Bundestagswahl „für das BSW ungünstig“: Wagenknecht wehrt sich mit Parteiprogramm
Bundestagswahl „für das BSW ungünstig“: Wagenknecht wehrt sich mit Parteiprogramm
Das BSW steckt vor der Bundestagswahl in einem Umfragetief. Parteichefin Sahra Wagenknecht sieht darin eine Verschwörung – und hofft mit ihrem Wahlprogramm auf einen Trendwechsel.
Berlin – Das BSW will eine „Expertenregierung“ nach der Bundestagswahl, behauptet zumindest Parteigründerin Sahra Wagenknecht. Das Bündnis wolle „nach der Wahl eine Bundesregierung ins Amt bringen, die unser Land in eine bessere Zukunft führt und den Frieden sichert“, heißt es in einem von Wagenknecht verfassten Wahlkampfpapier. Deutschland brauche künftig eine Regierung „aus integren, fachkundigen und unbestechlichen Persönlichkeiten“.
Dieses Personal soll eine Reihe an Forderungen und Versprechen umsetzen, die Wagenknecht in dem Papier vorstellt: darunter ein Asyl-Stopp, eine „Corona-Amnestie“ sowie Friedensverhandlungen mit Russland. Doch dazu später mehr. Denn in der Partei brodelt es. Dazu gesellt sich ein Umfragetief – und das gut drei Monate vor der Bundestagswahl.
BSW vor der Bundestagswahl: Wagenknecht spricht von Enttäuschung in Sachsen
Bereits im Osten des Landes zeigt sich, dass Wagenknecht nicht unbedingt mit am Verhandlungstisch sitzt, das Parteigeschehen aber dennoch dominiert. Führt man sich den Bündnisnamen vor Augen, dürfte das kaum überraschen, allerdings sorgen in Sachsen die geplatzten Gespräche mit CDU und SPD für Unmut. „Es kann sein, dass wir Leute enttäuscht haben, weil wir ausgestiegen sind“, gestand Wagenknecht im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ).
Gleichzeitig behauptete die BSW-Chefin, dass man die Menschen als Teil einer sächsischen „Brombeer-Koalition“ noch weit mehr enttäuscht – immerhin sei man „bei fast allen Themen gegen Wände gelaufen“. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wies das gegenüber der SZ vehement zurück. Es habe ein „gutes Miteinander“ gegeben, doch dann „hat die BSW-Führung alles von einer Minute auf die andere beendet“. Nun wird wohl eine Minderheitsregierung aus CDU und SPD das Land lenken – oder es zumindest versuchen.

BSW-Zoff in Thüringen: Koalition mit CDU und SPD – trotz anfänglichen Wagenknecht-Forderungen
Schnell musste sich Sahra Wagenknecht den Vorwurf gefallen lassen, man wolle eigentlich gar nicht regieren. Zwar wird Brandenburg wohl relativ geräuschlos eine Regierung aus SPD und BSW bekommen. In Thüringen sorgte jedoch ein innerparteilicher Zoff für Schlagzeilen. Dort verhandelte Landeschefin Katja Wolf entschlossen weiter, obwohl es zwischen ihr und Wagenknecht sichtbar kriselte.
Der BSW-Bundesvorstand mahnte zu Härte bei Forderungen, für die eine Landesregierung eigentlich nicht zuständig ist: Diplomatie im Ukraine-Krieg und Widerstand gegen US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Am vergangenen Freitag präsentierte das BSW mit CDU und SPD nun den fertigen Koalitionsvertrag. Die von Wagenknecht anfangs kritisierte Präambel ist darin unverändert, es gibt lediglich einige Ergänzungen im Vertragstext. Trotzdem kommt Lob von Wagenknecht. „Die Ergebnisse zeigen, dass wir konstruktiv mitgestalten, soweit es möglich ist“, zitiert die dpa die 55-Jährige.
Auf Bundesebene ist eine Regierungsbeteiligung des unwahrscheinlich – die CDU distanzierte sich etwa schon vor der Bundestagswahl von der Wagenknecht-Partei.
