Kommunalpolitik in Echtzeit verfolgen: Diese Stadt überträgt Sitzungen künftig im Netz

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Kameras und Mikrofone gehören künftig zu Stadtratssitzungen in Wolfratshausen. Die Sitzungen des Gremiums werden live im Internet übertragen. © Montage/Hermsdorf-Hiss

Schon „im nächsten Kalenderjahr“ soll‘s losgehen, sagt Kirsten Vogler, Geschäftsführerin im Wolfratshauser Rathaus. Stadtratssitzungen werden künftig live im Internet übertragen.

Wolfratshausen – Die Bürgerfrageviertelstunde vor Beginn der jüngsten Stadtratssitzung fiel aus. Nicht, weil Bürgermeister Klaus Heilinglechner keine Antworten geben wollte, sondern weil kein einziger Bürger auf der Besucherempore saß. Um dem Souverän den offenbar mühsamen Weg in den Sitzungssaal zu ersparen, kommt der Stadtrat zeitnah in die Wohnstuben der Wolfratshauser. „Die Sitzungen des Stadtrates werden künftig gestreamt“, kündigt Kirsten Vogler, Geschäftsleiterin im Rathaus, auf Anfrage unserer Zeitung an. Die Entscheidung fällte das Gremium wie berichtet im Juli mit 11:8 Stimmen.

Die Initiative geht auf Dr. Patrick Lechner (FDP), Referent für Informationsfreiheit und Digitalisierung des Stadtrats, zurück. Er plädierte bereits Anfang 2021 für die Liveübertragung von Stadtratssitzungen. Lechner verspricht sich davon mehr Transparenz zwischen den Mandatsträgern und den Bürgern. Eine Sichtweise, die das Gros seiner Amtskollegen teilt. Im März vor zwei Jahren fiel ein Grundsatzbeschluss, heuer, im Juli, machten die Räte Nägel mit Köpfen. Rathaus-Geschäftsführerin Vogler hatte zuvor per Umfrage ermittelt: 16 Stadträte wären damit einverstanden, dass sie in einer Sitzung gefilmt und ihre Redebeiträge in Echtzeit gesendet werden. Vier Bürgervertreter nicht, fünf enthielten sich der Stimme.

Die Mitarbeiter der Stadtverwaltung, so Vogler im Juli, seien „fast ausschließlich“ dagegen, dass sie Protagonisten eines Livestreams werden. Laut Datenschutz muss vor jeder Sitzung die ausdrückliche Zustimmung jedes Teilnehmers vorliegen – ansonsten gibt’s keine Bild- und Tonaufnahmen dieser Person. Im entscheidenden Moment müsste ein Pausenbild eingeblendet und das Mikrofon ausgeschaltet werden. Ein Umstand, der bei Sepp Schwarzenbach (CSU) Skepsis hervorrief. Er gab zu bedenken, dass der Zuschauer daheim am Bildschirm nur eine zusammenhanglose Debatte verfolgen könne.

Stadtrat Josef Praller ist skeptisch: „Situationskomik“

Ähnlich äußerte sich Josef Praller, Fraktionschef der Bürgervereinigung Wolfratshausen (BVW). Sollten mehrere Räte und Verwaltungsmitarbeiter auf ihre Persönlichkeitsrecht pochen, das heißt, Film- und Tonaufnahmen von sich ablehnen, „wäre das Bild nach außen doch verfälscht“. Würde die Debatte nicht flüssig, sondern mit Bild- und vor allem künstlichen Redepausen gestreamt, könne dies beim Betrachter „zu Situationskomik führen“, so Praller.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz in Bayern, Prof. Dr. Thomas Petri, stellt zu dem Thema fest: Liveübertragungen könnten dazu führen, dass sich vor allem ehrenamtlich tätige Lokalpolitiker „nicht mehr unbefangen und spontan äußern“. Dadurch würde die Funktionsfähigkeit des Gremiums „beeinträchtigt und der Demokratie insgesamt Schaden zugefügt“. Daher sei „die Einholung wirksamer Einwilligungen“ der handelnden Personen unverzichtbar.

Vor jeder Sitzung müssen alle Teilnehmer gefragt werden

Seit Juli dieses Jahres hat Kirsten Vogler, Geschäftsleiterin im Wolfratshauser Rathaus, „noch keine neue Abfrage bei den Stadträten und den Verwaltungsmitarbeitern zur Liveübertragung durchgeführt“, berichtet sie auf Nachfrage unserer Zeitung. Vogler erklärt: „Theoretisch kann sich jeder Teilnehmer bei jeder Sitzung neu entscheiden. Da wir bisher keinen generellen Beschluss haben, dass immer alle Stadtratsmitglieder gezeigt werden, außer sie widersprechen ausdrücklich, müssen wir vor jeder Sitzung eine neue Abfrage starten.“ Dasselbe gelte für die Verwaltungsmitarbeiter.

Wie diese sich entscheiden, bleibt laut Vogler anonym. Denn: „Sie sind keine Mitglieder des Stadtrates und damit auch keine öffentlichen Personen. Als Mitarbeiter stehen sie unter dem besonderen Schutz und der Fürsorge ihres Arbeitgebers beziehungsweise Dienstherren. Das gilt natürlich auch für mich.“

Was kostet die Liveübertragung einer Stadtratssitzung? „Das hängt von vielen Faktoren ab“, antwortet die Rathaus-Geschäftsführerin. Dazu gehören nach ihren Worten „Umbauarbeiten, Aufstockungen des Leistungsvolumens unseres Netzes, die Kosten der Streaming-Plattform, Gerätemieten, Personalkosten für die Betreuung, Regiekosten und so weiter.“ Vor diesem Hintergrund könnten die Kosten für das Vorhaben noch nicht beziffert werden.

Vogler geht davon aus, „dass wir im nächsten Kalenderjahr direkt mit der Liveübertragung starten können“. Wolfratshausen wäre die erste von 21 Kommunen im Landkreis, die Sitzungen des Stadt- beziehungsweise Gemeinderats live im Internet ausstrahlt. (cce)

Die Mehrheit der Wolfratshauser Stadträte sieht die Vorteile: „In in der Zeitung werden nicht alle Meinungen wiedergegeben“, so Lechner. Hans-Georg Anders (Grüne) ist der Meinung, dass ein Livestream „eine optimale Möglichkeit“ ist, den Souverän in Sachen Lokalpolitik „mitzunehmen“.

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Schwarzenbach, Gerlinde Berchtold (SPD) sowie die Vorsitzende der CSU-Fraktion, Claudia Drexl-Weile, beschäftigte im Sommer nicht zuletzt die Frage nach den Kosten. Vogler ging zum damaligen Zeitpunkt von rund 1200 Euro pro Sitzung (preiswerteste Variante) aus, eine professionelle Übertragung schlage mit etwa 4700 Euro pro Sitzung zu Buche. „Die Kosten-Nutzen-Rechnung ist zu hoch“, urteilte Drexl-Weile, die den Beschlussvorschlag ebenso wie Rathauschef Heilinglechner (BVW), Fritz Meixner, Berchtold (beide SPD), Praller, Dr. Ulrike Krischke (beide BVW) sowie Renate Tilke und Wolfgang Weichlein von der CSU ablehnte. (cce)

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