Bevölkerung geht weiter zurück: Der Ukraine-Krieg verschärft die demografische Krise im Land

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Die Bevölkerung der Ukraine sank im vergangenen Jahr erneut. Durch den Krieg weiten sich bestehende demografische Probleme zu einer handfesten Krise aus.

Kiew/Moskau – Während der Konflikt in der Ukraine in sein viertes Jahr geht, sorgt sich Kiew zunehmend um die Unterstützung durch westliche Partner, insbesondere die USA. Diese Besorgnis hat sich seit der Wiederwahl und Amtseinführung von Donald Trump als 47. US-Präsident verstärkt. Trump drohte mehrfach mit erheblichen Kürzungen der Hilfen für die Ukraine und erklärte zuletzt, diese schon bald an Bedingungen knüpfen zu wollen. Eine Bedingung für die weitere Unterstützung sei, dass Wolodymyr Selenskyj den USA seltene Erden zur Verfügung stellen solle.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte nach einem informellen EU-Gipfel in Brüssel scharfe Kritik an Trumps Vorgehen. Er bezeichnete es als „sehr egoistisch, sehr selbstbezogen“, wie die ARD-Tagesschau berichtete. Scholz betonte: „Es geht darum, dass die Ukraine ihren Wiederaufbau finanzieren kann.“ Angesichts der Zerstörungen im Land sei dies eine enorme Herausforderung, die Ressourcen erfordere. Doch neben diesen finanziellen Hürden steht die Ukraine auch vor erheblichen demografischen Herausforderungen, wie aktuelle Daten des ukrainischen Justizministeriums zeigen.

2024 lag die Zahl Verstorbener in der Ukraine dreimal so hoch wie die der Neugeborenen

Im Jahr 2024 wurden in der Ukraine 495.090 Todesfälle registriert. Diese Zahl, die neben den Gefechten an den zahlreichen Fronten im Ukraine-Krieg auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist, wurde vom The Kyiv Independent unter Berufung auf das ukrainische Justizministerium gemeldet. Die Zahl der Verstorbenen war damit etwa dreimal so hoch wie die der Neugeborenen, die bei 176.679 lag.

In der Ukraine starben 2024 dreimal so viele Menschen, wie geboren wurden. Im Zuge des Krieges weiten sich die demografischen Probleme des Landes zu einer Krise aus.
Ein Mann hängt eine ukrainische Flagge an zerstörter Hauswand auf (Symbolbild) © IMAGO / Avalon.red

Die Geburtenrate sank im Vergleich zu 2021 um 97.093, was einem Rückgang von 35,5 Prozent entspricht. Die höchste Sterblichkeitsrate wurde in der Oblast Dnipropetrowsk mit 53.268 Todesfällen verzeichnet. In Kiew und der Region Charkiw, die an Russland grenzt, wurden etwa 35.000 Todesfälle registriert.

Mit insgesamt 19.706 die meisten Kinder wurden in der Hauptstadt Kiew geboren, gefolgt von der Region Lwiw mit 15.642 und der Region Dnipropetrowsk mit 14.029. Die wenigsten Geburten wurden mit nur 434 in der Oblast Cherson registriert. Die niedrige Zahl könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Bevölkerungsdaten nur aus den von der Ukraine kontrollierten Gebieten stammen. In den teilweise von Russland besetzten Gebieten wie Donezk, Cherson und Saporischschja sind die Daten wahrscheinlich unvollständig.

Demografische Probleme in der Ukraine weiten sich durch den Krieg weiter aus

In der Region Cherson, die teilweise von Russland besetzt ist, wurden im Vorjahr die wenigsten Kinder geboren. Die ukrainisch kontrollierten Gebiete sind regelmäßig russischen Angriffen ausgesetzt, wie zuletzt auch das US-Medium The Times berichtete. Erst kürzlich kam es im Stadtteil Antonivka in Cherson zu einem russischen Drohnenangriff, bei dem sieben Zivilisten verletzt wurden, wie The New Voice of Ukraine berichtete.

Die Ukraine kämpft nach über drei Jahren Krieg nicht nur mit einer deutlichen personellen Unterlegenheit gegenüber Russland, das in der umkämpften Grenzregion Kursk von Nordkorea unterstützt wird. Auch der Fortzug großer Teile der Bevölkerung infolge des russischen Angriffskriegs belastet das Land. Laut UNO-Flüchtlingshilfe haben seit Februar 2022 mehr als 6,8 Millionen Menschen die Ukraine verlassen, von denen rund 6,3 Millionen in anderen europäischen Ländern Zuflucht fanden.

Seit der Unabhängigkeit 1991 hat die Ukraine aufgrund niedriger Geburtenraten und hoher Migration einen langfristigen Bevölkerungsrückgang erlebt. 1991 lebten noch 51,5 Millionen Menschen im Land, 2019 waren es nur noch 37 Millionen. Der Krieg verschärft diese demografischen Probleme erheblich.

Prognosen zeichnen bedrohliche Trends der Bevölkerungsentwicklung der Ukraine

Langfristige Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung der Ukraine variieren, deuten jedoch auf eine weitere Verschärfung der Krise hin. Ella Libanowa, Leiterin des Instituts für Demografie und soziale Studien an der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, prognostiziert laut dem polnischen Centre for Eastern Studies (OSW), dass die Bevölkerung im nächsten Jahrzehnt auf 24 bis 32 Millionen Menschen sinken könnte. Zudem könnte die ukrainische Gesellschaft bis 2030 zu den ältesten in Europa gehören, während die Lebenserwartung auf das Niveau von 2021 zurückgehen könnte.

Eine vom Rat der Europäischen Union finanzierte Studie, über die Ekonomitschka Prawda 2022 berichtete, legt nahe, dass die ukrainische Bevölkerung je nach Kriegsdauer um 24-33 Prozent schrumpfen könnte. Vor dem russischen Angriffskrieg prognostizierten die Vereinten Nationen 2021, dass die Bevölkerung der Ukraine bis 2050 auf 35 Millionen Menschen zurückgehen könnte. Dieses Szenario galt damals als pessimistisch, erscheint jedoch heute, kurz vor Beginn des vierten Kriegsjahres, als zu optimistisch oder sogar unrealistisch.

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