Wagenknechts BSW-Streitereien blieben nicht unbemerkt: Auswirkungen auf die Bundestagswahl?
Aus Sicht des Potsdamer Politologen Jan Philipp Thomeczek hätte Wagenknecht das Getöse vermeiden können. „Das Thema „Krieg und Frieden“ ist für BSW-Wähler das wichtigste. Insofern ist es richtig zu sagen: Das ist unser Markenkern. Aber man hat sich an Formulierungen in den Koalitionsverträgen aufgehängt, die in der Praxis wenig Effekt haben. Das war Symbolpolitik. Ich denke, da hat sie den Bogen überspannt.“
„Natürlich hat der Streit um Thüringen unsere Wähler auch verunsichert“, sagte Sahra Wagenknecht der SZ. Es wäre besser gewesen, „es hätte nie einen Anlass dafür gegeben“. Die Kritik aus der Thüringer Basis sowie die vom BSW-Bundesvorstand habe die eigene Verhandlungsposition in dem ostdeutschen Bundesland aber nur gestärkt, so Wagenknecht. Die Einmischung aus Berlin wurde sowohl innerparteilich als auch medial als ungewöhnlich empfunden. Der Zoff könnte dem Parteibild vor der Bundestagswahl entscheidend schaden.
BSW-Programm zur Bundestagswahl: Verhandlungen mit Russland, Asyl-Stopp und „Corona-Amnestie“
Inhaltlich schärft Wagenknecht ihre Position zum Mindestlohn nach: Sie verlangt wie SPD und Linke eine Erhöhung auf 15 Euro die Stunde – lange war die BSW-Forderung 14 Euro. Ansonsten bleibt die Parteichefin unter dem Titel „Deutschland, aber vernünftig und gerecht“ vor der Bundestagswahl bei ihren zentralen Themen:
- Ende der Waffenhilfe für die Ukraine: Wagenknecht will ein Ende der militärischen Unterstützung für Kiew. „Wir fordern die Streichung der Waffengelder aus dem Bundeshaushalt und endlich ehrliche Bemühungen um einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen“, heißt es im Papier.
- Leistungskürzung für Asylbewerber: Zur Migration schreibt Wagenknecht, Deutschland brauche eine „Atempause“. „Wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, hat kein Recht auf Aufenthalt. Wer kein Recht auf Aufenthalt hat, hat keinen Anspruch auf Leistungen. Wer bereits hier ist und durch Gewaltdelikte auffällt, muss abgeschoben werden.“
- Weniger Klimaschutz, billige fossile Energie: Nach Wagenknechts Vorstellungen sollen der CO₂-Preis abgeschafft, Subventionen für Erneuerbare gestrichen und mehr fossile Energie nach dem „Kriterium des niedrigsten Preises“ importiert werden. Die für 2035 vereinbarte Abkehr von Neuwagen mit Verbrenner will sie kippen, ebenso das sogenannte Heizungsgesetz für klimafreundliche Heizungen.
- Investitionen ohne Schuldenbremse: Investitionen für Brücken, Straßen, Schienen, Schulen, Wohnungen und Netze sollen nach Wagenknechts Ideen aus der Schuldenbremse ausgeklammert werden. Zudem will sie einen „spürbaren Abbau überflüssiger Auflagen und Berichtspflichten“.
- Höhere Steuern für „Großvermögen“: Wagenknecht fordert eine „große Steuer- und Abgabenreform, die Geringverdiener und die Mittelschicht entlastet“. Konkret nennt sie nur: Besteuerung von Vermögen über 100 Millionen Euro und höhere Steuern auf Aktienrückkäufe und ausgeschüttete Gewinne.
- Rente wie in Österreich: Das BSW will seit jeher ein Rentensystem wie in Österreich, wo alle Erwerbstätigen einzahlen. In Österreich sind die Altersrenten im Schnitt höher als in Deutschland. Der Beitragssatz liegt dort bei 22,8 Prozent, in Deutschland bei 18,6 Prozent. Renten bis 2000 Euro will Wagenknecht steuerfrei lassen.
