Kampf gegen Gewalt - Wie Merz den Orange Day zum schwarzen Tag für Frauen machte

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Friedrich Merz hat sich zum Orange Day auf Instagram zu Wort gemeldet, nur bei der Fußfessel wirkte er wirklich engagiert.
Dienstag, 26.11.2024, 09:25

Kommunikationsexperte Michael Ehlers analysiert den Auftritt von Friedrich Merz anlässlich des Orange Day: Sein seelenloser Vortrag lässt wichtige Botschaften verpuffen, erklärt er. Eine Chance für glaubwürdige Kommunikation im Kampf gegen Gewalt an Frauen blieb demnach ungenutzt.

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Man muss kein Fan von Robert Habeck und seinen Ideen sein. Man muss auch nicht diese ganz besondere WG-Ästhetik mögen, die seine neue Küchentisch-Kampagne prägt. Aber handwerklich ist das auf einem Niveau, das man in Deutschland so bisher noch nicht gesehen hat. Und es kommt an. Wie man hört vor allem bei seinen weiblichen Anhängern.

Vielleicht ist Robert Habecks Schlag bei den Wählerinnen der Auslöser gewesen für Friedrich Merz' neuesten Social Media-Aufschlag. Vielleicht haben er oder – das erscheint mir wahrscheinlicher – seine Berater gedacht: „Mensch, wir müssten auch mal 'was mit Frauen' machen“.

Über Michael Ehlers

Über Michael Ehlers
Michael Ehlers

Michael Ehlers trainiert seit zwei Jahrzehnten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Top-Manager, Profi-Sporttrainer und viele mehr. Er hält Vorträge zu den Themen Rhetorik, Kommunikation, Digitale Transformation und Motivation. www.der-rhetoriktrainer.de

Die Gelegenheit war günstig, denn am 25. November war der Orange Day – ein internationaler Tag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Das auf dem Instagram-Kanal @merzcdu veröffentlichte Video macht jedenfalls genau diesen Eindruck einer lustlosen Pflichtübung.

Im dunkelblauen Anzug vor dunkelblauem Hintergrund mit gold-orangefarbenen Einsprengseln steht der Kanzlerkandidat, die Arme vor dem Schoß gefaltet, und liest einen Text ab. Stimmung: irgendwie betroffen. Passt auch, denn am 24. November – dem Tag der Veröffentlichung des Videos – war schließlich auch Totensonntag. Das wäre auch inhaltlich ein schöner Aufhänger gewesen, denn – so liest Merz schwer seufzend vor – „alle 48 Stunden tötet ein Mann seine aktuelle oder ehemalige Partnerin“.

Das sind Zahlen, die sitzen. Zahlen, die einen aufrütteln müssten, hätte man sie nicht schon so oft gehört und gelesen und wüsste man nicht, dass diese Zahlen nicht erst seit gestern existieren. Für Merz sind diese Zahlen zunächst mal „alarmierend". Was für ein Gedankengang steht hinter dem Wort „alarmierend"? Vielleicht dieser: „Alle 48 Stunden eine Frau? Puh, da sollte man langsam mal aufpassen, oder? Wir beobachten das Ganze jedenfalls mal weiter.“

„Beschämend“ findet er diese Zahlen zwar auch, die Frage ist nur, warum ich ihm das alles nicht abnehme? 

Merz-Auftritt wirkt wie nervige Pflichtübung

Wenn man einen genaueren Blick auf die Körpersprache wirft, fallen zuerst die hängenden Schultern und die Armhaltung auf. Ebenso kommt die alte schlechte Angewohnheit wieder durch: den Kopf leicht gesenkt, den Blick von unten angehoben. Es gelingt ihm kaum, Kontakt zu seinem Publikum herzustellen, denn das Brillengestell verdeckt ein ums andere Mal den Blick. Alles spielt im sogenannten „negativen Bereich“.

In der Körpersprache bezieht sich der „negative Bereich“ auf Gesten oder Haltungen, die unbewusst negative Gefühle oder Einstellungen wie Ungeduld oder Langeweile ausdrücken: „Lass jetzt mal fertig werden!“

Auch seine Berater müssen um diese Wirkung wissen. Gerade deshalb bleibt der Eindruck, dass man dieses Video jetzt mal eben fertig machen musste, gerade deshalb bleibt der Eindruck: kommt ja nicht so drauf an.

In die Stimme des CDU-Vorsitzenden kommt erst ein bisschen Leben, als er von elektronischen Fußfesseln für Täter spricht. “Moderne Mittel” (und dass sie modern sind, scheint irgendwie wichtig zu sein), die in Spanien erfolgreich zum Einsatz kommen. Das braucht man jetzt auch in Deutschland. Die Fußfesseln bilden zusammen mit „härteren Strafen“ und „verpflichtenden Antiaggressionstrainings" einen Dreiklang, der die Rettung (für Mädchen und Frauen) bringen soll. Konsequente Prävention ist auch noch im Angebot.

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Union fordert nun einen „nationalen Aktionsplan“

Das ist gut, denn das Strafrecht setzt naturgemäß zu spät an, um Gewalt zu verhindern. Wie die Prävention unter einer von der Union geführten Regierung aussehen soll und wie Frauenhäuser und Präventionsarbeit (für wen eigentlich?) finanziert und organisiert werden sollen, lässt Merz offen. Aber alles wird besser, denn drei Jahre habe die Ampel fast nichts unternommen. Die Union fordert nun einen „nationalen Aktionsplan“. Das ist gut.

Nur ist es so, dass die Istanbul Konvention bereits am 1. Februar 2018 in Kraft trat. Diese Konvention verpflichtet alle staatlichen Stellen, Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt zu ergreifen – unter anderem hätte es bereits zum Inkrafttreten der Konvention diesen Plan benötigt. Von Februar 2018 bis zum 8. Dezember 2021 – als Olaf Scholz Kanzler wurde – passierte unter Führung der Unions-Kanzlerin Angela Merkel in dieser Hinsicht aber genau gar nichts mehr.

Inhaltlich haben sich ganz sicher weder die Union noch die Ampel mit Ruhm bekleckert - aber dieses Video erweckt in mir nicht den Eindruck, dass die Union bei diesem Thema wirklich das benötigte entschlossenes Handeln zeigen würde.

Ein Männerthema: Wir sind das Problem

Zum Abschluss. Ich bin Vater von zwei Töchtern und dieses Thema ist nicht ihr Thema. Dieses Thema ist kein “Frauen-und-Gedöns”-Thema, sondern - wenn man dieses gesamtgesellschaftliche Problem nach Geschlechtern einteilen möchte - ein Männerthema. Wir sind es, die Gewalt ausüben. In allen Schichten. Häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt. Nicht alle von uns. Aber wenn es dazu kommt, dann ist der Täter fast sicher einer von uns. Wir sind das Problem.

Und hier kommt ein unangenehmer Subtext ins Spiel, eine Botschaft unter der Botschaft. Ich glaube nicht, dass Friedrich Merz seinen Satz: “Das können wir nicht akzeptieren” so gemeint hat, dass dieses “wir” wir Männer bedeutet. Sein “wir” scheint mir zu bedeuten, dass es neben uns als Gesellschaft noch irgendeine Gruppe geben muss, die für diese Gewalt verantwortlich ist.

Das wäre gut, denn dann wären wir alle Schuld und Verantwortung los, müssten nicht an unserem Rollenverständnis und unserem Verhältnis zur Gewalt arbeiten. Schuld sind ja die anderen. Aber dann soll er auch klar sagen, wem er die Schuld geben möchte.

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