nutzen kann.
Sie sagen, dass Humor auch dabei helfen kann, jung zu bleiben?
Kleine-Gunk: Ganz wichtig: Humor und Optimismus. Das kann auch mal für diejenigen gut sein, die sich immer nur fragen, welche Tabletten sie jetzt nehmen müssen oder Young Plasma kriegen sollen. Das ist einfach auch eine Sache der mentalen Herangehensweise.
Ich bin 65 und seit 40 Jahren Arzt und überlege mir jetzt natürlich auch: Was mache ich in den nächsten 30 Jahren? Da hat man einfach noch unglaublich viele Möglichkeiten. Früher haben die Leute vielleicht einen Volkshochschulkurs für Italienisch besucht, heute fangen sie nochmal ein ganzes Studium an. Und viele sagen immer, dass sie eigentlich Kunstgeschichte oder Philosophie studieren wollten. Aber weil man damit wenig Geld verdient, haben sie eben doch BWL studiert. Mit Ende 60 überlegen sie sich, dass sie das nochmal machen könnten. Ich war vor Kurzem mal in einer Kunstgeschichte-Vorlesung in München. Da denkt man, viele die da sitzen, haben Caspar David Friedrich noch persönlich kennengelernt. (lacht)
Das finde ich einfach toll: Neu übers Alter nachdenken. Dieses „20 Jahre lernen, 40 Jahre arbeiten und dann noch 15 Jahre Rente genießen und dann nichts tun“ ist sicherlich falsch. Man braucht nochmal neue Herausforderungen. Die Lebenserwartung ist da, die Gesundheit meistens auch, die meisten sind wirtschaftlich abgesichert. Da ist noch viel möglich.