- Corona-Amnestie: Direkt nach der Bundestagswahl will das BSW einen Corona-Untersuchungsausschuss sowie eine „bundesweite Corona-Amnestie“: Der Staat solle alle Bußgelder nach Verstößen gegen Corona-Auflagen zurückzahlen und alle laufenden Verfahren einstellen.
Wagenknecht forderte mehrfach Neuwahlen – doch die Bundestagswahl kommt „für das BSW ungünstig“
Auf der großen politischen Bühne hat die Parteigründerin immer wieder Neuwahlen gefordert. Allerdings sei der Zeitpunkt der Neuwahlen „für das BSW ungünstig“, sagte der Potsdamer BSW-Spezialist Thomeczek. Noch fehlen der Partei Landesverbände in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Und die junge Partei muss überall geeignete Kandidaten finden. „Sollte die Listenaufstellung in einem oder mehreren Bundesländern nicht klappen, könnte das BSW dort nicht antreten“, gibt Thomeczek zu bedenken. Umso mehr Stimmen müsste es dann anderswo erringen. „Dann würde es schwieriger mit Blick auf die Fünf-Prozent-Hürde.“
Wagenknecht selbst gab am Montag bekannt, dass sie für die Bundestagswahl auf Platz eins der Landesliste Nordrhein-Westfalen kandidieren will. Zuletzt räumte sie ein, dass das Wahlprogramm schneller fertig werden muss als geplant. Jedenfalls muss sich das BSW vor der Bundestagswahl wieder mehr in den Fokus rücken. Jüngste Umfragen zeigen, dass die Wagenknecht-Partei zunehmend an Zuspruch verliert.
Wagenknecht kritisiert Umfragen zur Bundestagswahl: „Miese Werte“ für das BSW
Die Bündnis-Chefin hält dagegen. „Es ist nichts Neues, dass mit Umfragen Politik gemacht wird“, sagte Wagenknecht der dpa. „Dass Forsa uns pünktlich zum Start des Bundestagswahlkampfs miese Werte gibt, überrascht mich nicht.“ In anderen Umfragen stehe das BSW bundesweit bei 6 bis 8 Prozent. Doch: „Es ist richtig, dass wir nach grandiosen Wahlerfolgen zunächst bei der Europawahl und dann in drei Landtagswahlen in den letzten Wochen leicht an Zustimmung verloren haben.“
Forsa-Chef Manfred Güllner spekuliert nach seiner jüngsten Umfrage über eine „schnelle Entzauberung der von den Medien als ‚Polit-Ikone‘ gelobten Wagenknecht“ und sagte, das BSW sei im Westen kaum verankert. Politologe Thomeczek meint hingegen: „Aktuell habe ich die Einschätzung, dass das BSW auf jeden Fall das Potenzial hat, sich zu etablieren. Es gibt diese Leerstelle im Parteiensystem. Viele freuen sich über eine Partei, die migrationskritisch ist, aber nicht so radikal wie die AfD. Das größte Thema aber ist die Außenpolitik mit dem Krieg in der Ukraine. Das mobilisiert die BSW-Wähler am stärksten.“
BSW schwächelt in Umfragen zur Bundestagswahl – Kritik nach Wagenknecht-Selfie
Kommen ihr die Umfragen zugute, misst Wagenknecht den Ergebnissen aber offenbar einen hohen Stellenwert zu. Die „Mehrheit der Menschen in Deutschland“ wolle nach der Bundestagswahl weder CDU-Chef Friedrich Merz noch Amtsinhaber Olaf Scholz (SPD) als Bundeskanzler, sagte Wagenknecht der dpa. Die Union liegt mit Merz als Spitzenkandidat in jüngsten Umfragen bei 32 Prozent, die SPD mit Scholz bei 14 bis 16. Für das BSW wurden zuletzt 4 bis 7 Prozent Zustimmung gemessen.
Mitte November hagelte es Kritik, als Xenia Sobchak, in Medien betitelt als „Tochter von Putins Ziehvater“, auf Instagram ein Foto mit Wagenknecht postete. „Was ein Quatsch!“, konterte die Partei und beschrieb das Bild als Zufalls-Selfie am Rande eines Termins in Berlin. (nak/dpa)